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„Der Landtag sollte weiblicher werden“

Die CDU-Abgeordnete Aline Fiedler nimmt sich eine Auszeit von der Politik. Ein Gespräch über Frauen in Verantwortung und die schwierige Chancengerechtigkeit.

Von Nora Miethke
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Aline Fiedler war bisher kulturpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion. Die 43-Jährige hat auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Sie gehörte dem Landtag seit 2009 an.
Aline Fiedler war bisher kulturpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion. Die 43-Jährige hat auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Sie gehörte dem Landtag seit 2009 an. © Jürgen Lösel

Frau Fiedler, drei CDU-Frauen bekleiden mit die höchsten politischen Ämter in Deutschland und Europa. Gab es einen kleinen Stich, als Sie das Bild von Merkel, von der Leyen und Kramp-Karrenbauer sahen?

Ich habe mich freiwillig entschieden, nicht noch einmal für den Landtag zu kandidieren, und gehe im Reinen mit mir. Politik macht mir sehr viel Spaß, und ich würde jeden und jede ermutigen, für eine gewisse Zeit ein politisches Amt zu besetzen. Aber für mich ist es in Ordnung, dass das Kapitel jetzt erst einmal zu Ende ist.

Warum kandidieren Sie gerade jetzt nicht mehr, wo Ihre Generation in den Spitzenämtern nachrückt?

Ich mache seit 20 Jahren Politik. Die ersten zehn Jahre als Stadträtin im Ehrenamt. Ich wurde mit 23 Jahren jüngste Stadträtin der CDU. Mit Anfang 40 habe ich mich immer öfter gefragt, wie es für mich weitergeht. Mir fehlt noch der aus eigener Erfahrung rührende Blick auf die Welt, und das hole ich jetzt nach. Ich wollte mich selbst nie fragen müssen: „Warum hast du bestimmte Sachen nicht gemacht?“ Es ist gut, an einem Punkt gehen zu können, wo keine Wehmut bleibt.

Was oder wer hat Sie zur Politik gebracht?

Ich bin ein Kind der Wende. Als ich 14 Jahre alt war, fiel die Mauer, und die deutsche Wiedervereinigung kam mit so viel positiven Veränderungen und einem großen Maß an Freiheit. Ich musste nicht mehr Jugendweihe machen, konnte mir selbst aussuchen, was ich studiere. Stundenlang haben wir uns heißgeredet, wie künftig Schule aussehen soll. Ich wurde durch diesen ganzen Veränderungsprozess in die Politik hineingetragen. Und in die CDU holte mich Helmut Kohl und wie er für die Deutsche Einheit eingestanden ist. Ich habe ihm abgenommen, dass es aus einer inneren Überzeugung kam.

Mit welchem Thema haben Sie sich erstmals öffentlich zu Wort gemeldet in der Partei, und wie kam das an?

Daran kann ich mich nicht mehr erinnern, aber an die Erfahrung, wie wichtig es ist, Verbündete zu haben, die einem etwas zutrauen und so ein Stück weit mitnehmen. 1998 wurde Helmut Kohl abgewählt. Das war eine ziemliche Zäsur für die sächsische CDU. Es war klar, dass sich etwas ändern muss und die CDU neue, jüngere Leute braucht. Und so wurde ich ermutigt, für den Dresdner Stadtrat zu kandidieren. Allein hätte ich es nicht gemacht. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich das erste Mal mein Gesicht an der Litfaßsäule sah. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie nehmen die Leute mich wahr, was denken sie über mich.

Sie waren kulturpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion. Ein Thema, das Altkanzler Gerhard Schröder vielleicht als „Gedöns“ bezeichnet hätte. War es rückblickend ein Fehler, sich darauf zu konzentrieren?

Also Kulturpolitik ist kein typisches Frauenthema. Ich war die erste Frau in der sächsischen CDU-Fraktion, die das besetzte. Kultur ist für Sachsen immens wichtig und spielte in der Fraktion immer eine Rolle. Wichtig ist jedoch, dass man sich stetig weiterentwickelt, sich andere Themen zutraut und das auch zeigt. So wurde ich in der zweiten Legislaturperiode auch hochschulpolitische Sprecherin und leitete den Arbeitskreis.

Oft werden Frauen nach ihrem Äußeren bewertet, weniger nach ihren Kompetenzen. Angela Merkel hatte damit an fangs stark zu kämpfen. Ist Ihnen das auch passiert?

Nein. Aber ich bin auch nicht dafür anfällig, das heißt, man kann mich mit entsprechenden Äußerungen nicht treffen. Es ist nicht immer alles fair im Leben. Und natürlich werden Angriffspunkte gesucht, mit denen man den anderen oder die andere treffen kann. Das kann übrigens auch Männer treffen. In diesem Punkt gibt es also schon mal Chancengerechtigkeit. Angela Merkel hat auf eine ähnliche Frage geantwortet: „Natürlich überlege ich mir, was ich anziehe, ich will ja keine Zumutung für den anderen sein“. Die Dinge – wenn es geht – mit Humor nehmen, darauf kommt es an.

Aline Fiedler verabschiedet sich aus dem sächsischen Landtag.
Aline Fiedler verabschiedet sich aus dem sächsischen Landtag. © Juergen Loesel

Es geht vielmehr um Sprüche wie „Ich höre gern zu, wenn es von einer jungen Frau kommt“, Sprüche, die Frauen aus dem Konzept bringen und zeigen sollen, das sie nicht ernst genommen werden. Wie sind Sie damit umgegangen?

Ja, das gibt es. Da hilft nur, sich am Anfang darüber klar zu werden, dass so etwas passieren kann. Das gehört zur Vorbereitung, wenn man sich für ein politisches Amt oder eine andere Führungsaufgabe bewirbt. Dann trifft es nicht mehr so, wenn es das erste Mal passiert. Denn man weiß, warum es kommt. Dass es nicht um einen selbst geht, sondern eine Machtfrage ist. Heute würde ich für andere Frauen in solchen Situationen reagieren. Es ist schwer, dies im Moment selbst tun zu können. Das ist auch eine Form von Frauenunterstützung, die stärker stattfinden müsste.

Und was können betroffene Frauen selbst tun?

Ein Coaching in Anspruch nehmen, um herauszufinden, wie sie auftreten, wie ihre Stimmlage ist. Wenn wir Frauen eine Aufgabe übernehmen, die Öffentlichkeit mit sich bringt, müssen wir stärker selbst an uns arbeiten, und das auch mit professioneller Hilfe. Ich habe das getan.

Das setzt voraus, Sie wollten etwas verändern. Was war das?

Auf unangenehme Fragen gut und humorvoll zu reagieren. Uns Frauen ist ja eigen, dass wir bei Vorwürfen oder Gegenargumenten genau auf diesen Punkt reagieren. Darum geht es jedoch oft nicht, sondern darum, zu sehen, behauptet die sich da vorn und bleibt sie bei Gegenwind stehen. Stehen zu bleiben und zu sagen, ich bleibe bei meinem Argument oder meiner Position, das musste ich mir schon aneignen.

Im Bundestag sitzen weniger Frauen, im nächsten Landtag vielleicht auch bald. Woran liegt das?

An den Bedingungen. Wir müssen uns fragen: Sind Ortsverbandsstrukturen, Sitzungen, die um 19 Uhr beginnen, Anwesenheitspflicht, Parteitage, die den ganzen Samstag einnehmen, für Frauen ansprechend? Nicht, dass Frauen das nicht hinbekommen könnten. Ich glaube, die Frauen wollen so nicht ihre Freizeit verbringen. Weil es eine Kräftefrage ist, aber auch, weil sie heutzutage gewohnt sind, anders zu kommunizieren und Themen über digitale Medien einzubringen. Das geht schneller, und man muss nicht alles stundenlang wiederholen, was der Vorgänger gesagt hat.

Wird versucht, diese Strukturen zu verändern?

Ein Anfang ist gemacht. Auf der Wahlliste jeden zweiten Platz mit einer Frau zu besetzen, war schon ein deutliches Zeichen in meiner Partei und richtig. Das ist ein Prozess, der von den Spitzenleuten klar gefordert und unterstützt werden muss. Anders geht es nicht. Aber die Parität der Listen kann nicht alles sein. Es geht nicht darum, dass Frauen jetzt Posten bekommen, sondern wir sind eine Volkspartei mit dem Anspruch, alle Schichten der Gesellschaft zu vertreten. Wenn wir eine Volkspartei bleiben wollen, stark im ländlichen Raum wie in den Großstädten, dann brauchen wir unbedingt die Frauen mit ihren Sichtweisen und Erfahrungen.

Entscheidender ist die Aufstellung von Direktkandidatinnen?

Das ist deutlich schwieriger. Die paritätische Listenzusammenstellung darf nicht verdecken, dass wir hier Nachholbedarf haben. Wir müssen in den Ortsverbänden früher beginnen, Frauen zu fördern. Das gezielte Ansprechen und die Begleitung von Frauen über einen gewissen Zeitraum müssen wir noch verstärken.

Braucht es ein Paritätsgesetz?

Die CDU hat ja jetzt eine Art Paritätsgesetz auf freiwilliger Basis. Die Landtagswahl wird zeigen, wie viele Frauen einziehen werden, also was es bringt. Das Thema ist ungeheuer vielfältig. Es muss an den unterschiedlichsten Rädern gedreht werden, um mehr Frauen für Politik zu gewinnen. Meine Befürchtung ist, dass dies dann unterbleibt, wenn man ein Paritätsgesetz hat und meint, das sei nun ausreichend in puncto Gleichstellung.

Was würde sich ändern, wenn mehr Frauen im Landtag sitzen würden?

Die Themen verzahnen sich immer mehr und lassen sich nicht mehr so leicht eingruppieren in Wirtschaftspolitik, Umweltpolitik oder Sozialpolitik. Das übergreifende Verständnis wird wichtiger. Da bringen Frauen eine kluge Sichtweise mit ein. Und wie sie an Dinge herangehen. Wir Frauen müssen nicht alles fünfmal sagen, einmal genügt, und dann soll es um die Lösung gehen. Frauen kommen schneller auf den Punkt. Es geht ihnen weniger darum, wie sie persönlich in der Debatte wegkommen, sondern stärker um das Thema. Diese Eitelkeit – sie geht uns nicht vollkommen ab, ist aber nicht so ausgeprägt – könnte weniger eine Rolle spielen. Wenn mehr Frauen im Plenarsaal sitzen würden, würde das die Spielregeln verändern, wie Politik gemacht wird. Man könnte vielleicht manchmal schneller zum Ergebnis kommen.

Was ist ihre Prognose, wird der nächste Landtag weiblicher?

Ich wünsche ihm das. Es würde ihm guttun. Aber eine Prognose will ich da nicht wagen.

Das Gespräch führte Nora Miethke