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Lieber Bergsteigerin als Biathlon

Laura Dahlmeier beendet ihre Karriere. Dass sie mehr Zeit haben möchte für ihre eigentliche Leidenschaft, hat sie der SZ schon vor langem erzählt. 

Von Daniel Klein
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Die Berge sind ihre Welt. Laura Dahlmeier zieht es in den Sommermonaten immer wieder hinaus.
Die Berge sind ihre Welt. Laura Dahlmeier zieht es in den Sommermonaten immer wieder hinaus. © Adidas

Wenn Laura Dahlmeier über ihren Sport spricht, klingt das nicht anders als bei ihren Kolleginnen. Dann erzählt sie, dass sie gerne an die Erfolge der vergangenen Saison anknüpfen möchte. Und dass die WM in Oslo der absolute Höhepunkt ist, sie dort topfit sein möchte. Was man eben so sagt am Beginn des Biathlon-Winters.

Wenn Laura Dahlmeier über ihr Hobby spricht, klingt das ganz anders. Dann verliert sie das Zurückhaltende, dann kommt sie ins Plaudern, gerät ins Schwärmen, dann funkeln ihre Augen. Es genügt das Stichwort Matterhorn, und es beginnt zu sprudeln. Im Sommer 2015 war sie mit Teamkollegin Miriam Gössner und zwei Bergführern um 3 Uhr früh in der Hütte aufgebrochen, vier Stunden später standen sie auf dem Gipfel. "Es war ein superschöner Sonnenaufgang. Am Horizont begann es zu dämmern, und unten über Zermatt hingen noch Wolken und Nebel", beschreibt sie den "prägenden Moment", der ihr "im Gedächtnis" bleiben wird. "Wenn man so etwas erleben darf, muss man dankbar sein."

Absturz an der Zugspitze

Trotz des Jubiläumstrubels 150 Jahre nach der Erstbesteigung standen sie für einige Minuten ganz allein dort oben. Das Matterhorn zu bezwingen, sei für sie immer schon ein Traum gewesen, sagt sie. "Dieser Berg löst eine besondere Faszination aus, weil er so schön, so ästhetisch ist." Dahlmeier kann das durchaus einschätzen und vergleichen. Vor den dann so enttäuschenden Olympischen Spielen in Sotschi war sie mit ihrem Vater auf dem 5.642 Meter hohen Elbrus im Kaukasus.

Mit ihrer damaligen Teamkollegin Miriam Gössner (rechts) bestieg Dahlmeier im Sommer 2015 das Matterhorn.
Mit ihrer damaligen Teamkollegin Miriam Gössner (rechts) bestieg Dahlmeier im Sommer 2015 das Matterhorn. © Adidas

Den Sommer darauf kletterte sie in ihrer bayerischen Heimat durchs Zugspitzmassiv, ein Griff brach aus, sie stürzte einige Meter in die Tiefe, landete auf dem rechten Fuß und zog sich einen Bänderriss im Sprunggelenk sowie eine Knochenquetschung zu. Die Vorbereitung lief ganz anders als geplant, die ersten Weltcups verpasste sie und musste immer wieder Pausen einlegen, weil der Fuß schmerzte. "Ein Restrisiko bleibt immer, auch wenn man es so gering wie möglich hält", sagt sie. Aber ist es nicht zu groß für eine Spitzensportlerin, die mit Biathlon ihr Geld verdient? Und hat diese Bergtouren Bundestrainer Gerald Hönig überhaupt erlaubt?

Dahlmeier kennt diese Fragen, sie selbst kämen ihr nie in den Sinn. "Ich verbiete ihm doch auch nicht das Golfspielen", kontert sie mit Blick auf Hönig und es klingt ungewollt fast ein wenig schnippisch. Die 22-Jährige ist mit ihrem ausgeprägten Dialekt und ihrer Bodenständigkeit die bayerischste unter den deutschen Biathlon-Frauen, die inzwischen fast alle in und um Ruhpolding trainieren. Und stets ausgeglichen und freundlich. Ihr Hobby aber verteidigt sie vehement.

Als ob der Vergleich mit dem Bundestrainer nicht genügt, erzählt sie noch von Franziska Preuß, die beim Avocado-Aufschneiden abgerutscht war, eine Sehne am Finger erwischte und mehrere Wochen nicht trainieren konnte. Das sei ja dann auch irgendwie blöd gelaufen, findet Dahlmeier. Ihr Credo: Küchenarbeit und Bergsteigen gehören nicht auf die Verbotsliste.

Weil zumindest Letzteres auch nützlich sei fürs Biathlon. Das Kraxeln an den Hängen gebe ihr Motivation fürs Training, sagt sie und erkennt Parallelen zum Schießen: "Bei beidem hat mein Handeln Konsequenzen. Ich muss immer fokussiert und konzentriert sein. Die Trainer suchen doch Athleten, die einen kühlen Kopf behalten."

Berge, Natur, Schnee und ganz viel Bewegung. Auch Biathlon hat für Dahlmeier einen unverkennbaren Reiz. Der Erfolg kam nebenbei.
Berge, Natur, Schnee und ganz viel Bewegung. Auch Biathlon hat für Dahlmeier einen unverkennbaren Reiz. Der Erfolg kam nebenbei. ©  dpa

Das hat sie im vergangenen Winter zweifelsohne. Es ist der Winter nach den medaillenlosen Spielen von Sotschi, den ganzen Enttäuschungen, vielen Tränen, der internen Kritik. Von einer Krise und einer langen Durststrecke im deutschen Frauen-Biathlon ist die Rede, dann kommen die ersten Überraschungserfolge im Weltcup und dann kommt die Weltmeisterschaft im finnischen Kontiolahti. Dahlmeier und Preuß holen jeweils Silber, die Staffel sogar Gold.

Aus der Krise wird plötzlich eine strahlende Zukunft. (...) "Vor einem Jahr waren wir schon verunsichert", erinnert sich Dahlmeier. "Jetzt wissen wir, wie es ausschaut." Sie meint diesmal die sportlichen Gipfel. Hönig gerät regelrecht ins Schwärmen, wenn er von "seinen Mädels" spricht. "Bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung sind sie mit einem Jet durch die letzten zwei Jahre gerauscht", findet er.

Der Jet wird irgendwann mal landen, wenn auch nur für einen Zwischenstopp. Das weiß der Trainer und das weiß Dahlmeier. Man solle die Erwartungen nicht so hoch ansetzen, bittet sie. "Die vergangene Saison ist nicht nur für mich, sondern die ganze Mannschaft nahezu perfekt gelaufen." Und das lässt sich nur schwer wiederholen.

Für die Gipfelstürmerin haben sich die Erfolge des vergangenen Winters bereits ausgezahlt - nicht nur finanziell. Sie musste sich intern nicht mehr fürs Weltcup-Team qualifizieren. Beim Auftakt in Östersund fehlte sie wegen eines Infekts, in Hochfilzen wird sie nun wieder versuchen, einen kühlen Kopf zu bewahren - wie beim Bergsteigen.

* Der Text erschien am 10. Dezember 2015 in der Sächsischen Zeitung. Laura Dahlmeier gewann bei der folgenden WM 2016 in Oslo insgesamt fünf Medaillen, darunter die goldene in der Verfolgung.  Ein Jahr später bei der WM in Hochfilzen holte sie sogar fünf Titel und einmal Silber - bei sechs Starts. Und Dahlmeier krönte ihre Karriere schließlich 2018 mit zwei Olympiasiegen. Im Alter von 25 Jahren beendete die gebürtige Bayerin nun ihre Karriere und freue sich, wie sie sagt, "auf die kommende Zeit, neue Blickwinkel, Herausforderungen und viele Erlebnisse rund um den Globus".

Olympia in Pyeongchang ist ihre Krönung. Mit zwei Goldmedaillen erfüllt sich die gebürtige Bayerin einen Kindheitstraum gleich doppelt.
Olympia in Pyeongchang ist ihre Krönung. Mit zwei Goldmedaillen erfüllt sich die gebürtige Bayerin einen Kindheitstraum gleich doppelt. © dpa