SZ + Sport
Merken

Wow, ist das steil! 

Dieser Fan hat über 500 Stadien in 12 Ländern erlebt. Von der Kreisliga bis zur Champions League. Das sagt er über das neue Rudolf-Harbig-Stadion. 

Teilen
Folgen
NEU!
Groundhopper Jonas Schulte (31) sagt zum Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion, dass es zu den stimmungsgewaltigsten Stadien des deutschen Fußballs gehört.
Groundhopper Jonas Schulte (31) sagt zum Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion, dass es zu den stimmungsgewaltigsten Stadien des deutschen Fußballs gehört. © privat/ Robert Michael

Von Jonas Schulte

Eigentlich stehen wir Groundhopper nicht auf diese neumodischen, bis in den letzten Winkel durchgestylten Hochglanz-Arenen. Von daher wäre es Zeit, dem alten Rudolf-Harbig-Stadion hinterher zu trauern. So ganz ohne Glückwünsche für den runderneuerten Dresdner Fußballtempel zum zehnten Jubiläum komme ich als Groundhopper dennoch nicht aus. Unsere Sammelleidenschaft ist es, Spiele in möglichst vielen verschiedenen Stadien zu besuchen. Nicht nur deutschland-, sondern weltweit. Ein Besuch in Dresden gehört für uns zum Pflichtprogramm. Aus Gründen.

Es war ein arschkalter Februarnachmittag 2017. Dresden lag unter einer wadentiefen Schneedecke, überall produzierten Menschen beim Ausatmen kleine Dampfwölkchen. „Willkommen im rauen Osten“, dachten wir drei Groundhopper aus dem Westen, in dem es zu der Zeit zugegebenermaßen nicht viel milder war. Nachdem wir schon Freitag und Samstag in der Region um Dresden zu Fußballspielen gefahren waren, wartete am Sonntag das Highlight der Wochenendtour. Dynamo Dresden empfing die Eisernen von Union Berlin. Ein Stimmung verheißendes Duell zweier Ost-Giganten.

Schon auf dem Weg zum Stadion spürten wir die elektrisierte Atmosphäre. Im Umkreis von mehreren Kilometern rund um das Rudolf-Harbig-Stadion schien es kein anderes Gesprächsthema mehr zu geben als Dynamo. Auch wenn wir Groundhopper uns in Städten mit starker Fanszene immer ein bisschen vorsichtig verhalten müssen – Ultras haben vielerorts so ihre Probleme mit Fußballtouristen und drohen gerne auch mal mit dem Verlust der körperlichen Unversehrtheit –, wurden wir sofort vereinnahmt von dieser spürbaren Fußball-Euphorie in der ganzen Stadt. Das Stadionerlebnis in Dresden beginnt definitiv schon lange, bevor man die Stadiontore durchschreitet.

"Ein gigantischer Anblick"

Dann kommt das, was für mich als Stadionbesucher jedes Mal der magischste Moment ist. Nämlich der, wenn man die Öffnung des Mundlochs durchschreitet und den ersten unverbauten Blick in das weite Rund werfen kann. Und der war im Rudolf-Harbig-Stadion schon eine Wucht. Ich erinnere mich an meinen ersten Gedanken beim Betreten: Wow, ist das steil hier! So steil, dass das Stadion mit seinen rund 32.000 Plätzen eher so wirkt, als könnten dort 50.000 Fußballfans Platz finden. So steil, dass man fast etwas Angst haben musste, bei einem Stolperer gleich mehrere Etagen nach unten zu fallen. Ein gigantischer Anblick jedenfalls, der einem für einen kurzen Moment den Atem raubt.

Mit leicht wackligen Füßen nahmen wir also Platz auf den Sitzplätzen genau hinter dem Tor – gegenüberliegend zum legendären Dresdner K-Block, in Nahdistanz zum Gästeblock, der von Unionern in Rot dicht besiedelt war. Ein optimaler Platz, denn dort kamen sowohl die Schallwellen der Dynamo-Fans als auch die der Berliner gleichermaßen gut an. Gut meint in diesem Fall – ohrenbetäubend. Nicht weniger beeindruckend war der Blick, der sich uns bot, als wir die Augen auf den K-Block richteten. Eine ganze Tribüne die frenetisch tobend, in gleichem Rhythmus und einheitlich gelbem Gewand einen Stimmungsorkan erzeugte, wie er im ganzen Land wohl seinesgleichen sucht.

Verstärkend wirkt, dass die Ränge so nah am Spielfeld gebaut sind. Da möchte man kein Fußballer einer Gastmannschaft sein. Die Stimmgewalt muss so manch einem Kicker schwere Gehörschädigungen zugefügt haben. In kaum einem anderen Stadion kann man so deutlich sehen, wie unmittelbar die Atmosphäre von den Rängen bei den Spielern ankommt, wie direkt Fans das Geschehen auf dem Feld beeinflussen können. Die Nähe macht’s.

Zugegeben: Das neue Harbig-Stadion ist rein architektonisch nicht unbedingt das, was viele Groundhopper zur Erfüllung ihres Hobbys suchen. Da sind es dann doch eher die alten, angeranzten Stadien, in denen der Putz abbröckelt und bei denen die Geschichte aus jeder Holzritze quillt.

Trotzdem muss das RHS auf jeder Groundhopper-Menükarte unter der Rubrik „Delikatessen“ aufgeführt werden. Denn es ist vor allem das, was die Menschen aus ihm machen. Und das ist definitiv eines der stimmungsgewaltigsten Stadien des deutschen Fußballs. Dabei kommen ihm die steilen Tribünen und die Nähe zum Spielfeld zugute. Das alles führt dazu, dass ein Besuch im Rudolf-Harbig-Stadion zu Dresden ein Fest für alle Sinne ist.