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Trotz Freital gekommen - wegen Freital geblieben

Von der Dresdner Straße in die Welt: Das Start-up Watttron hat die Herstellung von Plasteverpackungen revolutioniert - und will auch die Stadtgesellschaft verändern.

Von Daniel Krüger
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Marcus Stein hat nach seinem Maschinenbaustudium lange an der TU Dresden geforscht. Jetzt exportiert sein Unternehmen Heizsysteme bis nach Chicago.
Marcus Stein hat nach seinem Maschinenbaustudium lange an der TU Dresden geforscht. Jetzt exportiert sein Unternehmen Heizsysteme bis nach Chicago. © Andreas Weihs

Händeschütteln, eine Urkunde, Lächeln für das Foto, dann eine Rede. Marcus Stein trägt einen blauen Anzug und eine gemusterte Krawatte. In seiner Hand hält er eine Mappe, darin mehrere Seiten mit Text, Stein liest ab. Doch aus ihm spricht die Überzeugung. "Verpackung ist kein Müll", sagt er zum Beispiel. Oder "Die meisten Mitarbeiter verzichten bewusst auf ihr Auto". Und: "Ich würde für Meetings gerne mit dem Boot in die USA fahren, doch das dauert einfach zu lange."

Lacher. Sätze wie diese kennt man von Klimaaktivisten, Bilder wie die von Greta Thunberg, die über das Meer zum nächsten politischen Gipfel schippert. Doch Marcus Stein ist Unternehmer. Einer, der sich keine Illusionen über die knallharte Logik der globalen Wirtschaft macht, keine darüber, dass bei weitem nicht alle Menschen umweltgerecht konsumieren. 

Stein und sein Team haben es geschafft. Ihre Firma Watttron gilt in der sächsischen Wirtschaft als Musterbeispiel für erfolgreiche Start-ups. Vermutlich auch gerade deshalb, weil Watttron es schafft, seinen Kunden zwei Dinge zu verkaufen, die sich vermeintlich immer gegenseitig im Weg stehen: Ein "grünes Image" und Kosteneinsparungen. 

Für diesen Erfolg hat das 2016 gegründete Unternehmen am Donnerstag das Siegel der Sächsischen Umweltallianz verliehen bekommen. Als das erste Bundesland im Osten schloss die Regierung des Freistaats bereits 1998 einen Pakt mit Handwerk und Industrie. Der sollte die "Eigenverantwortung" von Firmen beim Umweltschutz stärken, sie freiwillig dazu bringen, soziale und ökologische Aspekte in ihre Geschäftsstrategie einzubauen. 

"Verpackungen gelten als unsexy"

Ein Thema, dass den Zeitgeist von 2020 trifft. Und angesichts des Klimawandels dringlicher erscheint als je zuvor. Angefangen hat für Stein alles nach dem Maschinenbaustudium. Der junge Mann forscht an der TU Dresden mit zwei Kollegen an einem System, mit dem sich Kunststoff energieffizienter erhitzen lässt, bevor er in die gewünschte Verpackungsform gebracht wird. 

"In herkömmlichen Anlagen wird sehr viel Energie verbraucht, weil es nur eine große Heizfläche gibt, die Wärme in alle Richtungen abstrahlt", erklärt Stein. Gleichzeitig könne nur eine Temperatur eingestellt werden. Damit die Folie stabil bleibt, wenn sie in die Verpackungsform geblasen wird, muss ein besonders dicker Kunststoff gewählt werden.

Der aber enthält zusätzliche chemische Stoffe - und ist deshalb schlecht zu recyceln. Gleichzeitig wird an den Verpackungsrändern unnötig Material verschwendet. Stein und seine Kollegen entwickelten deshalb ein Heizsystem, das mithilfe kleiner elektrischer Felder punktgenau unterschiedlich hohe Temperaturen erzeugt. 

Der sogenannte Matrix Heizer, den die Gründer entwickelt haben, besteht aus einer Keramikplatte und jeder Menge Elektronik. Die Teile werden vor Ort in Freital zusammengesetzt und dann ausgeliefert - in alle Welt. 
Der sogenannte Matrix Heizer, den die Gründer entwickelt haben, besteht aus einer Keramikplatte und jeder Menge Elektronik. Die Teile werden vor Ort in Freital zusammengesetzt und dann ausgeliefert - in alle Welt.  © Andreas Weihs

Die Kunststofffolie wird, etwa bei Joghurtbechern, unter der Keramikplatte außen stärker erhitzt als innen. Der erhitzte Kunststoff verteilt sich so gleichmäßig auf die Verpackung, was die Materialkosten um etwa dreißig Prozent senke, so Stein. Mit den Heizkörpern seiner Firma könnten nun auch wiederverwertbare Folien für die Herstellung von Tablettenblistern und Co. verwendet werden.

Eine Ersparnis, die auch große Kunden lockt. Und die Aussicht darauf, sich selbst als Öko-Vorreiter auf dem Markt zu positionieren. Warum auf die Idee noch niemand vorher gekommen ist? "Verpackungen gelten eher als unsexy, kaum jemand will daran forschen", sagt Stein. Er selbst habe das gewusst und sei den Schritt in die Wirtschaft dann einfach gegangen.

Das Risiko der Gründung, die die drei Männer 2016 aus der TU und dem Dresdner Fraunhofer Institut heraus vollzogen, hat sich für den 30-Jährigen gelohnt: Mittlerweile produziert Watttron für den europäischen und den amerikanischen Markt, ein milliardenschwerer Konzern aus den USA ist inzwischen Kunde. 

"Die politische Lage war bei der Gründung für uns nicht günstig"

Dass diese globalen Geschicke von der Dresdner Straße 172 in Freital aus gesteuert werden, ist keine Selbstverständlichkeit. "Wir sind trotz Freital gekommen. Die politische Lage war bei der Gründung für uns nicht günstig", sagt Stein. 

Denn Diversität ist ihm wichtig. Verschiedene Nationen, alle Geschlechter, alle Altersgruppen sollen möglichst gemischt bei Watttron arbeiten. Doch einige ausländische Interessenten hätten ihm in der Anfangszeit abgesagt. 

"Dunkelhäutige, die Angst davor hatten, wegen ihrer Hautfarbe angegriffen zu werden, waren dabei", erzählt Stein. "Wie viele sich erst gar nicht beworben haben, will ich gar nicht wissen."

Doch Watttron und das Gründerzentrum hätten das Freitaler Stadtbild zum Positiven verändert, findet der Geschäftsführer mit dem markanten Kinnbart. In der Initiative "Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen" habe er sich auch zu den vergangenen Wahlen immer klar positioniert - auch in der Hoffnung, neue Mitarbeiter zu finden.

Stein und ein weiteres Gründungsmitglied sind mittlerweile selbst nach Freital gezogen, auch wenn das rein vom Arbeitsweg gar nicht notwendig wäre. "Hier gibt es eine wirklich richtig gute Anbindung an den ÖPNV, auch der Weißeritzradweg ist spitze und bindet Dresden perfekt an", sagt Stein. 

Effizienz und Ökologie. Das ist für den 30-Jährigen der geeignete Weg, um den Klima-Herausforderungen des neuen Jahrzehnts zu begegnen. Dann würden sich auch die Konsumenten freiwillig für einen neuen Umgang mit ihrer Umwelt entscheiden. "Regulierungen und Verbote bringen den Normalbürger nicht zum Umdenken", sagt Stein.

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