SZ + Görlitz
Merken

Neue Hoffnung für die Bismarckstraße

Drei Bauherren sanieren zeitgleich ihre Häuser. Das ist kein Zufall.

Von Ingo Kramer
 8 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Bauherr Christoph Rehmann (r.) aus Burgrieden bei Ulm und Architekt René Wauer aus Görlitz hauchen der Bismarckstraße 9 wieder Leben ein. Das Haus hat einen großen Hinterhof und den Blick zur ehemaligen Synagoge.
Bauherr Christoph Rehmann (r.) aus Burgrieden bei Ulm und Architekt René Wauer aus Görlitz hauchen der Bismarckstraße 9 wieder Leben ein. Das Haus hat einen großen Hinterhof und den Blick zur ehemaligen Synagoge. © André Schulze

Wenn Christoph Rehmann auf dem Gerüst seines Hauses in der Bismarckstraße 9 steht, blickt er nicht einfach nur ins Grüne, sondern auf ein historisches Stück Land. Sein Haus hatte einst ein Hinterhaus. Und darin eröffnete der berühmte Fotograf Robert Scholz (1843-1926) im Jahr 1867 sein Atelier. Scholz ist einer der wichtigsten Fotografen der Stadtgeschichte, das Ratsarchiv bringt jährlich einen Kalender mit seinen Görlitz-Fotos heraus.

Das Hinterhaus, in dem er wirkte, war aber so eingefallen, dass es 2012 schließlich abgerissen werden musste. „Vielleicht bringen wir vorn an der Fassade eine Gedenktafel für Robert Scholz an“, sagt Christoph Rehmann. Dem 56-Jährigen aus Burgrieden bei Ulm und seinem 30-jährigen Sohn Johannes gehört das Haus Bismarckstraße 9 seit 2018. Beide sanieren es.

Die Häuser Bismarckstraße 8, 9 und 10 (von links) sind derzeit eingerüstet.
Die Häuser Bismarckstraße 8, 9 und 10 (von links) sind derzeit eingerüstet. © Nikolai Schmidt

Doch es ist nicht nur wegen Scholz eine besondere Baustelle. Stattdessen ist die Nummer 9 das mittlere von drei Häusern, die aktuell von drei verschiedenen Bauherren saniert werden. Alle haben fast gleichzeitig losgelegt, alle wollen im ersten Halbjahr 2021 fertig sein, jeder investiert voraussichtlich rund 1,2 Millionen Euro. Und: Alle teilen sich einen gemeinsamen Innenhof, der so groß ist, dass dort Stellplätze für einen Großteil der künftigen Mieter entstehen sollen, aber auch größere Grünflächen mit Spielgeräten, Fahrradstellplätze und vieles mehr. Zäune gibt es im Innenhof nicht und soll es auch künftig nicht geben.

Einheitlicher Plan für den Hof

Die früheren Eigentümer haben ein Gesamtkonzept entworfen, sagt Jan Klahre, Miteigentümer der Bismarckstraße 8. Es beinhalte einen einheitlichen Plan für den Hof. Einzige Zufahrt für Autos ist die Tordurchfahrt des mittleren Hauses, das auch das größte Grundstück besitzt. „Das Nutzungsrecht der Durchfahrt steht im Grundbuch“, berichtet der 44-Jährige. Er ist derjenige, der die meisten Wohnungen baut: 14 Stück, darunter acht im Vorder- und sechs im Hinterhaus. Sein Hinterhaus ist das einzige, das auf dem Grundstück noch übrig ist: Eine ehemalige Schule, die in den 1890er Jahren gebaut wurde. Christoph Rehmann baut sechs Wohnungen, in der Nummer 10 entstehen vier Wohnungen. Insgesamt sind es also 24 Wohnungen.

Zur Bismarckstraße 8 gehört das große Hinterhaus (rechts), eine frühere Schule.
Zur Bismarckstraße 8 gehört das große Hinterhaus (rechts), eine frühere Schule. © Nikolai Schmidt

Die Bismarckstraße 10 gehört Daniela und Hans Düttmann aus Berlin. Die beiden 70-Jährigen kennen die Straße am längsten. „Ein Freund von uns aus Berlin hatte vor zehn Jahren die anderen beiden Häuser gekauft“, sagt Hans Düttmann: „Er hat uns überredet, das dritte Haus zu nehmen.“ Die Idee mit dem großen, gemeinsamen Hof fanden Düttmanns gut, deshalb erwarben sie das Haus bei einer Zwangsversteigerung. Vor acht, neun Jahren habe es eine Sicherung gegeben, berichtet Düttmann. Dabei wurde das Scholz-Haus abgerissen. Die desolaten Vorderhäuser bekamen teilweise neue Zwischendecken und Dächer. Von da an standen sie erst einmal sicher. „Dann ist lange nichts passiert“, sagt Düttmann.

Keiner wollte beide Häuser haben

Mittlerweile sei der Freund, dem die anderen beiden Häuser gehörten, 80 Jahre alt. Aus Altersgründen entschloss er sich zum Rückzug. Er wollte seine Häuser gemeinsam verkaufen, fand aber niemanden, der beide haben wollte. „Zwei waren mir zu viel, aber ich bin drangeblieben“, sagt Rehmann. Irgendwann sei der Berliner bereit gewesen, sie einzeln zu verkaufen. 2018 schlug er zu. Klahre und seine Mitstreiter kauften die Nummer 8 schließlich im Januar 2019. „Als wir kamen, stand nur noch dieses Haus zur Verfügung“, sagt er. Und dann kam es zum Happy End: Weil beide Neu-Eigentümer sanieren, entschlossen sich Düttmanns, jetzt ebenfalls loszulegen.

Daniela und Hans Düttmann aus Berlin sanieren das Haus Bismarckstraße 10. Hier entstehen große Wohnungen.
Daniela und Hans Düttmann aus Berlin sanieren das Haus Bismarckstraße 10. Hier entstehen große Wohnungen. © Nikolai Schmidt

Doch wie sind die Bauherren auf Görlitz gestoßen, was reizt sie hier, warum investieren sie an der Neiße? Auf diese Fragen erzählt jeder seine ganz persönliche Geschichte. Düttmanns hatten Görlitz einerseits bei einer Fahrradtour kennengelernt, andererseits hat der 80-jährige Freund sie auf die Stadt aufmerksam gemacht. Mit ihm haben sie in Berlin schon viele Projekte gemeinsam umgesetzt. Hans Düttmann ist nach wie vor als Architekt selbstständig, seine Frau hat seine Projekte stets mit gemanagt. „Wir haben in Berlin relativ viele denkmalgeschützte Häuser saniert, vor allem im Scheunenviertel in Mitte“, sagt sie. Görlitz gefällt ihm, ergänzt ihr Mann: „Wir sehen das Haus als unseren Beitrag, die Stadt zu erhalten.“ Seine Frau lobt die Behörden: „Die haben richtig Herzblut für die Häuser und kennen jedes einzelne Vorhaben.“ Das sei in Berlin ganz anders.

Zurück zu den schlesischen Wurzeln

Auch Rehmann hat schon oft saniert. Zumeist waren es einzelne Wohnungen in Süddeutschland und Leipzig, ein so großes Haus wie in der Bismarckstraße aber noch nie. Der Kaufpreis war ein Grund für Görlitz. „Aber ich mache das auch wegen Schlesien, ich wollte zurück zu meinen Wurzeln“, sagt er. Vier Generationen vor ihm sei die Familie schlesisch gewesen. Er selbst war 2014 erstmals hier und hat sich in die Stadt verliebt: „Sie hat genau die richtige Größe, die Lebenshaltungskosten sind günstig, und landschaftlich ist es auch sehr schön.“ Den Görlitzer Makler Frank Schacher kannte er beruflich, über ihn stieß er auf den Görlitzer Architekten René Wauer, der wiederum viel in Süddeutschland baut.

„Die beiden haben eine tiefe Marktkenntnis in Görlitz“, sagt Rehmann, der seit über 30 Jahren in der Finanzbranche arbeitet und Geschäftsführer eines kleinen Beratungsunternehmens im Finanzbereich ist. Zuerst habe er eine Eigentumswohnung an der Zittauer Straße gekauft. Sie ist saniert und vermietet. „Mein Ziel war es aber, ein Haus selbst zu sanieren und meine Vorstellungen von Qualität umzusetzen“, berichtet er. Über Schacher und Wauer fand er schließlich die Bismarckstraße 9.

Jan Klahre aus Halle steht in einem Wintergarten der Bismarckstraße 8. Er saniert das Haus zusammen mit zwei Freunden.
Jan Klahre aus Halle steht in einem Wintergarten der Bismarckstraße 8. Er saniert das Haus zusammen mit zwei Freunden. © Nikolai Schmidt

Jan Klahre hat mit zwei Freunden aus dem Raum Halle/Leipzig schon zwei Häuser in Halle und zwei in Chemnitz saniert. Der 44-Jährige ist Jurist, Diplom-Finanzwirt und arbeitet jetzt als Niederlassungsleiter einer Werbeagentur in Halle. Görlitz ist für das Trio eine reizvolle Stadt – wegen der Architektur, der Grenznähe zu Polen, aber auch den Hollywood-Filmdrehs. Klahre hatte beruflich öfter hier zu tun, kam aber auch mit Familie als Tourist her. Einer seiner Mitstreiter hat Freunde in Görlitz, kommt zwei- bis dreimal im Jahr her, kennt die Stadt also auch. So haben die drei gezielt nach Häusern in Görlitz gesucht. Die Bismarckstraße 8 hat ihnen gefallen. Es ist ein Haus, bei dem sich Klahre vorstellen könnte, selbst einzuziehen: „Das ist für mich nicht unwichtig.“ Inzwischen hat das Trio auch das äußerst marode Haus Sohrstraße 9/Ecke Emmerichstraße gekauft und will es ebenfalls sanieren.

Nachteile stören nicht allzu sehr

Die Nachteile der Bismarckstraße – starker Verkehr, hoher Leerstand – stören die drei Bauherren nicht. Stattdessen sehen sie den großen Hof mit den Stellplätzen als gutes Argument, die Wohnungen vermietet zu bekommen. „Weniger Verkehr würde dem Wohngebiet aber guttun“, sagt Daniela Düttmann. Sie sieht die Bismarckstraße durchaus im Aufwind: „Als wir hier angefangen haben, standen in der Straße noch mehr unsanierte Häuser, es gibt also Fortschritte.“ Rehmann und Wauer erleben das auch so. Beide glauben, dass weitere Häuser saniert werden. „Die Nummer 12 wurde verkauft, die leerstehenden Arztpraxen dort werden bald zu Wohnungen umgebaut“, sagt Wauer. Rehmann baut in seinem Haus Schallschutzfenster sowie eine kontrollierte Be- und Entlüftung ein: „Die Mieter werden die Straße nicht hören.“

Die Hoffassaden der Häuser 8, 9 und 10 (von rechts) sehen noch ruinös aus.
Die Hoffassaden der Häuser 8, 9 und 10 (von rechts) sehen noch ruinös aus. © Nikolai Schmidt

Jeder der Bauherren ist zuversichtlich, Mieter zu finden. Alle drei setzen auf hochwertige Sanierungen und große Balkone. Klahre kann von der Ein- bis zur Vierraumwohnung alles anbieten, auch Maisonetten. In vielen Wohnungen schafft er große Küchen, auf den Flachdächern von Vorder- und Hinterhaus baut er Photovoltaikanlagen, auch eine Luft-Wärme-Pumpe ist geplant. Düttmanns bauen vier große Wohnungen – je eine 115-Quadratmeter-Wohnung pro Etage. Nur die Nutzung des Erdgeschosses steht noch nicht fest. In ihrem Haus sind noch fast alle historischen Türen mit Kastenschlössern und andere Details erhalten. Bei Rehmann im mittleren Haus sind sechs Wohnungen zwischen 55 und 173 Quadratmetern geplant, von zwei bis sechs Zimmern. Der Clou in seinem Haus ist der Aufzug.

Im Preis unterscheiden sich die Wohnungen kaum: Klahre spricht von Mietpreisen um die sechs Euro pro Quadratmeter, Rehmann und Düttmann wollen zwischen sechs und 6,50 Euro verlangen. Klahre will im März fertig werden und hat schon die ersten Mietanfragen, Düttmanns wollen es bis Mai schaffen und suchen derzeit noch keine Mieter. Rehmanns Ziel heißt erstes Quartal 2021. Als Einziger hat er schon eine eigene Internetseite für die Vermietung.

Mehr Nachrichten aus Görlitz lesen Sie hier.

Mehr Nachrichten aus Niesky lesen Sie hier.