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Wird Pirnas Markt komplett autofrei?

Stadt und Stadtrat schieben eine Debatte an, wie der historische Platz neu gestaltet werden kann. Entscheiden soll darüber ein ganz spezielles Gremium.

Von Thomas Möckel
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Blick auf dem Pirnaer Markt: Die schrägen Parklücken oben an der Rathaus-Ostseite sind inzwischen schon Geschichte.
Blick auf dem Pirnaer Markt: Die schrägen Parklücken oben an der Rathaus-Ostseite sind inzwischen schon Geschichte. © Daniel Schäfer

Diskutiert wurde das Thema schon seit fast 30 Jahren, aber erst in den vergangenen beiden Jahren nahm es konkrete Züge an, aus einem anfänglichen Wunsch wurde sozusagen Endgültigkeit. Mehrfach schon verankerte der Pirnaer Stadtrat in Verkehrsentwicklungsplänen das Ziel, den Markt vom Autoverkehr zu befreien, um die Fußgängerzone bis zur Marienkirche auszuweiten – und so die Aufenthaltsqualität auf dem zentralen Altstadt-Platz zu erhöhen.

2007 verbannte das Rathaus den Verkehr vom Obermarkt auf der Südseite, 2022 folgte der nächste Schritt. Pirna sperrte den Markt offiziell ab Jahresbeginn dauerhaft für den Durchgangsverkehr, der bis dato bei Ortskundigen beliebte Schleichweg über die Markt-Ostseite in Richtung Sonnenstein ist seither tabu. Anlieferer und Anwohner können aber weiterhin auf den Markt fahren.

Gemäß einem Stadtratsbeschluss hatte die Stadt die mögliche Sperrung bereits 2021 für mehrere Monate getestet, weil die Schlossstraße ohnehin wegen einer Baustelle dicht war. So sollte geprüft werden, wie sich der geänderte Verkehrsfluss auf das übrige Straßengefüge auswirkt. Das Ergebnis: Vor allem Gorkistraße und B172 können den Verkehr, der sonst über den Markt rollte, problemlos zusätzlich verkraften. Letztendlich hielt auch eine Ratsmehrheit die Marktdurchfahrt für entbehrlich. Doch das war noch nicht alles.

Wie passt der historische Platz in die Moderne?

Auf dem Markt ist perspektivisch noch mehr vorgesehen. So soll auch die Nordseite des Marktes – von den Ratsherrenstuben bis zum Marieneck – irgendwann einmal autofrei werden, einen konkreten Termin dafür gibt es aber noch nicht. Darüber hinaus wird auch schon seit etwa 20 Jahren in verschiedenen Gremien darüber debattiert, wie der Marktplatz neu- und umgestaltet werden könnte. Nachdem der Durchgangsverkehr unterbunden wurde, ergebe sich laut Rathaus dafür jetzt eine neue Chance, diese Pläne konkret anzugehen.


So beschloss der Stadtrat kürzlich, das Thema „Marktplatzgestaltung – Historischer Marktplatz im 21. Jahrhundert“ zu diskutieren. Dabei soll es unter anderem um Gastronomie und Außengastronomie, Beleuchtung, Barrierefreiheit, Grünflächen, Bäume, Spielangebote für Kinder und Jugendliche, Straßenbeläge, Pflaster und Stadtmöblierung gehen.

Debattieren soll darüber ein ganz spezielles Gremium, es ist dann quasi das erste Thema für die noch einzuberufende Runde: Der Pirnaer Bürgerrat. Ausgehend von einem Antrag der Stadtratsfraktion „Bündnis 90/Die Grünen/SPD“ hatte der Stadtrat im Frühjahr 2022 beschlossen, einen solchen Bürgerrat einmal in einem Modellversuch auszuprobieren. Aber wie genau funktioniert nun die Marktplatzdebatte mit einem Bürgerrat – und warum erledigt das nicht der Stadtrat?

Ein Mittel gegen Skepsis und Ablehnung

Laut der Antragsteller gehe es bei der Gründung eines Bürgerrates vordergründig darum, die Pirnaer noch direkter an wegweisenden Entscheidungen zu beteiligen und auf diese Weise die Demokratie sowie das Demokratieverständnis zu fördern. Man wolle damit aber keinesfalls andere Entscheidungsbefugnisse infrage stellen oder andere Gremien beschneiden. Grundsätzlich verfüge Pirna laut der Fraktion über eine funktionierende Verwaltung, zudem träfen die gewählten Stadträte wichtige Entscheidungen, um das Gemeinwesen zu gestalten.

Einige der zu entscheidenden Fragen seien aber komplex und entzögen sich einfachen Antworten. „Entscheidungsprozesse sind dann meist langwierig, kontrovers und im Ergebnis für die Bürger schwer nachvollziehbar“, sagt Fraktionschef Ralf Wätzig. Nicht selten werde dann sowohl den Entscheidungen als auch den Entscheidern mit Skepsis, Ablehnung oder aggressivem Verhalten begegnet. Mehr Bürgerbeteiligung könne daher ein Instrument sein, um Menschen an Prozessen zu beteiligen, ihnen Mitsprache- und Mitmachmöglichkeiten zu bieten – um somit dem Gefühl entgegenzuwirken, es werde alles über ihre Köpfe hinweg entschieden.

Der Freistaat Sachsen befürwortet diese Art der Bürgerbeteiligung ausdrücklich, Bürgerräte sind im Koalitionsvertrag verankert, das Land hat dafür auch extra ein Förderprogramm aufgelegt. So kann Pirna den Modellversuch finanzieren, ohne den eigenen Haushalt zu belasten.

Bürgerrat per Losverfahren

Pirna will nun gemäß dem Stadtratsbeschluss einen entsprechenden Förderantrag stellen, möglich ist das noch bis Mitte September 2022, der Antrag betrifft dann den Förderzeitraum 2023. Für den Bürgerrat lost die Stadt dann nach dem Zufallsprinzip 500 Pirnaer im Alter von 16 bis 90 Jahre aus, fragt bestimmte Fakten ab und lädt sie ein, in einem Bürgerrat mitzuarbeiten. Aus den positiven Rückmeldern wählt dann ein Gremium insgesamt 30 Bürgerräte aus – und zwar so, dass ein möglichst repräsentatives Abbild der Pirnaer Bevölkerung entsteht.

Bei der Debatte zur Marktgestaltung könnten laut des Rathauses dann auch weitere Experten, beispielsweise von der Seniorenvertretung, der Lokalen Agenda, der Vereins „Citymanagement Pirna“, des Landeamtes für Denkmalpflege, der Vereins „Kuratorium Altstadt“ und weiteren Vereinen, mitarbeiten. Ebenso könnten die Fraktionschefs sowie Fachleute aus den Fachgruppen Stadtentwicklung und Tiefbau sowie externe Planer dabei sein.

Insofern der Förderantrag genehmigt wird, beauftragt der Stadtrat dann die Verwaltung, einen Bürgerrat einzuberufen. Dann beauftragt das Kommunalparlament den Bürgerrat, bis zum dritten Quartal 2023 Gestaltungsvorschläge für den Markt zu erarbeiten. Am Ende gibt der Bürgerrat das Abschlussdokument frei und übergibt es dem Stadtrat, der sich dann wiederum verpflichtet, das Ergebnis in einer darauffolgenden Sitzung zu behandeln. Das Bürgerrats-Votum ist für den Stadtrat nicht bindend, er muss dem Vorschlag nicht folgen – dann aber der Stadtgesellschaft einen abweichenden Beschluss ausführlich begründen.