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Schäden wegen Sprengungen?

An mehreren Wurgwitzer Häusern reißen die Wände. Doch warum? Die Anwohner haben einen Verdacht.

Von Katarina Gust & Annett Heyse
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Wolfgang Nagel zeigt auf die Fassade, in der sich die Risse gebildet haben. Das gut 200 Jahre alte Haus steht an der Zöllmener Straße in Freital.
Wolfgang Nagel zeigt auf die Fassade, in der sich die Risse gebildet haben. Das gut 200 Jahre alte Haus steht an der Zöllmener Straße in Freital. © Andreas Weihs

Die ersten Berichte kamen von der Zöllmener Straße. Dann von der Weidenstraße. Schließlich tauchten auch Grundstückseigentümer der Straße Am Weinberg in den Sitzungen des Wurgwitzer Ortschaftsrates auf. „Die Anliegen waren jedes Mal dieselben“, schildert Ortsvorsteherin Jutta Ebert. 

Die Menschen hätten vorgetragen, dass im Mauerwerk ihrer Häuser Risse auftreten. Mal ging es um feine Spalten im Putz, mal um geborstene Fliesen im Bad. Und in jedem Vortrag schwang die bange Frage mit: Was passiert im Wurgwitzer Untergrund?

Der Frage möchte nun auch die Ortsvorsteherin genauer nachgehen. So zahlreich die Mängel, sind die Beobachtungen dazu deckungsgleich. Beobachtungen, wie die von Wolfgang Nagel. Nagel wohnt an der Zöllmener Straße, nicht weit vom Ortsausgang entfernt. Der Rentner wurde hier groß, inzwischen gehört das Gebäude seinem Neffen. „Ich mache mir Sorgen. Es sieht aus, als wolle das Haus irgendwann auseinanderfallen“, sagt er und zeigt auf die Fassade. Ein feiner Riss zackt von der ersten Etage ausgehend in Richtung Grundmauer. Auf der Rückseite ist der Schaden noch viel größer.

Das Haus ist nicht das Einzige in dem sich Risse gebildet haben.
Das Haus ist nicht das Einzige in dem sich Risse gebildet haben. © Andreas Weihs

Dort gibt es gleich zwei Risse, die das Gebäude in drei Teile spalten könnten. Einer beginnt unter der Dachkante, verläuft entlang des Fensters, kreuzt dabei wahllos Fensterlaibung und Fensterbank und endet schließlich am Sockel. Das Haus der Nagels ist gut 200 Jahre alt. Es wurde in den Siebzigerjahren generalüberholt, nach der Wende fand weitere Modernisierung statt. Solche Risse aber, versichert Wolfgang Nagel, habe es nie gegeben. „Der Erste trat 2018 auf, die anderen bildeten sich in diesem Jahr.“ Der oder die Gründe für die gehäuft auftretenden Bauwerksschäden sind unklar. Doch die Anwohner haben einen Verdacht.

Die Sprengungen im neuen Steinbruch, so die Gerüchteküche, könnten als Ursache infrage kommen. Auch Wolfgang Nagel hat schon erlebt, wie sich die Sprengungen anfühlen. „Ich saß zuhause, als plötzlich die Gläser anfingen, im Schrank zu klirren. So stelle ich mir ein Erdbeben vor.“ Ähnliche Schilderungen gibt es mehrere von der Zöllmener Straße.

Der Steinbruch am oberen Ende der Zöllmener Straße wurde 2006 von der Eiffage Infra-Rohstoffe aus Wilsdruff angelegt und schrittweise in Betrieb genommen. Das Bauunternehmen gewinnt hier Andesit für den Straßen- und Wegebau. Um das Gestein abzubauen, werden senkrechte Löcher, zwischen 10 bis 15 Meter tief, in den anstehenden Fels gebohrt und mit Sprengstoff gefüllt. Gezündet werde im Schnitt einmal monatlich, dabei würden zwischen 4 000 und 9 000 Kubikmeter Material gewonnen, heißt es bei Eiffage. Der Abbau im Steinbruch wandert in die nordöstliche Richtung, also auf die Zöllmener Straße zu. Das ist die Stoßrichtung der meisten Sprengungen. Allerdings muss technisch bedingt von Zeit zu Zeit auch in Richtung Westen und Osten gesprengt werden.

Um den Steinbruch überhaupt betreiben zu dürfen, war ein langwieriges Antragsverfahren notwendig. Es dauerte elf Jahre. Abgeklopft wurden zahlreiche Punkte, so auch die Auswirkungen auf die Wohnbebauung. Wie stark die Schwingungen, die auf die Umgebung ausstrahlen, sein dürfen, ist gesetzlich festgelegt.

Jürgen Kraus, Betriebsleiter Rohstoffe bei Eiffage, beteuert, dass sich das Unternehmen bei den Sprengungen an alle vorgeschriebenen Werte hält.
Jürgen Kraus, Betriebsleiter Rohstoffe bei Eiffage, beteuert, dass sich das Unternehmen bei den Sprengungen an alle vorgeschriebenen Werte hält. © Andreas Weihs

Aufgrund der zahlreichen Beschwerden von Anwohnern wegen der Erschütterungen und der Risse hat das Sächsische Oberbergamt Unterlagen der Sprengungen vom 23. Mai und 6. Juni 2019 angefordert. „Die Prüfung hat ergeben, dass die betreffenden Sprengungen im vollen Umfang den Vorgaben entsprachen und die Schwingungswerte weit unter den Richtwerten liegen“, teilt Christof Voigt, Abteilungsleiter in der Bergbaubehörde, mit. Gemessen wurde bei Beschwerdeführern der nächstgelegenen Wohnbebauung. Voigt: „Die Messwerte ergaben Erschütterungen von jeweils zehn Prozent der zulässigen Anhaltswerte.“ Auch in der Vergangenheit sollen die Sprengungen den Vorgaben entsprochen sein. Das beteuert Eiffage-Betriebsleiter Jürgen Kraus. „Wir können jede Sprengung lückenlos nachweisen und tun das auch. Wir halten uns absolut an die gesetzlichen Vorgaben.“ Inzwischen nehme man sogar weniger Sprengstoff, um den Kritikern entgegenzukommen. Niemals seien die Werte an den drei Messstellen auffällig gewesen.

Warum ist trotzdem Bewegung im Wurgwitzer Untergrund? Eine These, die unter den Hausbesitzern kursiert, ist die zum Altbergbau. Unter Wurgwitz wurde einst Steinkohle abgebaut. Geraten alte Stollen aufgrund der Sprengungen ins Rutschen, wie mancher vermutet?

Im Bereich von Wurgwitz erreichten die Steinkohleflöze die Tagesoberfläche. „Der Abbau der Kohle erfolgte aus vielen sogenannten Bauernschächten. Dabei wurden in der Regel keine Strecken aufgefahren“, heißt es dazu aus dem Oberbergamt. Die Bereiche, wo das Flöz unter der Grasnarbe begann, befinden sich jedoch nicht im Bereich Am Weinberg/Zöllmener Straße. „Nur an der Weidenstraße liegen uns Informationen zu Altbergbau vor. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass keine Gefährdungen von den Hinterlassenschaften des Altbergbaus ausgehen“, teilt Abteilungsleiter Voigt mit.

Er hat einige andere Erklärungen für die Bauwerksschäden. So könnte es zu Setzungen des Baugrunds infolge der Austrocknung 2018/19 kommen – ein Phänomen, das auch andernorts bereits beobachtet und diskutiert wird. Infrage kämen auch Bau- und Konstruktionsfehler sowie ungeeignete Putzuntergründe. Ebenso im Verdacht stehen ungeeignete Altfundamente unter den Gebäuden oder unsachgemäße Anbauten, die zusätzliche Lasten in das Gebäude eintragen. Letztendlich können Risse auch aufgrund der Alterung der Gebäude oder wegen langjähriger Witterungseinflüsse auftreten.

Und nun? Ortsvorsteherin Ebert will die Sache nicht auf sich beruhen lassen. „Wir werden zu dem Problem eine Einwohnerversammlung einberufen“, sagt sie. Diese solle im Herbst stattfinden. Auch die Stadtverwaltung hat sich nach zahlreichen Beschwerden im Rathaus nun in die Debatte eingeklinkt. Man sei zwar rechtlich nicht zuständig für die Angelegenheit, heißt es aus der Stadtverwaltung, nehme jedoch die Schilderungen aus Wurgwitz sehr ernst: „Wir haben Gesprächsbedarf mit dem Oberbergamt und dem Steinbruchbetreiber“, teilt die Büroleiterin des Oberbürgermeisters, Katrin Reis, mit.

Sie wollen noch besser informiert sein? Schauen Sie doch mal auf www.sächsische.de/ort/freital vorbei.

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