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In diesem Garten blühen Azaleen aus Wladiwostok

Ulrich Pietzarka vom Forstbotanischen Garten in Tharandt gewährt Einblick in seinen Privatgarten – und verrät, wie der fast das ganze Jahr über blüht.

Von Susanne Plecher
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In Ulrich Pietzarkas Garten gibt es überall Plätze zum Sitzen und Ausruhen. Auf der alten Streuobstwiese eine selbst gezimmerte Bank.
In Ulrich Pietzarkas Garten gibt es überall Plätze zum Sitzen und Ausruhen. Auf der alten Streuobstwiese eine selbst gezimmerte Bank. © Jürgen Lösel

Sonne über Kurort Hartha auf. Ihre ersten Strahlen fallen auf den großen Schlippenbach vor Ulrich Pietzarkas Gartenfenster. Den Samen, aus dem er die Azalee gezogen hat, hat er selber gesammelt. In Wladiwostok, vor 15 Jahren. Pietzarka ist Forstwissenschaftler. Vor 26 Jahren ist er nach dem Studium aus Göttingen nach Tharandt gezogen. Seither arbeitet er an der Professur für Forstbotanik der Technischen Universität Dresden und im Forstbotanischen Garten, seit 2005 als dessen wissenschaftlicher Leiter und Kustos. Sein Haus liegt so nah, dass er zur Arbeit laufen kann. „Mach ich auch häufig“ small talkt er zur Begrüßung. Es ist neun Uhr. Zu spät für die Morgensonne im Vorgarten. Die Preziosen stehen im Schatten. Ihrer Schönheit tut das keinen Abbruch. Zartrosa aber selbstbewusst recken sich die Blüten des Schlippenbach gen Himmel. Daneben blüht ein Reticulatum in Lila. Die Knospen des weißblühenden Nipponicums sind noch geschlossen, der Mucronulatum hingegen ist schon längst verblüht. 

In der Nahaufnahme zeigt sich die filigrane Schönheit des Schlippenbach. Das Saatgut der wilden Azalee stammt aus Russland.
In der Nahaufnahme zeigt sich die filigrane Schönheit des Schlippenbach. Das Saatgut der wilden Azalee stammt aus Russland. © Jürgen Lösel

Pietzarka sammelt laubabwerfende Rhododendren, die Azaleen. Was es in seinen Vorgarten geschafft hat, reizt ihn wegen der Blütenfarbe, des Wuchses, der Blattform. Vor allem aber interessiert ihn die Zeit der Blüte. Die Ersten öffnen sich, wenn alle anderen Pflanzen noch im Winterschlaf sind, im Februar oder Anfang März. „Bevor sich das Blatt zeigt, gibt es da eine spektakuläre Blüte. Das ist die Ökologie, der Schaueffekt der Pflanze: Seht her, hier bin ich. Bestäubt mich!“ 

Viele blühen von April bis Mai, einige Späte erst im Juni. Amerikanische Arten färben ihr Laub im Herbst bunt ein und sehen aus wie ein brennender Busch. „Meine Frau wollte eine Hecke, die von Februar bis Oktober blüht. Mit den Azaleen schaffe ich das fast“, sagt er. Die meisten, die der 53-Jährige in seinen Beeten angeordnet hat, sind Wildpflanzen, die er von den vielen Reisen nach Amerika und Asien mitgebracht oder von befreundeten Sammlern erhalten hat. Nur wenige sind gekauft.

Rhodon, die Rose, dendron, der Baum. Den alten Griechen erschien die Pflanze mit ihren farbintensiven, großen Blüten wie ein Rosenbaum. Über 1.000 verschiedene Arten sind beschrieben. Es gibt sie laubabwerfend, kleinblättrig oder immergrün. Sie kommen als niedrige Büsche vor und können zu meterhohen Bäumen werden. Sie sind verbreitet von der Küste bis ins Hochgebirge. Man findet Vertreter der Gattung im tropischen Regenwald und in der subpolaren Tundra. In Europa wachsen Wildformen in den Alpen, im Jura, dem Apennin und den Pyrenäen. Die Österreicher und Südtiroler nennen sie Almrose. Die höchste Artenvielfalt aber zeigt sich im Himalaya und in Nordostchina.

Blühen soll es, am besten das ganze Jahr, so die oberste Prämisse in Pietzarkas Garten. Und: Die Arbeit im Beet muss überschaubar bleiben.
Blühen soll es, am besten das ganze Jahr, so die oberste Prämisse in Pietzarkas Garten. Und: Die Arbeit im Beet muss überschaubar bleiben. © Jürgen Lösel

Der Schlippenbach zum Beispiel hat seine Heimat auf der Koreanischen Halbinsel, in der Mandschurei und in Russlands Fernem Osten. Namensgeber ist ein russischer Marineoffizier, der 1854 während einer Expedition auf der Fregatte Pallas erstmals Pflanzenproben sammelte. Die Mutterpflanze von Pietzarkas Exemplar wächst auf der russischen Insel Furugelm. Er zeigt Fotos seiner Expedition: ein rosafarbenes Blütenmeer über der Bucht von Srednaja. Dahinter das Blau des Pazifik. „Wunderschön“, sagt er mit weicher Stimme.

Eine Hummel brummt vorbei, Käfer tummeln sich. Die Bienen von Nachbar Weise sammeln ihr Frühstück. Unter Pietzarkas Azaleen ist der Tisch reichlich gedeckt mit Wildtulpen, Lungenkraut, Sternmieren, Frühlingsplatterbsen, gelben Windröschen, den letzten Bärlauch- und den ersten Waldmeisterblüten, Frühlingsgedenkemein, echten Schlüsselblumen. „Diese Waldbodenpflanzen sind bei uns heimisch“, sagt er. Einige haben seine Frau und er in Gartenmärkten gekauft, andere aus dem Wald mitgebracht. Sind die Frühblüher fertig, setzen die vielen Stauden zur Blüte an. Blühen soll es, am besten das ganze Jahr, so die oberste Prämisse in Pietzarkas Garten. Und: Die Arbeit im Beet muss überschaubar bleiben. Sträucher, Polster, Stauden sind dafür genau richtig. „Wir mulchen sehr viel und jäten nur selten“, sagt er. Was sich zu breit macht, etwa das Lungenkraut, wird reduziert, Verblühtes zurückgeschnitten. Das war’s.

Der Mulch hilft, Staunässe zu verhindern. Rhododendren brauchen gleichmäßige Feuchtigkeit und kalkarmen, humusreichen, sauren Boden. Pietzarka ist Mitglied der Deutschen Rhododendrongesellschaft. 1935 ist sie in Bremen gegründet worden. Im Rhododendrenpark der Hansestadt wachsen auf 46 Hektar über 3.000 Sorten, davon 600 wilde Arten. Mit 70 Hektar ist der Rhododendrenpark der Familie Hobbie in Westerstede bei Oldenburg noch größer. 

Aber auch in Sachsen gibt es schöne Sammlungen zu entdecken, zum Beispiel in Kromlau, wo seit 1890 Rhododendren angepflanzt werden. In der frei zugänglichen Anlage blühen Tausende gelbe und weiße Duftazaleen schon jetzt. In Grüngräbchen in der Lausitz können Besucher auf 15 Hektar mehr als 400 verschiedene Sorten auf dem Gelände der Baumschule Seidel sehen. Der Rhododendrenpark in Dresden Wachwitz ist schneller durchschritten: Auf einem Hektar wachsen hier rund 1.000 Rhododendren. Beste Besuchszeit ist im Mai.

Gummistiefel als Blumentöpfe
Gummistiefel als Blumentöpfe © Jürgen Lösel

Die Sonne ist ums Haus herumgewandert. Sie wärmt die alten Obstbäume auf der Streuobstwiese. Es sieht so aus, als wäre ihnen behaglich. Die Pietzarkas haben vor Kurzem einen Gartenteich angelegt, ein Steg verbindet die mit Stirnholz gepflasterte Terrasse am Haus mit einem Weg aus alten Ziegelsteinen. Der windet sich vorbei an Sitzplatz, Laube, Gemüsegarten bis zum Gewächshaus. „Die Wiese ist fußballfest und die Bäume müssen es ab können, dass auf ihnen geklettert wird“, kommentiert Pietzarka. Seine beiden Söhne sitzen drinnen über den Schulaufgaben.

Die neun Leute, die sich um den Forstbotanischen Garten kümmern, dazu vier Azubis und zwei Saisonkräfte, hat er alle nach Hause schicken müssen, weil die TU Dresden seit 21. März im Notbetrieb arbeitet. Aber die Natur hält sich nicht an menschengemachte Beschränkungen. Die Pflanzen wachsen einfach weiter, Arbeit staut sich auf. Er hat eine Genehmigung des Rektorats eingeholt, damit seine Gärtner wenigstens die Gehölze wässern können, die schwer unter der Dürre leiden. In seinem Privatgarten gießt Pietzarka nur die Neuanpflanzungen. „Alles andere muss so klarkommen. Trinkwasser ist ein wertvolles Gut“, sagt er und zählt die Hoheiten auf der Streuobstwiese auf: Neben Kaiser Wilhelm blüht Prinz Albrecht von Preußen. Die Gräfin von Paris kokettiert mit dem Schönen von Nordhausen um die Gunst der Bienen. In der profanen Knorpelkirsche zanken zwei Buntspechte.

Was würde er sammeln, wenn er sich nicht den Azaleen verschrieben hätte? Pietzarka grinst. Was heißt hier „würde“? „Hamamelis“, sagt er knapp und winkt zur Hecke. Die Zaubernuss. Auch sie schiebt im Winter oder zeitigen Frühjahr Blüten. Eigentlich logisch, dass sie Pietzarkas Herz erobert. Die japanische Zaubernuss ist längst verblüht, auch die amerikanische. Die virginische ist eine Besonderheit, denn sie blüht im Herbst von September bis Oktober. Auch die Scheinhasel, Corylopsis, gehört zur Zaubernussfamilie. Ein Exemplar hat ährenförmige Blüten. Sechs bis acht Zentimeter lang biegen sich die gelben Sicheln. Daneben ein Puderquastenstrauch, dessen rote Puschelblüten sich erst im Sommer entfalten, und ein Disanthus, der hier nur wegen seiner orange-pink-violetten Herbstfärbung stehen darf. Pietzarka hatte einen Auftrag seiner Frau. Er hat ihn ernst genommen.