SZ + Görlitz
Merken

Warum die Zirkus-Debatte zu einseitig ist

Noch an diesem Wochenende ist der Circus Voyage zu Gast in Görlitz. Die Diskussionen um Wildtierzirkusse findet der Zirkusdirektor oft nicht fair.

Von Susanne Sodan
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Flusspferd Yedi ist 45 Jahre alt. Einfach ist die Haltung nicht, denn einen Großteil des Tages verbringt er im Wasser.
Flusspferd Yedi ist 45 Jahre alt. Einfach ist die Haltung nicht, denn einen Großteil des Tages verbringt er im Wasser. © Nikolai Schmidt

Yedi lässt sich Zeit. Wenn das Nilpferd nicht rauskommen möchte aus seinem Becken, dann kommt es nicht raus. Zeit genug, den Elefanten zuzuschauen. Gerade stehen sie noch unter einen Zeltdach, sozusagen in ihrem Stall, und fressen. Alois Spindler grenzt gerade das Außengelände fertig ein, dann können die vier Elefanten raus auf die Wiese. Die Zebras und die beiden Giraffen sind schon draußen. 

Mit einem Lkw kommt ballenweise neues Heu von einem Landwirt aus dem Umland. Und letztendlich verlässt auch Flusspferd Yedi sein Becken, läuft die Rampe hinab. So leise, dass man es fast verpasst hätte. Sie alle, Alois Spindler, das Nilpferd, die beiden Giraffen, vier Zebras, vier Elefanten, Kamele, Ponys, Pferde und Esel und außerdem 15 Mitarbeiter gehören zum Circus Voyage, der noch bis zu diesem Sonntag in Görlitz gastiert.

Zirkus war einst ein Symbol für Zuckerwatte und Freiheit. Mit dem Zirkus wollte man durchbrennen und die Welt sehen. Und gleichzeitig in eine fremde Welt abtauchen. Aber heute ist das Thema Zirkus nicht mehr leicht wie Zuckerwatte. Zirkusse mit Tieren sind ein Streitthema geworden, bei dem in den sozialen Netzwerken sehr gegensätzliche Meinungen aufeinanderprallen. „Wann wird endlich ein Verbot kommen“ schreibt auf Facebook ein Nutzer unter eine Ankündigung, dass der Circus Voyage kommt. Solch ein Verbot habe man schon voriges Jahr für Görlitz beantragt, schreibt die Linke. Vergeblich, ihr Antrag kam im Stadtrat nicht durch. „Wildtiere gehören in die Freiheit und nicht in einen Zirkus“, so eine weitere von vielen Stimmen.

Dann würden sie vermutlich eines sehr schnellen Todes sterben, nimmt Sven Hammer an. Er ist Tierarzt und Leiter des Görlitzer Tierparks. „Die Tiere wären dann einem unheimlichen Stress ausgesetzt, sie wären ständig auf der Flucht", erklärt er. „Das Thema Zirkus ist eines, das stark emotional beladen ist.“ Um abzuklären, ob Tiere artgemäß gehalten werden, gibt es aber auch klare, amtliche Regeln, erklärt Hammer. Welche das sind, weiß Landkreis-Veterinär Ralph Schönfelder. 

Jeder Zirkus braucht erst einmal eine sogenannte Paragraf-11-Erlaubnis nach Tierschutzgesetz: „Wer Tiere in einem Zoologischen Garten oder einer anderen Einrichtung, in der Tiere gehalten und zur Schau gestellt werden, halten will, bedarf der Erlaubnis des zuständigen Veterinäramtes, welches in der Regel das des Winterquartieres ist“, erklärt Schönfelder. Außerdem führen die Veterinärämter der Landkreise, in denen ein Zirkus gastiert, Kontrollen durch.

Sven Hammer plädiert dafür, die Emotionen in den Zirkus-Debatten zurückzuschrauben. „Was mich etwas befremdet, ist: Viele sehen die Forderungen von Tierschutzorganisationen nach Verboten von Wildtierzirkussen, ohne zu sehen, dass diese Organisation auf der nächsten Seite vielleicht auch Hundehaltung kritisiert.“ Ihm ist die Kritik an Zirkussen – die eben gut sichtbar sind – zu einseitig. „Wie viele Hühner und Schweine, die in schlimmen Bedingungen leben, werden täglich getötet? Es ist beispielsweise auch nicht artgemäß, Pferde in Boxen von zwei mal drei Metern Hunderte Kilometer weit zu fahren.“

Auch bei Zirkussen gebe es, wie in allen Bereichen, schwarze Schafe. „Aber man muss es sich individuell ansehen, ob die Tiere artgemäß gehalten sind.“ Sind sie gepflegt, ober weisen sie gar Verletzungen auf? Zeigen sie sich gestresst? Sind sie zu dick oder zu dünn, bewegen sie sich naturgemäß? Bleiben sie nur in ihren Zelten oder können sie raus und haben Platz? Sind Herdentiere nicht allein? „Man muss auch fragen, wo kommen die Tiere her?“ 

Hammers Erfahrung nach stammt kaum ein Zirkustier aus freier Wildbahn, sondern häufig aus Zuchten in menschlicher Obhut. Den Cirkus Voyage hat er sich interessehalber angesehen. „Ich habe den Eindruck, die Tiere werden gut gehalten.“ Nur beim Flusspferd war er nicht begeistert. „Es sah erst mal gut aus im Zustand, aber trotzdem sind Flusspferde Herdentiere. Es gibt auch bessere Möglichkeiten, sie zu halten, die sind dann aber extrem kostenintensiv.“


© nikolaischmidt.de
© nikolaischmidt.de
© nikolaischmidt.de

Beim Circus Voyage stammen die meisten Tiere von anderen Zirkussen, die altersbedingt aufgehört haben, erzählt Alois Spindler. Nilpferd Yedi ist schon 45 Jahre alt. Ihn zu pflegen macht sehr viel Arbeit. „Flusspferde markieren stark“, erzählt Spindler mit einem Schmunzeln. Zwischen sieben und acht Uhr morgens beginnt für ihn und seine Mitarbeiter die Arbeit. Erst mal mit Frühstück für alle. Dann kommen die ersten Tiere nach draußen, damit etappenweise die Zelte entmistet werden können.

Danach steht die Pflege an. Alleine um alle Huftiere zu striegeln, brauche man locker zwei Stunden, erzählt Sohn Nico Spindler. Wenn sie gewaschen werden, dann noch deutlich länger. Bei den Giraffen kommt man besten ran, wenn sie liegen. Yedi braucht regelmäßig frisches Wasser. „Wir beschäftigen uns im Grunde den ganzen Tag mit den Tieren“, erklärt Alois Spindler. Der 51-Jährige stammt aus einer Berliner Zirkusfamilie.

Seit einigen Jahren ist das Winterquartier des Zirkus‘ bei Delitzsch. Schon mit elf Jahren habe er mit seinem Vater angefangen, mit Elefanten zu arbeiten, erzählt Spindler. Salto müssen sie aber nicht machen. „Die Zeiten sind längst vorbei, bei uns macht auch kein Tier den Einbeinstand.“ Kunststücke gibt es trotzdem, aber die machen die Menschen. Die Kopf-über-Fahrten übernimmt Nico Spindler. Er hat eine neue Motorradnummer in einer sogenannten Powerkugel. Eine Wassershow ist dabei. Eine andere Künstlerin ist Spezialistin fürs Ringtrapez. Clownerie gehört heute wie einst dazu.

Die Diskussionen um Wildtierzirkusse hat Alois Spindler natürlich mitbekommen. Und findet, sie gehen häufig an der Realität vorbei. „Wir sehen unsere Aufgabe darin, die Tiere den Menschen zu zeigen, sie ihnen nahezubringen.“ Die Elefanten spielen auch Fußball in der Manege, „aber das ist eine Bewegung für Elefanten, die nicht naturwidrig ist.“ Theoretisch wäre es erlaubt, die Elefanten anzupflocken. „Das gibt es bei uns seit 18 Jahren nicht mehr. Da sagt keiner: Mensch, das ist toll.“

Dabei ist er sich sicher, dass es keinen Betrieb in Deutschland gibt, der so oft kontrolliert wird wie ein Zirkus. „Wir sind auch regelmäßig zur Fortbildung.“ Auf der anderen Seite stehe ein sehr großer finanzieller Aufwand. „Meine Frau kommt nicht aus einer Zirkusfamilie, sie sagt manchmal: Rechnen tut sich das eigentlich nicht. Aber fürs Geld machen wir es auch nicht.“

Mehr Lokales unter:

www.sächsische.de/ort/goerlitz

www.sächsische.de/ort/niesky