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Flüchtlingspolitik: 2015 darf sich so nicht wiederholen

Sachsens Städte geraten bei der Unterbringung von Flüchtlingen an die Grenzen. Sie brauchen keine arroganten Ratschläge, sondern Unterstützung von allen Seiten. Ein Kommentar.

Von Karin Schlottmann
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Weil es nicht mehr genügend Unterkünfte gibt, müssen Flüchtlinge wie hier in Baden-Württemberg in einigen Regionen in Containern untergebracht werden.
Weil es nicht mehr genügend Unterkünfte gibt, müssen Flüchtlinge wie hier in Baden-Württemberg in einigen Regionen in Containern untergebracht werden. © dpa/Felix Kästle

Die Stadt Dresden sucht 500 Wohnungen für Flüchtlinge. Sie bittet Eigentümer und Hausverwaltungen, kurzfristig Mietangebote einzureichen – möglichst möbliert. Der Appell klingt unfreiwillig komisch. Preiswerter Wohnraum in Dresden ist knapp, wie jeder weiß.

Die Landeshauptstadt befindet sich, wie dieser Appell zeigt, wie andere Kommunen in einer komplizierten Lage. Das Land weist ihnen regelmäßig Flüchtlinge zu, die sie unterbringen müssen. So will es das sächsische Flüchtlingsaufnahmegesetz. Bisher hat dieser Verteilmechanismus gut funktioniert. Aber bald könnten sie keine Flüchtlinge mehr aufnehmen, warnen Bürgermeister und Landräte. Wenn die Zugangszahlen nicht sinken, müssten sie die Menschen demnächst in Zelten, Turnhallen oder Containern unterbringen.

Die Flüchtlingspolitik ist in Sachsen wie in ganz Deutschland erneut in den Fokus gerückt. Die Zugangszahlen sind spätestens seit Herbst wieder auf einem kontinuierlich hohen Niveau. Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat Sachsen mehr als 60.000 Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Seit einigen Monaten kommen auch wieder deutlich mehr Asylbewerber aus Syrien, Afghanistan, Irak, der Türkei und Georgien nach Deutschland. Ungehindert von Kontrollen nutzen die meisten wie vor einigen Jahren die sogenannte Balkan-Route. Es sind Flüchtlinge, aber nach Erkenntnissen von Migrationsforschern auch zahlreiche Arbeitsmigranten aus sicheren Drittstaaten.

2015 darf sich nicht wiederholen, haben die Regierungsparteien versprochen. Vom damaligen Behörden-Chaos ist tatsächlich nichts mehr zu spüren. Die Ämter wickeln mithilfe von Wohlfahrtsorganisationen und Ehrenamtlichen die Aufnahme deutlich professioneller ab als vor sieben, acht Jahren. Registrierung und Asylverfahren werden mit digitaler Technik und höherem Personaleinsatz wesentlich schneller bewältigt. Von Kontrollverlust kann keine Rede sein. Die Kommunen müssen die Menschen aber auch mit Kitaplätzen, Schulunterricht und Sprachangeboten versorgen.

Mehr Planungssicherheit bei Unterkünften

Seit einigen Tagen sind die Zahlen rückläufig. Möglicherweise zeigt der Druck auf das Durchgangsland Serbien schon Wirkung. Aber zuverlässige Prognosen gibt es nicht. Wer mit Kommunalpolitikern darüber spricht, trifft auf Ratlosigkeit. Inzwischen setzt sich die Erkenntnis durch, dass der Abbau von Unterkünften nach der großen Flüchtlingswelle 2015/2016 verfrüht war.

Teuren Leerstand darf sich die Landesregierung nicht leisten. Aber langfristig betrachtet ergibt es keinen Sinn, Unterkünfte aufzubauen und diese, je nach politischer Weltlage, wieder zu schließen. Die Idee der Kommunalen Spitzenverbände, eine flexibel ausbaubare Grundversorgung mit Wohnraum zu schaffen, könnte mehr Planungssicherheit bieten und die Lage entspannen.

Bürgermeister und Landräte werden von allen Seiten unter Druck gesetzt. Sie müssen bewältigen, was in weiten Teilen der Welt durch Krieg, Armut und Unterdrückung ausgelöst worden ist. Für diese Aufgabe benötigen sie so viel finanzielle, politische und praktische Unterstützung wie möglich. Vorwürfe und öffentlich verbreitete Ratschläge aus dem Regierungsviertel in Dresden, wie Integration vor Ort idealerweise zu organisieren wäre, kommen verständlicherweise nicht gut an.

Auch der arrogante Hinweis des Flüchtlingsrates, es sei Platz genug für alle da, trägt sicher wenig zur Problemlösung bei. Sozialministerin Petra Köpping (SPD) argumentiert, das Land zahle schließlich jährlich 20 Millionen Euro an Landkreise und kreisfreie Städte für Integrationsarbeit. Bei aller berechtigten Kritik am fehlenden Rückgrat mancher Bürgermeister gegen rechtsextreme Proteste wäre es fatal, wenn die Landesregierung den Eindruck erweckt, der soziale Frieden in den Kommunen ginge sie nichts an.

Deutschland ist zur Aufnahme und humanitären Versorgung von Asylbewerbern verpflichtet. Bei allen unterschiedlichen Auffassungen im Detail leugnet keine ernstzunehmende Stimme den Stellenwert dieser Aufgabe. Aber klar ist auch, dass die in der EU und im Schengen-Raum vereinbarten Regeln eingehalten werden müssen.

Integration in den Arbeitsmarkt ist schwierig

In ihren Sonntagsreden sprechen Politiker gern über Deutschland als Einwanderungsland. Es bleibt unklar, was dieses Schlagwort praktisch bedeuten soll. Die von der Wirtschaft geforderte Einwanderung von Fachkräften sollte mit dem Thema Asyl besser nicht vermischt werden.

Die Integration von Flüchtlingen aus Syrien, Irak und Afghanistan in den Arbeitsmarkt hat sich als schwieriger erwiesen als angenommen. Sie scheitert in der Praxis nicht nur an der Bürokratie, sondern häufig auch an Bildungsabschlüssen und Sprachkenntnissen.

Wenn Wirtschaft und Politik glauben, sie könnten den Arbeitskräftemangel über Zuwanderung lösen, müssen sie erheblich größere Anstrengungen unternehmen als bisher.

In einigen Orten in Sachsen finden seit einiger Zeit wieder Demonstrationen gegen Flüchtlingsunterkünfte statt. Noch ist die Stimmung längst nicht so aufgeheizt wie nach 2015. Damals haben die Konflikte über die Flüchtlingspolitik tiefe Gräben in der Gesellschaft hinterlassen. Sachsen sollte aus den Fehlern von damals wirklich gelernt haben.