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Vom Risiko, ein Unparteiischer zu sein

Pöbeleien und Angriffe gegen Schiedsrichter nehmen auch auf sächsischen Fußballplätzen zu. Hier erzählt einer aus seinem Alltag.

Von Sven Geisler
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„Schwarz tragen, Gelb zeigen: Was könnte besser zu uns passen?“ Mit diesem Slogan auf dem Plakat werben Dynamo-Kapitän Marco Hartmann und Marcus Richter, 36 Jahre und Schiedsrichter in der Kreisoberliga, um Nachwuchs für die Spielleiter.
„Schwarz tragen, Gelb zeigen: Was könnte besser zu uns passen?“ Mit diesem Slogan auf dem Plakat werben Dynamo-Kapitän Marco Hartmann und Marcus Richter, 36 Jahre und Schiedsrichter in der Kreisoberliga, um Nachwuchs für die Spielleiter. © Sächsischer Fußball-Verband

Sein Einstieg ist ungewöhnlich. Lars Albert war 16 Jahre alt und Torwart der A-Jugend im vogtländischen Tannenbergs-thal. Als der Unparteiische in einem Spiel gleich zwei seiner Freunde vom Platz stellte, wollte er auf ihn losgehen. Sein Vater konnte ihn im letzten Moment stoppen. Nach dem Vorfall wurden sowohl die Rot-Sünder als auch der Wüterich vom Vereinsvorstand zum Rapport zitiert. Alle drei zeigten sich einsichtig und boten sozusagen als Wiedergutmachung an, selbst einen Lehrgang als Schiedsrichter zu absolvieren.

Für Albert ist es der Beginn einer zweiten Karriere, die er bald ausschließlich verfolgt. „Als Spieler hätte es maximal bis zur Landesliga gereicht“, sagt er. Als Referee steigt er bis in die 3. Liga auf, leitet mit nun 41 Jahren Spiele in der Regionalliga Nordost. Hauptberuflich arbeitet er als strategischer Einkäufer für die Firma Bitzer Kühlmaschinenbau in Schkeuditz, ehrenamtlich ist er im Schiedsrichter-Ausschuss des Sächsischen Fußball-Verbandes unter anderem für die Förderung der acht bis zehn Top-Talente zuständig.

Mit Alexander Sather in der 2. Bundesliga sowie Christine Weigelt und Franziska Brückner bei den Frauen pfeifen drei sächsische Schiedsrichter in den obersten Ligen. Sachsen sei gut aufgestellt, meint Albert. Mehr als 3 000 Unparteiische sorgen in allen Spielklassen für einen geregelten Ablauf der gut 50 000 Partien pro Saison. Das ist deutschlandweit ein überdurchschnittlich gutes Verhältnis, im Alltag reicht die Anzahl jedoch nicht aus. Deshalb hat der Verband eine Werbekampagne gestartet und dafür die fünf sächsischen Profi-Klubs gewonnen. In der Region Dresden wirbt Dynamo-Kapitän Marco Hartmann mit Marcus Richter, seit 1990 Schiedsrichter und seit 2013 im Verein. „Gerade in den ländlichen Gebieten ist es schwierig, Neueinsteiger zu finden“, sagt Albert.

„Schiedsrichter zu sein, ist eigentlich eine geile Sache“

Dabei sei es ein sinnvolles wie lukratives Hobby speziell für Jugendliche ab zwölf Jahren. Es gebe keine bessere Schule für die Persönlichkeitsentwicklung. „Man muss Entscheidungen treffen, selbstbewusst auftreten, lernt, mit Menschen umzugehen. Das sind Eigenschaften, die in jeder Stellenausschreibung gefragt sind.“ Zudem gebe es ein Taschengeld, im Kreismaßstab zwischen 10 und 30 Euro pro Einsatz, in der Bundesliga gibt es 5 000 Euro. Schiedsrichter haben zu jedem Fußballspiel im Bereich des DFB freien Eintritt. „Das Image ist viel zu negativ. Schiedsrichter zu sein, ist eigentlich eine geile Sache“, meint Albert.

Jeder der 13 Kreisverbände bietet pro Jahr mindestens einen Ausbildungskurs zu je 20 bis 25 Unterrichtsstunden an. Das Problem ist nicht der schriftliche Test zu den Regeln als Prüfung, sondern die Praxis: Von 30 Teilnehmern sind nach einem Jahr höchstens noch 15 dabei. Eine Ursache ist der Umgang mit den Unparteiischen. In Sachsen kommt es zwar selten zu gravierenden Vorfällen wie Gewalt oder Diskriminierungen. In der Saison 2017/18 sind 52 388 Spiele elektronisch erfasst worden, bei 237 (0,45 Prozent) gab es solche Vorkommnisse, elf (0,02) mussten deshalb abgebrochen werden. Zum Vergleich: In Berlin wurden von rund 35 000 Partien 50 vorzeitig beendet, davon 20 im Nachwuchs.

Ein negativer Trend ist auch in Sachsen zu beobachten, wie Albert bestätigt. „Die verbale Gewalt durch Beleidigungen und Diffamierungen nimmt zu, nicht nur von Spielern, sondern auch von Zuschauern.“ Mancher gehe am Wochenende auf den Fußballplatz, um seine Aggressionen loszuwerden. „Sie suchen sich ein Ventil, und oft ist es leider der Schiedsrichter.“ Er wolle das nicht höher hängen, als es ist, aber: Im Nachwuchs spielten Eltern und Verwandte oft eine negative Rolle.

„Da pfeift ein 14-Jähriger auf dem Kleinfeld bei den 10-jährigen Jungen, deren Eltern draußen glauben, ihr Sohn müsse Profi werden. Und so benehmen sie sich dann und vergessen, dass der Schiedsrichter selbst ein junger Kerl ist und – genau wie ihre Jungs – eben noch keine Bundesliga-Reife haben kann“, betont Albert. „Was oft vergessen wird: Auf dem Niveau, auf dem man spielt, pfeift auch der Schiedsrichter.“

Albert mahnt deshalb gegenseitigen Respekt an. „Wir brauchen mehr Verständnis für das, was der andere tut. Im Fußball ist das zu wenig ausgeprägt.“ Das zeige sich an der Einführung der Gelben und Roten Karten für Trainer. „Sofort wird es so dargestellt, als würden die Schiedsrichter wilde Sau spielen und jeden Trainer beim ersten Protest auf die Tribüne schicken.“ Dabei ändert sich so gut wie nichts, außer dem optischen Zeichen und der Tatsache, dass die Verwarnungen jetzt registriert und Trainer nach der vierten gesperrt werden.

Gute Perspektive in Sachsen

Was das gegenseitige Verständnis erhöhen könnte, ist der Seitenwechsel ehemaliger Spieler. „Uns fehlt besonders die Generation der 30-, 35-Jährigen, die Bock haben, nach ihrer Karriere ihr Fußball-Fachwissen weiter auf dem Platz einzubringen“, sagt Albert. Die Aufstiegschancen sind dann zwar begrenzt, weil Schiedsrichter nur bis 47 Jahre in der Bundesliga pfeifen dürfen, aber die Erfahrung wird gerade in den unteren Spielklassen dringend gebraucht.

Für Früheinsteiger ist dagegen der Weg nach ganz oben offen. Sachsen ist mit sechs von 27 Schiedsrichtern in der Regional- und 14 von 44 in der Oberliga überproportional vertreten. In der Landesliga wurden zudem für die neue Saison sechs ältere Sportfreunde durch sechs 19 bis 24 Jahre alte Nachwuchskräfte ersetzt. „Wir haben eine gute Basis“, meint Albert. Und auch die Perspektive stimmt durch die Spitzenförderung des Verbandes mit extra Trainingsangeboten und zwölf Individualcoaches, die gleichzeitig Berater sind.

Lars Albert ist einer von ihnen. Er hat bei Frieder Trommer aus Reuth, dem er einst an die Wäsche wollte, später als Assistent an der Linie gestanden. So hatte sein emotionaler Ausbruch sogar etwas Gutes, beispielhaft für den Einstieg als Schiedsrichter sollte er trotzdem nicht sein, meint er augenzwinkernd.