SZ + Riesa
Merken

Bereit für die nächsten 500 Jahre

Bloßwitzer Glocken sollten im Krieg in Hamburg eingeschmolzen werden. Jetzt gingen sie erneut auf große Reise.

 3 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Mit einem Kran wurde am Freitag die Taufglocke, die kleinste der vier Bloßwitzer Kirchenglocken, auf den Turm in den neuen Glockenstuhl transportiert. Bis die neuen, alten Glocken läuten, wird noch einige Zeit ergehen.
Mit einem Kran wurde am Freitag die Taufglocke, die kleinste der vier Bloßwitzer Kirchenglocken, auf den Turm in den neuen Glockenstuhl transportiert. Bis die neuen, alten Glocken läuten, wird noch einige Zeit ergehen. ©  Sebastian Schultz

Von Jürgen Müller und Ute Frankowski

Stauchitz. Obwohl es über 70 Jahre her ist, erinnert sich die 85-jährige Gisela Tüllner aus Bloßwitz daran, als wäre es erst gestern gewesen. „Als ich aus dem Fenster schaute, sah ich, wie ein Pferdefuhrwerk an unserem Haus vorbei fuhr. Auf dem Wagen befanden sich zwei Kirchenglocken“, erzählt sie. Sie stammten aus der Bloßwitzer Kirche, wurden abmontiert und auf dem „Kirchenfriedhof“ in Hamburg deponiert. 

Es war vorgesehen, dass die beiden Bronzeglocken wie so viele andere auch eingeschmolzen und das Material für Kriegszwecke verwendet werden sollte. Gott sei Dank kam etwas dazwischen: der Frieden. Unversehrt kamen die beiden Glocken zurück in das Dorf, welches zur Gemeinde Stauchitz gehört. 

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas noch einmal erleben werde“, sagt Gisela Tüllner. Gemeinsam mit den Glocken aus Oschatz, Mügeln, Dahlen, Hof, Canitz, Lampertswalde und sechs weiteren Kirchgemeinden der Umgebung waren sie damals auf dem Weg nach Hause. Oschatz war der Zielbahnhof. Übrigens waren pro Glocke 130 Reichsmark als Transportbeitrag abzugeben.

Rainer Süptitz aus Bloßwitz war damals ein kleiner Junge. Er erinnert sich: „Ich weiß noch ganz genau, wie das Pferdefuhrwerk von Oschatz her hier an unserem Haus vorbeikam. Die zwei Glocken lagen auf einem weißen Tuch.“ Süptitz läutete später auch die Kirchenglocken.

Am Freitag nun kamen erneut drei der vier Glocken aus der Bloßwitzer Kirche nach langen Reise zurück, hatten mehr als 1 200 Kilometer zurückgelegt. In den Niederlanden wurden sie repariert und saniert. „Sie schepperten, weil sie Risse hatten. Die Glocken wurden in einem speziellen Verfahren geschweißt. Jetzt halten sie wieder 500 Jahre“, sagt Pfarrer Johannes Grasemann aus Riesa, der für die Kirchgemeinde zuständig ist.

600 Kilogramm, so viel wie ein Trabant, wiegt die Trompetenglocke.
600 Kilogramm, so viel wie ein Trabant, wiegt die Trompetenglocke. © Michael Schultz

Tatsächlich handelt es sich bei allen um die originalen Glocken. Die kleinste, die 64 Kilogramm schwere Taufglocke, wurde 1519 gegossen und eingebaut, ist also genau ein halbes Jahrtausend alt. Noch vier Jahre älter ist 133 Kilogramm schwere Gebetsglocke. Das genaue Alter der Trompetenglocke hingegen ist nicht genau bekannt. Das Schwergewicht mit 640 Kilogramm wurde wohl um 1615 gegossen.

Die älteste Glocke, die Marienglocke, ist auch die größte. Sie ist die Einzige, die jetzt nicht saniert werden musste. Der altgotische Schriftzug auf der größten der Bloßwitzer Glocken – von Laubornamenten umrankt – könnte sinngemäß bedeuten: „O König der Herrlichkeit, kommt mit Frieden. Sei gegrüßt, Maria, voll der Gnaden. Im Jahre des Herrn 1505.“

Gemeinsam werden die Glocken übrigens nie läuten, dafür haben sie einen zu unharmonischen Klang. Zwei von ihnen liegen nur einen gedrungenen Halbton auseinander. Liegt der Grund in den weit auseinanderliegenden Entstehungszeiten? Oder wurde eine von ihnen gestiftet, ohne auf Disharmonien zu achten? Und wurde die Glocke von 1615 wirklich neu gekauft? Fragen, auf die es keine Antworten gibt.

Insgesamt kosten die Arbeiten rund 92 000 Euro, knapp 62 000 Euro steuert die Landeskirche bei, ein Teil kam aus Spenden. Nicht nur die Glocken wurden saniert, sondern auch Glockenstuhl, Boden Decke, Fenster. Geläutet wird künftig elektrisch. Läuten werden die alten, neuen Glocken aber noch nicht. 

Erst am 15. September um 14 Uhr werden sie feierlich eingeweiht. Darauf freut sich auch Gisela Tüllner. „Das will ich unbedingt noch erleben“, so die 85-Jährige.

Auch der Glockenstuhl wurde vollständig erneuert.
Auch der Glockenstuhl wurde vollständig erneuert. © Michael Schultz