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Gefährliche Gefährten

Drogen, Leichen, Sprengstoff, Schutz auf Demos und Fußballspielen: Diensthunde dienen der Dresdner Polizei als loyalste Waffe. Angst dürfen sie nicht haben.

Von Franziska Klemenz
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Polizeihauptmeister Tino Seifert mit seinem neuen Diensthund Hugo: „Die Waffe lege ich nach Dienst in den Schrank, der Hund ist immer bei mir.“
Polizeihauptmeister Tino Seifert mit seinem neuen Diensthund Hugo: „Die Waffe lege ich nach Dienst in den Schrank, der Hund ist immer bei mir.“ © Ronald Bonß

Wie ein Zwanzigzylinder mit gezogener Handbremse hockt Hugo hinter Gittern. Viel Energie für wenig Raum. So läuft das mit Karrieren im kriminellen Milieu, man landet hinter Gittern. Und das vor einer Szenerie, die in Filmen als Übergabeplatz für tonnenweise Drogen dienen würde, oder für Schießereien zwischen Rockern. Am Dresdner Alberthafen: nasser Beton, rostige Brücke. Hundert Meter weiter versteckt ein Kollege Hasch, Kokain, Heroin. Hugo zückt eine Waffe, die besser wirkt als jede Neun-Millimeter-Knarre: wache Augen, hochgeklappte Ohren, schiefgelegtes Fellgesicht – der Hundeblick.

Hugo, ein halbes Jahr alt, soll bald selbst Ganoven jagen. Die Diensthundestaffel der Dresdner Polizei bildet den belgischen Schäferhund aus, dort wird er Teil des 30-schwänzigen Teams. Hunde für Zoll, Personensuche, Bundespolizei oder Justiz belegen andere Kurse. Der Zoll spezialisiert sie auf sämtliche Geruchsarten wie Wildtierknochen einzeln, als Personensucher, Mantrailer genannt, arbeiten Bluthunde, die menschlichen Fährten teils über Tage folgen. Sie kommen als Welpen zu den Herrchen, sind erst nach Jahren einsatzfähig.

Drogen, Fährten oder Sprengstoff?

Hugos duale Ausbildung geht schneller. Zwei Fachrichtungen lernen Hunde der Dresdner Staffel in 9- bis 16-wöchigen Kursen: Als Schutzhunde begleiten sie die Polizei zu Fußballspielen, Großschlägereien, Demonstrationen, schützen ihre Herrchen vor Angriffen, im Notfall mit Stoßkorb und Zähnen. Als Suchhunde spezialisieren sie sich auf Drogen, Menschen oder Sprengstoff und Waffen. „Parallel lernen wir, unseren Hund zu lesen“, sagt Tino Seifert.

Hugo hat sich bislang nur auf ihn spezialisiert. Sobald der 46-Jährige vor die Box tritt, legt der Zwanzigzylinder den fiepsenden Turbogang ein. Gleich darf er üben. Die Tür schwingt auf, Hugo springt in den Arm des Polizisten, wedelt so ambitioniert mit dem Schwanz, dass er Nassbeton verrühren könnte. Im Käfig nebenan gähnt Hasso vor sich hin, betont unaufgeregt. Der schwarze Schäferhund, zehn Jahre alt, ist Hugos Vorgänger. Bald wird er in Rente gehen. Wie Hugo lebt er seit seiner achten Lebenswoche bei Tino Seifert.

Beim Spiel soll Hugo lernen, seinem Hundeführer aufs Wort zu hören. Mehr als seinem eigenen Trieb.
Beim Spiel soll Hugo lernen, seinem Hundeführer aufs Wort zu hören. Mehr als seinem eigenen Trieb. © Ronald Bonß

Der heutige Ausbildungsleiter arbeitet seit 1999 bei der Hundestaffel, bewarb sich von der Bereitschaftspolizei weg. Hunde besaß er vorher, die Angst um sie kam dazu. In Leipzig-Connewitz zum Beispiel, als bei Ausschreitungen Böller flogen. Wenn Hasso ruhig bleibt, wenn er zubeißt und auf Befehl wieder loslässt, hat er „gut gearbeitet“. Loyalität, die Schusswaffen nicht gewähren. „Die lege ich nach Dienst in den Schrank, der Hund ist immer bei mir“, sagt Seifert. Bindung nährt Treue, nur mit seinem Herrchen geht der Hund auf Einsatz.

Beißen auf Befehl

Hugo steht die Karriere noch bevor. Ehe der Lehrgang beginnt, soll er ein Prinzip begreifen: „Gehorsam bringt mir mehr, als meinem Trieb zu folgen.“ Seifert wirft Bälle, Hugo sprintet. Muskeln stampfen auf seiner Brust wie Motorkolben, die Beine überschlagen sich beinahe. Auf Befehl lässt er los. „Joa, mein Säckele“, jubelt Seifert. Die Stimme des breitschultrigen Hünen mit Millimeter-Haaren auf dem Kopf hüpft drei Oktaven hoch. 

„Wir arbeiten mit positiver Motivation, Belohnungen, aber einem so triebgesteuerten, charakterstarken Hund muss man auch Grenzen aufweisen.“ Belgische Schäferhunde, auch Malinois, sind die gängige Rasse der Staffel geworden. Riesenschnauzer und Deutsche Schäferhunde seien zu hübschen Familienhunden verzüchtet worden. Als Mischung aus Genie und Wahnsinn gelten Malinois. Wer den Wahnsinn bändigt, fördert das Genie. Vor der Aufnahme in die Staffel muss der Hund zeigen: Ist genug Spieltrieb da? Rennt er über Gitter und Glatteis? Beißt er richtig zu?

Hugo springt aus dem Stand über Hindernisse, im echten Leben könnten es Autos auf einem Schrottplatz sein. Was Kollege Joker dann übt, muss Hugo erst noch lernen: beißen auf Befehl. Jokers Opfer: ein Polizist in einem Anzug wie vom Michelin-Männchen, nur in Grau. Sobald Joker den Anzug erspäht, rastet er aus, bellt, reißt an der Leine. Der Mann im Anzug mimt den Bösen. Den Schläger-Alki im Dynamostadion, den Steinewerfer auf der Demo. 

Zugreifen darf Joker noch nicht. Drei Ankündigungs- und Eskalationsstufen folgen. „Polizei, bitte verlassen Sie augenblicklich das Gelände“, sagt Frauchen Manuela Brühl. Der Anzug-Mann bohrt seine Füße in den Boden. Joker scharrt mit den Pfoten, wütendes Knurren geht in Kläffen über. „Letzte Warnung“ – der Übungs-Gangster bleibt.

 Mit einem Satz springt Joker auf ihn zu, das Zahnfleisch rutscht ins Gesicht, das Gebiss blitzt hervor. Jokers Zähne fräsen sich in den Arm des Mannes. Blutergüsse vermeidet auch der Schutzanzug nicht. „Aus“, befiehlt Brühl. Joker scheint eine Millisekunde zu überlegen, ob das sein muss. Dann folgt er, widerwillig.

Schutzhunde müssen lernen, auf Kommando zuzubeißen. Und noch schwieriger: auch wieder loszulassen.
Schutzhunde müssen lernen, auf Kommando zuzubeißen. Und noch schwieriger: auch wieder loszulassen. © Symbolfoto: Ronald Bonss

Realität wird diese Übung oft, und doch schrecken Hunde stärker ab als Polizeipferde, die Dynamospiele manchmal mit tiefen Schnittwunden verlassen. Schutzhund werden alle Mitglieder der Dresdner Staffel, Hugos Suchspezialisierung wird nach Seiferts Wunsch Sprengstoff, wie bei Hasso. Zu durchgedreht darf ein Sprengstoffhund nicht sein, sonst kann die Karriere schneller enden als im Kabinett von Donald Trump. „Er muss ruhig, gelassen arbeiten, darf kein hektischer, grober sein, der was berührt und verschiebt.“ Unkonventionelle Spreng-/Brandvorrichtungen, im Polizeijargon USBV, sind das Ziel von Seiferts Suchen. Hektik kann da explosiv enden.

Besonders häufig sucht er im Landtag, noch häufiger um die Landtagswahl. Manchmal zusammen mit einem anderen Fast-Rentner: Cicko, der letzte Riesenschnauzer von Sachsens Polizei. Den Landtag hat er häufiger besucht als mancher Abgeordneter. Wie so eine Suche läuft? Elf Tage vor der Wahl: Nach ein paar Flüsterworten seines Herrchens hastet Cicko los. 

Durch einen Saal, den später Spitzen der sächsischen Politik betreten werden. Die Rute wedelt, der ergraute Langhaarriese schnüffelt Bildschirme ab, sein Schnauzer wischt über Lautsprecher und Kabel. Er steckt den Kopf unter die Bühne, hüpft auf Kisten, wuselt hinters Pult. „Spüre“, befiehlt das Herrchen. Die Schnüffeleien bleiben fundlos. Wie so oft, Sprengstoffhunde arbeiten präventiv. Hassos größter Erfolg: Patronenhülsen nach einer Schießerei. Beweise, die es vor Gericht sonst nicht gegeben hätte. Wie man Erfolge wittert? Cickos Herrchen macht es vor: Der Fang geht zu, die Nase schnüffelt intensiver, und mit Ziel.

Ein Silberkoffer voller Sprengstoff

Zurück in der Gegenwart könnte man Tino Seifert erneut in einem Gaunerstreifen wähnen. Am Filmset, beim Kaffee. Den serviert er mit Milch, Zucker und Sprengstoff. Aus einem silbernen Koffer, der in der Vorstellung von Klischee-Liebhabern voll Erpressungsgeld fürs neue Leben von Bankräubern auf Bali taugen würde. 

Tatsächlich reihen sich darin braune Gläser. Mehr als ein Dutzend Proben, die Sprengstoffhunde auswendiger kennen als Schlagerfans die Songs von Roland Kaiser. Würde Seifert den Koffer anzünden, die Hundestaffel wäre ein Ascheloch. Warum er das weiß? Immer wieder kooperiert die Staffel mit der Bundeswehr, um beim Sprengen die Wirkungen von Mengen kennenzulernen.

Nach 30 Minuten ist genug Energie für die Such-Pause aufgebraucht. 25.000 Gerüche kennt der Hund, den einen herauszufiltern, strengt an. Fasziniert, sagt Hundeführerin Manuela Brühl, sei sie von der Fährtensuche. Ihr Hund sucht Kriminelle und Vermisste. „Egal wie oft die gesuchte Dame ins Altersheim gelaufen ist, nur die frischeste Spur greift er auf.“ Auch ohne Funderfolg eröffnen Fährtenhunde Ermittlungsansätze. Zeigen, wohin jemand nach der Tat gerannt ist, zu welchem Fluchtfahrzeug. Beweise, die Hundeführer vor Gericht in Menschensprache übersetzen.

Wenn es nach Polizeihundeführer Tino Seifert geht, wird sein neuer Hund Hugo der Nachfolger von Hasse und spezialisiert sich auf die Suche von Sprengstoff und Waffen.
Wenn es nach Polizeihundeführer Tino Seifert geht, wird sein neuer Hund Hugo der Nachfolger von Hasse und spezialisiert sich auf die Suche von Sprengstoff und Waffen. © ronaldbonss.com

Paradies und Hölle eröffnen sich für Drogenjunkies auf der Wiese vor der Alberthafenmauer: eine Menge Drogen, eine Menge Polizei. Menschenaugen sehen nur grünes Gras und große Bäume. Feuchte Nasen schnüffeln Stoff. Legale und illegale Pflanzen kreuzen den Weg von Drogenhündin Blue. Ihr Führer weiß nicht, wo der Stoff verborgen liegt. Nur ein Kollege, der ihn für die Übung ausgelegt hat. Heroin, Hasch, Cannabis, Koks: Funde aus echten Razzien. 

Blue rennt, die Kreise werden kleiner, verdichten sich unter dem Baum. Ihr Blick ragt gen Himmel. „Sie zeigt an“, sagt Seifert, erklärt die Grundregel des Business’ von Blue: „Der Blick geht zum Stoff.“ Blue meint den Baum. Sie hat recht. In einer Blätter-Roulade thront ein majestätisch großer Haufen Cannabis. Klassisches Versteck. „Ein richtiger Dealer hat nie Riesen-Mengen Zuhause“, sagt Seifert. „So blöd sind die nicht, manche haben da ihre Familien, mit denen sie Vorzeigeleben führen.“

"Echtstoff ist durch nichts zu ersetzen", sagt der Drogenhundeführer, der Proben aus diesem Koffer für eine Übung versteckt. Das LKA beliefert die Hundestaffel regelmäßig mit Fund-Substanzen aus Razzien.
"Echtstoff ist durch nichts zu ersetzen", sagt der Drogenhundeführer, der Proben aus diesem Koffer für eine Übung versteckt. Das LKA beliefert die Hundestaffel regelmäßig mit Fund-Substanzen aus Razzien. © ronaldbonss.com

Nächste Station: Kokain. Zwischen den Gräsern wittert Blue das pergamentfarbene Pulver. Das Landeskriminalamt (LKA) hat es beschlagnahmt. „Echtstoff ist durch nichts zu ersetzen“, sagt der Drogen-Verstecker. Regelmäßiger Nachschub sei unerlässlich, damit die Hunde gezielt nach marktaktuellen Substanz-Zusammensetzungen suchen können. Einen silbernen Koffer wie Seifert hat auch der Drogenexperte dabei. Mit Reihen voller Gläser, ein paar davon leer. „Das sind alle gängigen Stoffe“, sagt er. Die leeren sind für Neuigkeiten auf dem Markt. Blue hat die letzte Probe erschnüffelt: einen Beutel Heroin.

Sie holt sich die Belohnung ab. Der Kreislauf beim Training, sagt Seifert, sei immer gleich: „Ich suche, finde, bekomme. Das macht die Hunde relativ zuverlässig, so dass ich sie zu jeder Tag- und Nachtzeit, in jeder Lage motivieren kann.“ Drogenhunde erleben die meisten Erfolge. Häufig gehen Ermittlungen voraus, sie durchsuchen Wohnungen mit Wahrscheinlichkeit. Zwei Kilogramm Hasch waren die größte Menge, die zwei anwesende Rauschgiftexperten fanden. An einem Ort, der originell genug ist, um zu inspirieren. Und somit nicht in der Zeitung stehen soll. Im Kaffee jedenfalls, sagt Seifert, finden Hunde den Stoff entgegen gängiger Gerüchte.

Drogenhündin Blue zeigt an, dass sie Cannabis riecht. Auf einem Baum, ein typisches Versteck von Dealern.
Drogenhündin Blue zeigt an, dass sie Cannabis riecht. Auf einem Baum, ein typisches Versteck von Dealern. © Ronald Bonß

Hugo sitzt wieder hinter Gittern, wartet auf den Feierabend. Vielleicht grübelt er. Nicht, wie andere Häftlinge, über seine Taten, sondern über seine Zukunft. Ob es Sprengstoff wird, ist noch nicht sicher. Bis Jahresende übernimmt Hasso den Job an Seiferts Seite. Da bleibt er, auch als Rentner-Hund. „Hoffentlich länger als mein letzter“, sagt Seifert. Der hat nur zehn Tage erlebt. Bei einem Hund, der sein ganzes Leben als treuer Gefährte in gefährlichen Situation gedient habe, schmerze das besonders. Verdient hätte Hasso mehr, sagt Seifert. 

„Wenn der letzte Tag naht, das ist besonders schlimm.“ Tränen rinnen am Rand seiner Augen zu einem Mini-Staudamm. „Bei dem Gedanken krieg ich gleich Gesichts-Tsunami.“ Seifert sitzt in der Runde seines Teams. Tränen belächelt hier niemand. Abschiede kennen alle, mancher hält den 17. Hund. „Die sind immer freundlich, sagen: Ja, lass uns was machen“, schwärmt einer. Von Treue, Verlässlichkeit, mehr als je bei Menschen, spricht ein anderer. „Jeder Hund ist wie ein Kollege mit eigener Persönlichkeit“, sagt Manuela Brühl. Nur, dass die nach Feierabend mitkommen. Hinter Gittern bleiben nur die Gauner.