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Merkel will Rentensünde nicht korrigieren

Wer in eine betrieblichen Altersvorsorge eingezahlt hat, muss den Krankenkassenbeitrag zweimal zahlen. Die Groko bekommt keine Änderung hin.

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Mehrfach demonstrierten Arbeitnehmer und Rentner gegen die doppelte Beitragspflicht bei der privaten Altersvorsorge, hier ein Foto einer Demo im Juni 2019 vor dem Finanzministerium in Dresden.
Mehrfach demonstrierten Arbeitnehmer und Rentner gegen die doppelte Beitragspflicht bei der privaten Altersvorsorge, hier ein Foto einer Demo im Juni 2019 vor dem Finanzministerium in Dresden. © Matthias Rietschel

Von Peter Heimann

Für viele Millionen jetzige und künftige Rentner ist es mehr als ein Ärgernis: Auf Bezüge aus der betrieblichen Altersvorsorge müssen sie den Arbeitnehmer- und den Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zahlen. Von jedem Euro sind so fast 20 Cent wieder weg – oft völlig überraschend, weil beim Abschluss der Verträge vor vielen Jahren davon keine Rede war.

Dabei haben viele Arbeitnehmer auf ausdrücklichen Rat der Politik zusätzlich fleißig gespart, weil ihre gesetzliche Rente allein nicht ausreicht, um den Lebensstandard einigermaßen zu halten. Und beim Eintritt in den Ruhestand melden sich dann die gesetzlichen Kassen bei allen, die in ihrem Berufsleben etwas für das Alter zurücklegten: bei Versorgungswerken, Direktversicherungen, Pensionsfonds und -kassen. Sie alle müssen – auch rückwirkend – den vollen Beitrag für Krankenkasse und Pflegeversicherung von derzeit je nach Kasse um die 18, 19 Prozent wieder abgeben. Nur privat Krankenversicherte – ausgerechnet – werden komplett verschont.

Viele Arbeitnehmer, die in den letzten Jahren, jetzt oder bald in Rente gehen, müssen sich deswegen auf Einbußen im Alter von bis zu mehreren Tausend Euro einstellen. Und künftig wohl gerade die, die glauben, mit alten Lebensversicherungsverträgen mit noch höheren Zinsen einen ordentlichen Schnitt zu machen. Seit Jahren landen deswegen in den Berliner Abgeordnetenbüros Briefe von empörten Ruheständlern, die sich von der Politik getäuscht sehen. Viele Betroffene empfinden es als schweren Vertrauensbruch, dass sie in der Ansparphase Sozialbeiträge abführen müssen und dann noch einmal bei Auszahlung der Betriebsrenten.

Doch voriges Jahr kam Bewegung in die Angelegenheit. Nachdem die SPD bereits eine Abkehr von der 2004 eingeführten doppelten Beitragspflicht versprochen hatte, zog die CDU mit einem Beschluss auf ihrem Parteitag Anfang Dezember vorigen Jahres nach. Eine rückwirkende Entschädigung allerdings ist nicht realistisch. Die Kosten dafür werden immerhin auf um die 40 Milliarden Euro beziffert.

Doch zumindest bei künftigen Bezügen von Betriebsrentnern und bei Kapitalauszahlungen von Direktversicherungen oder berufsständischen Versorgungswerken wollte die Große Koalition die Belastung mildern. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte dazu rasch einen Gesetzentwurf erarbeitet. Kern: Die Krankenkassenbeiträge auf Betriebsrenten sollen ab dem 1. Januar 2020 halbiert werden. „Ziel des Gesetzentwurfes ist es, Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung von den Beiträgen, die sie im Alter auf Versorgungsbezüge zu leisten haben, spürbar zu entlasten“, hieß es im Entwurf. 

"Wir müssen etwas tun"

Das Volumen der angestrebten Entlastung bei Beitragshalbierung wird darin auf drei Milliarden Euro beziffert. Doch der Entwurf schaffte es nicht einmal ins Kabinett. Kanzlerin Angela Merkel blockte die Lösung ab und schob sie in die Ablage P: zu teuer, keine Priorität. 

Seither mühen sich Politiker aus Regierung und Fraktionen der Großen Koalition in mehreren Verhandlungsrunden um eine Lösung – ergebnislos. Zwar heißt es von allen Seiten immer wieder, man müsse endlich etwas zur versprochenen Entlastung bei der betrieblichen Altersvorsorge liefern. Passiert ist aber nichts.

Zuletzt war von einem Kompromiss die Rede: Die bisherige Freigrenze bei Betriebsrenten sollte in einen Freibetrag umgestellt werden. Sie liegt derzeit bei 155,75 Euro im Monat. Jetzt gilt: Wer weniger Betriebsrente bekommt, ist von der Beitragszahlung befreit. Dann sollte gelten: Für alle sollte der Freibetrag abgabenfrei sein. Doch der SPD war das zu wenig, der Union andere Regelungen zu teuer.

Gerade erst hat Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer dazu getwittert: „Seit Monaten ist die Doppelverbeitragung ein Thema, das vielen Menschen unter den Nägeln brennt. Immer wieder wird vom Bund Abhilfe versprochen, doch es passiert nichts. Das geht so nicht.“ Wichtig sei nun, dass die Fragen, die die Menschen beschäftigten, auch geklärt würden. Es bringe nichts, immer nur darüber zu sprechen, welche Sorgen es in den neuen Ländern gebe. Es gebe eine ganze Reihe von Dingen, die getan werden können, um Vertrauen wieder zurückzugewinnen. „Aber man muss es eben dann auch machen.“

Noch jedenfalls sieht es bei der Renten-Sünde nicht danach aus. Ausgelöst wurde die Abkassiererei durch eine Gesundheitsreform 2004, die auf dem Papier den vernebelnden Titel „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ trug. Den Kassen ging es – im Gegensatz zu heute – finanziell schlecht. 

Ulla Schmidt, damals SPD-Gesundheitsministerin bei Rot-Grün, handelte die Beitragspflicht mit Horst Seehofer, damals noch für Sozialpolitik zuständiger Fraktionsvize der Union, im Hauruckverfahren aus. Beide knüpften ein engmaschiges Netz. „Alle Rentnerinnen und Rentner zahlen künftig von ihren sonstigen Versorgungsbezügen volle Beiträge“, hieß es in der Gesetzesbegründung. Doch was unter dem Stichwort „Belastungsgerechtigkeit“ daherkam, trifft ausgerechnet jene, die dem mahnenden Rat vieler Politiker folgten und in eine betriebliche Altersvorsorge investiert haben.