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Sterilisiert, getötet und vergessen

Ein Mahngang durch Dresden führt am Sonntag an Tatorte der Nazis. Die Künstlerin Elfriede Lohse-Wächtler war eines von vielen Opfern.

Von Sarah Herrmann
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So malte sich Elfriede Lohse-Wächtler mit 32 Jahren.
So malte sich Elfriede Lohse-Wächtler mit 32 Jahren. ©  Archiv

Sie haben sie gebrochen. Elfriede Lohse-Wächtler war ein Freigeist, eine Künstlerin, eine Rebellin. Doch die Nationalsozialisten nahmen ihr alles - ihre Selbstbestimmtheit, ihre Fruchtbarkeit, ihre Schaffenskraft und zuletzt auch ihr Leben. Am Sonntag beschäftigen sich in Dresden hunderte Leute mit der Frage: Wie kam es soweit?

Geboren wurde Elfriede Lohse-Wächtler als Anna Frieda Wächtler. Den Namen Elfriede gab sie sich später selbst. Schon mit 16 Jahren zog sie aus dem Elternhaus aus. Von 1915 bis 1918 besuchte sie die Königliche Kunstgewerbeschule Dresden, belegte zudem bis 1919 Mal- und Zeichenkurse an der Dresdner Kunstakademie. Sie fand Anschluss an die Dresdner Sezession Gruppe 1919 um Otto Dix, Otto Griebel und Conrad Felixmüller. Im Atelier des letzteren nahe dem Dresdner Stadtzentrum mietete sie sich ein und erwarb sich mit Batiken, Postkarten- und Illustrationsarbeiten ihren Lebensunterhalt.

1921 heiratete sie den Maler und Opernsänger Kurt Lohse. Das Ehepaar zog zunächst nach Görlitz und später nach Hamburg. Doch die Beziehung war schwierig. Mehrfach trennte sich das Paar. Acht Jahre nach der Hochzeit erlitt Lohse-Wächtler schließlich einen Nervenzusammenbruch - wegen der Probleme in ihrer Ehe und finanzieller Nöte. Zeit ihres Lebens schaffte sie es mit ihrer Kunst nicht, sich wirtschaftlich von Mann und Eltern unabhängig zu machen. Wegen ihres Nervenzusammenbruchs verbrachte sie zwei Monate in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg.

1931 kehrte die damals 32-Jährige in ihr Elternhaus zurück. Nur ein Jahr später ließ ihr Vater sie wegen des zunehmend schlechten seelischen Zustands in die  Landesheil- und Pflegeanstalt Arnsdorf einweisen, wo sie den Rest ihres Lebens verbringen sollte. Die Diagnose: Schizophrenie. Mit dieser Nervenkrankheit fiel sie in der NS-Zeit unter das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses". 1935, im Jahr der Scheidung von ihrem Ehemann Kurt Lohse, wurde daher ein Sterilisationsverfahren gegen sie eingeleitet. 

Obwohl Elfriede und ihre Familie sich gegen den Eingriff wehrten, wurde die junge Frau am 20. Dezember 1935 im Krankenhaus Friedrichstadt zwangsweise sterilisiert. Wie ihr erging es bis zu 400.000 psychisch Kranken. Elfriede Lohse-Wächtler verkraftete den Eingriff nicht: Sie suchte kaum noch Kontakt zu anderen Menschen und stellte sogar das geliebte Malen ein. Im Juli 1940 wurde sie schließlich mit 33 Männern und 52 Frauen aus der Heilanstalt in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein deportiert. Es war der vierte Transport aus Arnsdorf. Insgesamt wurden von dort fast 3.000 Menschen in den Tod geschickt. Auch Elfriede Lohse-Wächtler überlebte nicht. Sie wurde wahrscheinlich noch am Tag des Transports vergast.

Lange war das Werk der Künstlerin in Vergessenheit geraten. Doch 1994 gründete ein Hamburger Ehepaar den Förderkreis Elfriede Lohse-Wächtler, organisierte Ausstellungen und gab mehrere Publikationen heraus. Für ihren Kampf gegen das Vergessen erhielten Marianne und Rolf Rosowski den Verdienstorden des Freistaats Sachsen. Gegen das Vergessen kämpft am Sonntagnachmittag auch das Bündnis Dresden-Nazifrei an. 

Beim Mahngang Täterspuren erinnerten die Organisatoren nicht nur am Rathausplatz - dem ehemaligen Stadtgesundheitsamt - an das Schicksal von Elfriede Lohse-Wächtler. An insgesamt elf Stationen gab es Vorträge zu den Gräueltaten aus der Zeit des Nationalsozialismus. Die Initiatoren wollten daran erinnern, dass Dresden keine unschuldige Stadt war. 

Der Mahngang Täterspuren startete am Sonntag an der Comeniusstraße. Er erinnert auch an die  ermordete Künstlerin Elfriede Lohse-Wächtler
Der Mahngang Täterspuren startete am Sonntag an der Comeniusstraße. Er erinnert auch an die  ermordete Künstlerin Elfriede Lohse-Wächtler © Marion Doering

So versammelten sich kurz nach 13 Uhr rund 200 Leute an der Comeniusstraße. Dort lebte Martin Mutschmann - NSDAP-Mitglied, Ministerpräsident von Sachsen, Gauleiter und Reichsstatthalter. In dieser Funktion beteiligte er sich maßgeblich an der Vernichtung jüdischen Lebens in Sachsen. Mutschmann wurde in Moskau für die von ihm begangenen Verbrechen zum Tode verurteilt. Von der Comeniusstraße aus startete der Demonstrationszug. 

Immer wieder schlossen sich der Gruppe neue Leute an, andere gingen. Zu Spitzenzeiten nahmen nach Aussage von Dresden-Nazifrei rund 500 Personen an der Demonstration teil. Sie wurde von der Polizei begleitet. Über die Pillnitzer Straße und den Hasenberg ging es in Richtung Innenstadt. Auch an der Frauenkirche machte die Gruppe Halt. Sie gilt gemeinhin als Sinnbild der Zerstörung durch die Bombardierung. Doch dass mit Friedrich Coch lange ein NSDAP-Mitglied an der Spitze stand und Christen jüdischer Herkunft systematisch ausgegrenzt wurden, ist vielen nicht bekannt.

Beendet wurde der Mahngang gegen 17 Uhr an der Lenéestraße. Durch die Demonstration gab es nur geringe Einschränkungen im Verkehr, sie verlief friedlich. Lediglich an der Wilsdruffer Straße gab es einen kleinen Zwischenfall. Dort wurde eine Person, die einen Aufkleber an der Löwen-Apotheke platzierte, von der Polizei aufgehalten. Einige andere Demonstranten blieben aus Solidarität zurück. Nur wenig später trafen sie aber am Rathausplatz wieder auf die Gruppe und konnten die Demonstration fortsetzen. Sie war der Auftakt in einer Reihe von Veranstaltungen rund um den 75. Jahrestag der Bombardierung.

Was rund um den 13. Februar in Dresden passiert:

12. Februar:

  • ab 14 Uhr: diverse Dialogformate
  • 18 Uhr: Andacht mit einem Zeitzeugen der Zerstörung 1945 in der Frauenkirche

13. Februar:

  • 15.15 Uhr: Zentrale Gedenkveranstaltung im Kulturpalast mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
  • 17.00 Uhr Auftakt zur Menschenkette auf dem Neumarkt
  • ab 10 Uhr: mehrere dezentrale Gedenkveranstaltungen

15. Februar:

  • Aufmarsch der Rechtsextremen
  • Friedlicher Protest der AG 13. Februar
  • Demonstration "Nazis stören 1"
  • Demonstration "Nazis stören 2"

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