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Junge Garde: Von der Kiesgrube zum Kulturtempel

Seit 65 Jahren ist die Junge Garde eine feste Adresse für Kultur in Dresden. Heute ist sie die Rettung in der Pandemie. Dabei wollte die Stadt einst etwas anderes.

Von Ralf Hübner
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Die Freilichtbühne „Junge Garde“ auf einer Ansicht um 1962. Am Anfang gab es vor allem Unterhaltungs- und Familienprogramme.
Die Freilichtbühne „Junge Garde“ auf einer Ansicht um 1962. Am Anfang gab es vor allem Unterhaltungs- und Familienprogramme. © Sammlung H. Naumann

Dresden. Der Veranstaltungskalender der Freilichtbühne „Junge Garde“ ist wieder gut gefüllt. Viele Größen des Rock, Pop und Schlager haben dort in den vergangenen Jahren ihre Visitenkarte abgegeben. Bei der Eröffnung vor 65 Jahren am 12. August 1955 stand jedoch mit dem II. Pioniertreffen der DDR-Kinderorganisation eine gänzlich andere Schau auf dem Programm.

Die Dresdner hatten großteils in unbezahlter Arbeit im Rahmen des „Nationalen Aufbauwerkes“ von 1954 an eine alte Kiesgrube in einen Kulturtempel verwandelt. „Eine Blaskapelle der Jungen Pioniere spielte“, berichtete die Sächsische Zeitung von dem Ereignis. „Es war ein schönes Bild: Das Grün der Bäume, die weißen Blusen unserer Thälmann-Pioniere und die mit den Fahnen der Nationen geschmückte Bühne, an deren Front ein ‚Seid bereit!‘ leuchtete.“ 

Name stammt aus Arbeiterkampflied

Auch Vertreter von SED, der Stadt und „sowjetische Freunde“ hätten dem feierlichen Augenblick der Eröffnung und der Namensgebung beigewohnt. Der Name war in Anlehnung an eine Verszeile in einem damals allgemein bekannten Arbeiterkampflied gewählt worden, in dem von der „Jungen Garde des Proletariats“ die Rede ist. Wenige Tage nach dem feierlichen Ereignis sangen und tanzten Sowjetsoldaten auf der Bühne für die Pioniere: Russische Volkslieder, Kampflieder der internationalen Arbeiterbewegung, Lieder in deutscher Sprache und als Höhepunkt ein humorvoller Soldatentanz mit fast akrobatischen Sprüngen, wie es hieß.

Der Entwurf für die „Junge Garde“ stammt vom damaligen Chefarchitekten der Stadt, Herbert Schneider, der unter anderem auch beim Wiederaufbau des Altmarktes seine Spuren hinterließ. Er kam aus Zwickau, hatte in Hamburg eine Tischlerlehre absolviert und ab 1924 in Dresden an der Kunstgewerbeschule Architektur und Raumkunst studiert. Er arbeitete unter anderem an der Hans-Richter-Siedlung in Trachau mit, war dann freier Architekt und wurde nach dem Krieg vor allem durch seinen Wiederaufbauplan für die Stadt Dresden bekannt. Von 1954 bis 1961 war Schneider Dresdner Chefarchitekt. Von ihm stammt unter anderem das ehemalige Gebäude des Kabaretts „Die Herkuleskeule“.

Die Stadt wollte eigentlich eine Freilichtbühne für 10.000 Zuschauer. Doch dafür war nicht genügend Platz. Die ovale Anlage hat die Form eines antiken Amphietheaters. Die Traversen steigen sechs Meter an. Die Sichtverhältnisse sind optimal. Das Bühnenhaus mit seinen beiden Flügelanlagen und dem Verbindungsgang erinnert an ein barockes Sommerschlösschen und knüpft an die Architektur der Kavaliershäuschen im Großen Garten an, es erinnert an das Schloss in Pillnitz mit dessen ostasiatische Einflüssen.

Das Areal der „Junge Garde“ war im Zuge einer letzten großen Erweiterung 1875 zum Großen Garten hinzugekommen, die vorgenommen wurde, als die Häuser der wachsenden Stadt dem Park immer näher rückten.

Prächtiger Rosengarten angelegt

Die „Junge Garde“ war jedoch nicht die erste Theateranlage im Großen Garten. Schon 1856 hatte Josef Ferdinand Nesmüller etwa dort, wo sich jetzt die Gleisschleife am Bahnhof Zoo der Parkeisenbahn befindet, ein Sommertheater errichtet. Der sächsische König Johann, selbst ein begeisterter Theatergänger, hatte ihm die Fläche kostenfrei zur Verfügung gestellt. 

Der Theaterdirektor, der eigentlich Josef Ferdinand Müller hieß, ließ nach seinen Ideen eine Freilichtbühne errichten: Ein prachtvoller, verspielter Bau mit kleinen Türmchen. Es hatte Balkons, Logen und Ränge – insgesamt 1.200 Plätze. An heißen Sommertagen schützte die Besucher ein Sonnensegel. Um das Theater wurde ein prächtiger Rosengarten angelegt. Es war in Dresden das einzige der damals in vielen Städten typischen Gartentheater. Gespielt wurde von Mai bis September oder Anfang Oktober.

In den vergangenen Jahren wurde die in die Jahre gekommene Junge Garde saniert.
In den vergangenen Jahren wurde die in die Jahre gekommene Junge Garde saniert. © René Meinig

Anfangs konnte sich Nesmüller über steigende Besucherzahlen freuen. Er hatte in Dresden das bürgerliche Volkstheater etabliert. Dann aber kam der Deutsch-Französische Krieg, später machten ihm neue Theater in der Stadt Konkurrenz. Ihm ging seine Winterspielstätte im Gewandhaus verloren, neu angemietete Bühnen erwiesen sich als Verlustgeschäft. Nesmüller geriet in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Am 18. Juli 1881 fiel in dessen Sommertheater der letzte Vorhang.

Bei der Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg wurde auch der Große Garten schwer getroffen. Alle Gebäude auf dessen Gelände brannten aus. Es wurden 150 Bombenkrater gezählt. Nach Kriegsende sollt der Große Garten zu einem Kulturpark nach sowjetischem Vorbild umgestaltet werden. Der Bau der „Jungen Garde“ entsprach diesen Vorstellungen und sollte das kulturelle Angebot in Dresden verbessern. Die Bühne wurde bis 1989 vor allem für Unterhaltungs- und Familienprogramme oder auch politische Veranstaltungen, später auch für Rockkonzerte und Filmvorführungen genutzt. Nach 1990 übernahmen die „Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten“ die Verwaltung und Pflege der Freilichtbühne.

Heute ist die Junge Garde die Tettung des Theaters in Coronazeiten: Ein Team aus privaten Theatern, Veranstaltern und Künstlern hat sich zusammengeschlossen und spielt hier Theater und gibt Konzerte unter dem Titel "Mit Abstand das beste Open Air Theater
Heute ist die Junge Garde die Tettung des Theaters in Coronazeiten: Ein Team aus privaten Theatern, Veranstaltern und Künstlern hat sich zusammengeschlossen und spielt hier Theater und gibt Konzerte unter dem Titel "Mit Abstand das beste Open Air Theater © Robert Michael/dpa

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