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Sachsen, deine Wiesen

Teil 3 der großen SZ-Naturserie: Die Gräser, die Blumen, die Insekten. Das große Krabbeln beginnt viel zu früh.

Von Stephan Schön
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Blühende Gänseblümchen stehen auf einer Wiese.
Blühende Gänseblümchen stehen auf einer Wiese. © dpa

Es ist grün wie im Mai, nur noch nicht so bunt. Pollen fliegen ohne Ende, die Bienen auch. Schon lange ist die Wiese erwacht. Seit Wochen drängen die Blüten ans Licht. Die Insekten auch. Das große Krabbeln hat viel zu früh begonnen. Und die Große Holzbiene ist sogar schon seit Januar unterwegs. Es ist eher ein Glück für sie, dass auch die Natur unter ihr, die Gräser, die ersten Blumen, viele Sträucher sich so zeitig auf Frühling eingestellt haben. Drei Wochen zu früh ist die Vegetation. Die Insekten folgen ihr. Selbst die Bienen haben den richtigen Zeitpunkt erwischt.

„Die Entwicklung der Vegetation verlagert sich in eine Zeit, in der normalerweise noch Ruhe ist“, sagt Christoph Neinhuis. Professor für Botanik an der TU Dresden. Eigentlich ist dieses frühe Frühjahr richtig schön. Für uns, aber auch für die Pflanzen ganz unten. Die kleinen Gewächse, die sonst ab Ende Mai nur noch den Schatten der Bäume abbekommen. Sie nutzen ihre Chance, denn die großen Bäume reagieren etwas träger. Winterlinge, die erst im März blühen, hatten sich bereits im Dezember gezeigt.

Ein Schachbrettfalter und ein Käfer sitzen auf einer Blume.
Ein Schachbrettfalter und ein Käfer sitzen auf einer Blume. © dpa

Scharbockskraut mit kleinen gelben Blüten ist seit Mitte März da. Und schon wieder weg. So wird es den anderen auch ergehen. Denn wer zeitiger blüht, ist auch zeitiger verschwunden. Frühjahrsblüher sind nicht unbedingt die Gewinner der wärmeren Jahreszeit, sagt Neinhuis. Vielleicht ein paar Sträucher, die es im Herbst noch mal zu einer zweiten Blüte treibt, zählen zu den Gewinnern. Gräser werden profitieren und neue, gebietsfremde Arten. „Die heimische Natur indes ist damit eher unter Stress gesetzt. Die höheren Temperaturen verbunden mit Trockenheit beenden die Vegetationsperiode dann vorzeitig.“

Pflanzen gehen auf Wanderschaft. Einige ziehen in den Norden, andere ins Gebirge. Dokumentationen zu den Blühpflanzen von vor 100 Jahren sind komplett überholt. Mehr als 1.000 Kilometer nach Norden haben sich einige Standorte verschoben. Und jedes Jahr verschwinden aus Sachsen zwei bis drei weitere Arten für immer. Die Orchideen sind bis auf wenige schon weg. In Auwäldern, Moorgebieten auf Sumpfwiesen halten sie noch durch.

Wo sind die bunten Wiesen hin?

Die Spezialisten gehen immer zuerst. Auch jene die an Wasserrändern stehen, und denen die Trockenheit zusetzt. Wiesenpflanzen, die nährstoffarmen Boden brauchen, verschwinden vor allem durch die Stickstoffdüngung. Selbst Feldränder geben daher vielen Blumen keine Chance mehr. Die bunten Wiesen, sagt Neinhuis, die gibt es so kaum noch. Erzgebirgs-Magerwiesen zeigen indes, wie es sein könnte. Mit viel Aufwand werden sie bewirtschaftet. Weniger gemäht. Nicht gedüngt.

Die Städte bekommen jetzt eine ganz neue Bedeutung. Straßenränder, Parks, Gärten sind die neuen Zentren der Artenvielfalt. „Hier blüht überhaupt noch was“, sagt Neinhuis. „Es gibt Pollen und Nektar für Insekten, wenn auch oft nicht von einheimischen Pflanzen.“ Was kleine Parks bringen, zeigt eine Studie im Botanischen Garten Dresden. 10.000 Pflanzen auf kleiner Fläche, viele uralte Arten, auch reihenweise neue von außerhalb sind dabei.

Die Hälfte aller in Sachsen überhaupt vorkommenden Bienenarten fliegt hier. „Es muss nicht die einheimische Pflanze sein, Vielfalt ist entscheidend.“ Matthias Nuß, der an der Studie beteiligt war, kann das nur bestätigen. Er ist für die Schmetterlinge Sektionsleiter der Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden. Geht es den Wiesen gut, dann auch den Insekten.

Eine Biene sammelt in der Blüte eines Apfelbaums Nektar.
Eine Biene sammelt in der Blüte eines Apfelbaums Nektar. © dpa

Bienen bekommen es als Erste zu spüren, wenn etwas mit den Pollen nicht stimmt, wenn dort im Eiweiß Herbizide enthalten sind. 411 Wildbienenarten gab es in Sachsen einst, mehr als die Hälfte ist nicht mehr vorhanden, berichtet Tino Lorz, Vorsitzender des Dresdner Imkervereins. Genaues wisse niemand, Forschung dazu im Detail sei kaum vorhanden. „Und das, obwohl die Biene mit ihrer Bestäubungsleitung das drittwichtigste Nutztier Deutschlands ist.“

In den Bienenstöcken der sächsischen Imker leben etwa 60.000 Völker. „30 Prozent davon sind im letzten Winter gestorben“, sagt Lorz. Die Varroamilbe setzt ihnen seit 40 Jahren zu und mit ihr kommen Viren in den Bienenstock, trotz Behandlung mit Chemikalien. Aber es gibt Hoffnung. Es beginnen Projekte, die jene Königinnen finden sollen, denen die Milbe nicht schadet. Und wie der Landesverband der Imker weiß, nimmt die Zahl der Bienenvölker in Sachsen trotz allem zu, besonders in den drei großen Städten Dresden, Leipzig und Chemnitz.

33.000 Insektenarten gibt es in Deutschland, schätzungsweise 25.000 in Sachsen. Niemand könnte sie alle beobachten und bewerten. Für 1.533 wurde aber bisher eine Analyse gemacht. 673 davon stehen nun auf der Roten Liste bedrohter Arten.

Die Tagfalter sind dabei als Artengruppe mit am besten untersucht. 125 Verschiedene gelten als hier ansässig. 16 Arten davon sind in den vergangenen 100 Jahren verschwunden. Noch einmal so viele sind derzeit vom Aussterben bedroht. Damit wäre dann ein Viertel aller Arten weg.

Was macht die neue Biene hier?

Nein, es gibt nicht nur Verlierer. Während die meisten Insekten durch zuviel Stickstoff einen toxischen Schock bekommen, kommen einige ganz gut damit klar. Das Tagpfauenauge und der Kleine Fuchs zum Beispiel. Sie leben schon immer an stickstoffreichen Pflanzen wie Brennnesseln und sind damit besser angepasst.

Und dann war ja auch noch die Große Holzbiene. Die gab es bis 2004 in Sachsen noch nicht. Es ist eine südliche Art. Eine aufwendige Fundkartierung mit Geodaten und Klimawerten habe ihre Wege nach Sachsen nachvollziehbar gemacht. „Sie war entlang der milden Flusstäler von Westen kommend hierher gekommen.“ Und noch eine gute Nachricht: „Nach jetzigem Wissensstand ist sie für keine andere Art ein Problem. Sie sammelt wie andere auch Pollen und lebt in abgestorbenem Holz“, sagt Nuß.

So wie sie kommen die meisten neuen Insektenarten von Westen herein. Nach dem Osten hin verschwinden Arten indes. „Da steht uns viel bevor. Wir werden viele Insektenarten aus dem Süden bekommen. Wir werden aber auch viele verlieren.“

Bisher in dieser Serie erschienen:

Teil 1: So verändern sich die Wälder in Sachsen

Der große Report über den sächsischen Wald. Wie es ihm gerade geht. Was ihn stark macht. Wer sein größter Feind ist.

Teil 2: Sachsen, deine wilden Tiere

Die Wildtiere in unseren Wäldern entwickeln sich überraschend anders.