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"Uns Zulieferer trifft es mit voller Wucht"

Flaute in der Autobranche - und jetzt auch noch Corona: Im Spezialfedernwerk Seifhennersdorf stehen 100 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Michael Stolle will sie retten.

Von Jana Ulbrich
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Michael Stolle ist Geschäftsführer der SFP Spezialfedern, einem 100-Mitarbeiter-Unternehmen in Seifhennersdorf. Er kämpft um Aufträge.
Michael Stolle ist Geschäftsführer der SFP Spezialfedern, einem 100-Mitarbeiter-Unternehmen in Seifhennersdorf. Er kämpft um Aufträge. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Die Frühschicht braucht auch heute nur wenige Mitarbeiter. In der riesigen Werkhalle wirken sie wie verloren. "Wir planen von Tag zu Tag, wer kommt und wer zu Hause bleibt", sagt Michael Stolle. "Heute sind wieder viele zu Hause. Gestern war mehr los. Dass wir die Kurzarbeit nutzen können, das hilft uns sehr in dieser Situation."

Der 46-Jährige steht oben auf der langen Gitterrost-Treppe, über die er von seinem Büro aus direkt in die Produktion gelangt. Nachdenklich blickt er in die fast leer wirkende Halle. Das SFS Spezialfedern-Werk in Seifhennersdorf hat 100 Mitarbeiter - und als Geschäftsführer muss er dafür sorgen, dass sie alle pünktlich ihren Lohn kriegen. Und mehr noch: Es geht in diesen Monaten auch darum, dass sie überhaupt erst einmal alle ihre Jobs auch behalten. 

Das Seifhennersdorfer Federnwerk produziert zum größten Teil für die Autoindustrie: Alleine die Spiralfedern für Nockenwellenversteller und Fahrzeugsitze machen die Hälfte der Produktion aus. Aber die Autobauer stecken gerade tief in der Krise und mit ihnen die Zulieferer und die Zulieferer der Zulieferer - solche wie die Seifhennersdorfer. 

SFS-Geschäftsführer Michael Stolle (rechts) bespricht mit Mitarbeiter Stefan Weitzmann das Einrichten eines neuen Automaten, mit dem Federn für Gurtversteller hergestellt werden sollen.
SFS-Geschäftsführer Michael Stolle (rechts) bespricht mit Mitarbeiter Stefan Weitzmann das Einrichten eines neuen Automaten, mit dem Federn für Gurtversteller hergestellt werden sollen. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

"Uns trifft es mit voller Wucht", sagt Michael Stolle. "Wir liefern an die Zulieferer der Autoindustrie, die die Federn für ihre Baugruppen brauchen: für Brillen- und Handschuhfächer zum Beispiel, für Sitze oder für Gurthöhenversteller."

Wegen der Gurthöhenversteller ist der Geschäftsführer in die Werkhalle unterwegs - einmal quer durch bis ans andere Ende. Hier richtet ein Mitarbeiter gerade einen neuen Automaten ein. Eine 200.000-Euro-Investition. Der Chef will sich erkundigen, wie es läuft. Michael Stolle weiß genau, worauf es ankommt. Er ist einer vom Fach, Techniker, seit 20 Jahren im Betrieb, seit fünf Jahren als Geschäftsführer.

"Läuft", sagt Stefan Weitzmann, der Automateneinrichter, und nickt zufrieden. Mit dem neuen Automaten wollen die Seifhennersdorfer Federn für Höhenversteller von Sicherheitsgurten herstellen - 10.000 bis 15.000 Stück pro Schicht. Normalerweise ein Produkt, das sicher Abnehmer findet. Normalerweise.

Ein Auftrag nach dem anderen verschwindet

Genau das ist im Moment das Problem: "Die Auftragslisten mit den Liefermengen haben sich im März nahezu täglich geändert - hin zu weniger bis gar nichts", erklärt Michael Stolle. "Wir konnten zusehen, wie ein Auftrag nach dem anderen aus dem Computer verschwindet." Jetzt sei das zwar nicht mehr ganz so schlimm, aber von einer Erholung der Situation, geschweige denn von einer Rückkehr zur früheren Normalität könne keine Rede sein.

Für den Unternehmer Michael Stolle ist so eine Lage neu. "Wir hatten bisher jedes Jahr ein verlässlich starkes Wachstum", erzählt er. Mit dem Jahresabschluss 2019 aber musste er den Gesellschaftern zum ersten Mal von einem Umsatz-Minus berichten. Acht Prozent weniger als noch 2018. "Da hat es ja schon gekriselt in der Autoindustrie", sagt er. 

Und jetzt? Jetzt kommt zur Branchen-Krise noch die Corona-Krise. 60 Prozent Umsatz-Minus im März und April, im Juni werden es 50 Prozent sein. "Da hat man schon mal schlaflose Nächte und fragt sich, wie das weitergehen kann", sagt Michael Stolle leise. 

Aber Stolle ist keiner, der schnell aufgeben würde. Er stammt aus Seifhennersdorf, ist hier verwurzelt, will, dass es weitergeht. "Wir müssen vor allem zusehen, dass wir die Saure-Gurken-Zeit jetzt finanziell überstehen", sagt er. Er glaubt fest daran, dass es nach diesem wirtschaftlichen Corona-Loch wieder aufwärts geht. "Aber wann? Das ist die entscheidende Frage."

Das Werk in Seifhennerdorf gehört zur Scherdel-Gruppe, einem wirtschaftlich starken Global-Player mit 32 Standorten weltweit. "Mit diesem starken Partner im Rücken kann man so eine Krise schon mal eine Weile aushalten", sagt Stolle. Noch habe das Unternehmen Rücklagen und sei nicht auf die staatlichen Hilfen angewiesen. Wie lange das aber noch geht, vermag auch Michael Stolle nicht zu sagen. "Die Kurzarbeit hilft uns im Moment zwar sehr, aber sie kann nicht alle Kosten decken. Und wir werden sie wohl auch länger brauchen als ein Jahr." 

Investition in ein neues Standbein

Um langfristig unabhängiger von der Autoindustrie zu werden, bauen die Seifhennersdorfer Federnwerker gerade einen Bereich Medizintechnik auf. In einem neuen Projekt geht es um Federn für Inhaliergeräte oder Auto-Injektoren, das sind Fertigspritzen beispielsweise für Insulin. Aber die Geräte zur Verabreichung von Medikamenten brauchen eine Zulassung wie die Medikamente selbst, ehe sie auf den Markt kommen. "Das kann lange dauern und wirkt für uns momentan noch nicht", sagt Stolle. Aber die Abteilung, die an den Projekten für die Medizintechnik arbeitet, ist die einzige, die momentan keine Kurzarbeit hat. "Das macht uns auf jeden Fall Hoffnung", sagt der Geschäftsführer.

Auch die sieben Lehrlinge hat Michael Stolle nicht nach Hause geschickt. Ausbildung ist ihm wichtig, auch und gerade in einer Situation wie dieser, sagt er. Für dieses Jahr übrigens werden noch junge Leute gesucht, die Mechatroniker, Werkzeugmacher oder Industriemechaniker werden wollen. Ein Zeichen in die Zukunft. 

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