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Tödliche Messerattacke in Pirna: Ein Lichtermeer für Jura

Fast 200 Menschen treffen sich zu einer Trauerfeier für den 20-jährigen Jura, der in Pirna erstochen worden ist. Sein Tod geht vielen nahe, sein Bruder startet eine Spendenaktion.

Von Thomas Möckel & Daniel Förster
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Trauernde an Juras Sterbeort: Für viele war er wie ein großer Bruder.
Trauernde an Juras Sterbeort: Für viele war er wie ein großer Bruder. © Daniel Förster

Kurz vor um acht am Montagabend wird es still in dem kleinen Park vor der Commerzbank am Dohnaischen Platz im Pirnaer Stadtzentrum. Das Gemurmel verstummt, alle rücken zusammen, halten sich an den Händen, umarmen sich. Ein junger Mann hat sich auf die Schultern eines anderen gesetzt, von oben ruft er den Wartenden zu: „Lasst uns eine Minute schweigen für Jura, dann wollen wir ein letztes Mal auf ihn anstoßen, ein letztes Mal das Glas auf ihn erheben“.

Die Umstehenden zünden Wunderkerzen an, auch rote Bengalos, viele halten ihre Feuerzeuge ins abendliche Dunkel, sie schweigen andächtig, selbst der Verkehrslärm scheint für einen Moment ausgeblendet. Nach einer ganzen Weile reckt der junge Mann, der noch immer auf den Schultern seines Untermannes sitzt, ein Glas in die Luft und ruft: „Für Jura“. Hundertfach schallt es „Für Jura!“ zurück, das Echo donnert noch sekundenlang durch die Pirnaer Innenstadt.

Etwa 200 Menschen sind zusammengekommen, Freunde, Bekannte, Weggefährten, aber auch die Eltern und die Brüder, sie wollen um Jura trauern, der so unerwartet und auf brutale Weise aus dem Leben schied. Der 20-Jährige, der eigentlich Jürgen heißt, geboren in Russland, aber schon vor mehr als 15 Jahren mit seiner Familie nach Deutschland kam, ist am Sonnabend in diesem Park gestorben, auf den kalten Pflastersteinen, direkt vor einer kleinen Hecke.

Er starb offenbar an den Folgen eines Messerstichs, den ihm ein 15-jähriger Deutscher zufügte, wie genau das alles geschah, wird derzeit ermittelt. Der Tatverdächtige, den einige der Trauernden persönlich kennen, ist wieder auf freiem Fuß, das macht viele wütend. Doch an diesem Abend geht es erst einmal um Jura.

Juras Tod macht Pirnaer fassungslos

Ein 26-jähriger Pirnaer, der Jura gut kannte, hatte bereits am Sonntag spontan zu dieser Gedenkfeier aufgerufen. Er informierte seine Kontakte, dass sich alle, denen Jura etwas bedeutete, am Montag treffen wollen. Bereits am Sonntagabend hatte der 26-Jährige ein Holzkreuz gebastelt, den Namen Jura und das Sterbedatum darauf geschrieben und am Tatort aufgestellt.


Viele folgen dem Aufruf, jeder bringt etwas mit, Blumen, Kerzen, Grablichter, die Stelle am Querweg, wo Jura seiner Verletzung erlag, wird zum Blüten- und Lichtermeer. Junge Mädchen brechen immer wieder in Tränen aus, viele umarmen sich wortlos, andere knien fassungslos vor dem Holzkreuz, das bald durch ein dauerhaftes Kreuz an dieser Stelle ersetzt werden soll.

Bengalos für Jura: Fast 200 Menschen trauern am Montag um den 20-Jährigen.
Bengalos für Jura: Fast 200 Menschen trauern am Montag um den 20-Jährigen. © Daniel Förster

Die Schweigeminuten wiederholen sich mehrfach, immer wieder zünden die Trauernden Lichter an, Sprechchöre rufen „Jura, Jura, Jura“, immer wieder stoßen sie auf ihren Freund an. Einigen fällt es schwer, sich von dem Trauerort zu trennen, die Letzten verlassen erst am Dienstagmorgen gegen 5 Uhr den kleinen Querweg.

Letzte Ehre mit Lieblingsbier und Lieblingstabak

Juras Freunde hatten bereits am Tag nach der Tat begonnen, die Erinnerung an ihn wachzuhalten. Auf dem Boden am Todesort liegen Kronkorken und Flaschen des Getränks „Mixery Iced Blue“. „Das hat er immer am liebsten getrunken“, sagt eine 15-Jährige. Dazwischen haben sie fertig gedrehte Zigaretten drapiert, gefüllt mit Pueblo-Tabak, den der 20-Jährige so gern rauchte. Auch ein Armband von Jura liegt dort, ebenso Karten aus dem Kartenspiel „Durak“, das er oft mit seinem Bruder und Freunden spielte.

Freunde haben aus Teelichtern ein „J“ und ein Herz geformt, ringsum stehen Engel und andere Kerzen mit Aufschriften wie „Wir vermissen Dich“ oder „Geliebt und unvergessen“. Untendrunter haben sie eine russische Fahne gelegt, sie erinnert an Juras Geburtsland. Später am Montagabend spielen sie seine Lieblingsmusik, auch die russische Nationalhymne.

Trauerort am Dohnaischen Platz: Rechts neben dem Kreuz steht eines der letzten Fotos mit Jura.
Trauerort am Dohnaischen Platz: Rechts neben dem Kreuz steht eines der letzten Fotos mit Jura. © Daniel Förster

Jene, die Jura gut kannten, beschreiben ihn als herzensguten Menschen, der das Leben locker und nicht ganz so ernst nahm. Mit dieser Einstellung habe er viele, die Probleme hatten, ermuntert. Auch sehr schlau sei er gewesen, zuletzt habe er in einem Heidenauer Bildungswerk seinen Schulabschluss machen wollen. Vor allem wollte er mit seiner Freundin glücklich werden. Zudem sei er für viele wie ein großer Bruder gewesen.

Freunde sammeln Geld für die Beerdigung

Noch während der Trauerfeier am Montagabend schoben enge Freunde von Jura eine Spendenaktion an, um Geld zu sammeln für die bevorstehende Beerdigung. Zudem hat der jüngste Bruder auf Instagram unter dem Stichwort „Jürgens Beerdigung“ ein Spendenkonto eingerichtet, wo er ebenfalls Geld sammelt. Am Dienstagnachmittag waren dort schon über 900 Euro zusammengekommen.

Gleich neben dem Holzkreuz an dem Ort, an dem der 20-Jährige starb, hat ein junger Mann ein gerahmtes Foto aufgestellt, es zeigt Jura mit Freunden am Basketballfeld im Pirnaer Friedenspark. Entstanden ist die Aufnahme abends am vergangenen Sonnabend, darauf ist zu sehen, dass es schon dunkel ist. Es ist eines der letzten Bilder mit Jura.