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Braucht der Kreis Görlitz Pflegekräfte aus Brasilien?

Sachsens Sozialministerin Petra Köpping warb in Brasilien um ausgebildetes Personal für hiesige Gesundheitseinrichtungen. An deren Bedarf sind auch Erwartungen geknüpft.

Von Steffen Gerhardt
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Die Diakonissenanstalt bildet für ihre Krankenhäuser in Niesky und Dresden selbst Fachkräfte in der Pflege aus und unterhält dafür Berufsfachschulen in Niesky (im Foto) und in Dresden.
Die Diakonissenanstalt bildet für ihre Krankenhäuser in Niesky und Dresden selbst Fachkräfte in der Pflege aus und unterhält dafür Berufsfachschulen in Niesky (im Foto) und in Dresden. © SZ-Archiv/André Schulze

Brasilien soll die "Kaderschmiede" für Sachsen werden, wenn es darum geht, ausgebildete Pflegekräfte in den hiesigen Gesundheitseinrichtungen und Pflegediensten zu beschäftigen. Damit will das sächsische Sozialministerium personelle Engpässe überwinden. Pfleger und Pflegerinnen aus dem Ausland sind schon viele im Kreis Görlitz beschäftigt. Zum Großteil kommen sie aus Polen und Tschechien. Nun soll Brasilien dazukommen, zwar mit ausgebildeten Fachkräften, aber aus einem anderen Kulturkreis. Die SZ hörte sich in Krankenhäusern und bei Sozialdiensten im Kreis Görlitz um, wie sie zum Thema brasilianische Pflegekräfte stehen.

Sozialministerin Petra Köpping (SPD), sie hatte sich vor gut zwei Wochen auf die Reise nach Lateinamerika begeben, spricht von einem Mehrbedarf an Pflegekräften, der sich bis 2035 in Sachsen auf mindestens 5.000 Stellen im Vergleich zu 2021 vergrößern wird. Inzwischen zählt der Freistaat 310.674 Pflegebedürftige. Stand 2021, aktuellere Zahlen hat das Statistische Landesamt Sachsen nicht. 2017 waren es 204.797 in Pflege befindliche Menschen, 2013 führte die Statistik 149.461 Personen auf.

Sprunghafter Anstieg an Pflegebedürftigen

Mit der steigenden Zahl an Pflegebedürftigen wächst auch die Anzahl der in der Pflege Tätigen. In der stationären und ambulanten Pflege sind es Ende 2021 im Kreis Görlitz 6.462 Menschen gewesen. Zum Vergleich: 2017 waren es 5.763; 2013 erst 4.669 Personen. Also ein Beschäftigungszuwachs in den vergangenen acht Jahren auf 138 Prozent. Und dieser Bedarf wird weiter steigen.

Von einem Pflegenotstand ist im Kreis Görlitz nicht die Rede, zumindest was die großen Gesundheitseinrichtungen und sozialen Dienste betrifft. Vom ASB-Regionalverband Zittau/Görlitz heißt es: "Derzeit sind wir noch in der Lage, unsere Versorgung sicherzustellen. Zukünftig wird uns vor allem der Renteneintritt der Babyboomer-Jahrgänge eine große Lücke in die Personaldecke reißen", berichtet Katharina Kaup, Leiterin Kompetenzzentrum Pflege.

Krankenhaus Niesky hat alle Stellen besetzt

Auch aus dem Niesyker Krankenhaus ist zu hören, dass es derzeit keine offenen Stellen in der Pflege gibt. Dennoch ist für die Diakonissenanstalt Dresden die Anspannung auf dem Arbeitsmarkt spürbar. "In Bereichen, in denen wir absehbar einen Bedarf erwarten, haben wir deshalb bereits heute Stellen ausgeschrieben und stellen geeignete Bewerber ein, um keine Vakanzen entstehen zu lassen", sagt Diako-Sprecher Victor Franke und bezieht dabei auch das Diakonissenkrankenhaus in Dresden mit ein.

Der Diakonissenanstalt kommt dabei zugute, dass sie Träger der Berufsfachschulen für Pflegeberufe in Dresden und Niesky ist. Damit kann der Bedarf durch eigene Absolventen gedeckt werden. Auf pflegerische Hilfe aus Brasilien sei man deshalb nicht angewiesen, auch wenn man sich qualifizierten Bewerbern rund um den Erdball nicht verschließt. Aber daran sind auch ein paar Bedingungen geknüpft: "Neben der Ausbildung und den Deutschkenntnissen müssen die ausländischen Pflegekräfte eine Anerkennung in einem für unser Krankenhaus relevanten Beruf haben. Darüber hinaus setzen wir von allen Mitarbeitern den Willen voraus, Teil unserer Dienstgemeinschaft im Sinne unseres christlichen Leitbildes zu sein", sagt Victor Franke.

Diakonie St. Martin knüpft Kontakte auf die Philippinen

Die Diakonie St. Martin zieht ausländische Fachkräfte grundsätzlich in Betracht. "Sie sind eine Möglichkeit, um unseren Bedarf an Mitarbeitenden zu decken", sagt Diakonie-Sprecherin Doreen Lorenz. "Wir werden in den kommenden Jahren Menschen benötigen, die auf dem heimischen Markt nur schwer oder gar nicht zu bekommen sind", ergänzt Frau Lorenz. Deshalb hat die Diakonie St. Martin - unabhängig der Reise der Sozialministerin - schon Verbindungen nach Fernost geknüpft.

Vertreter der Diakonie waren bereits Ende vergangenen Jahres auf den Philippinen und haben sich dort die aktuelle Situation, die Ausbildung und Bedingungen in der Pflege angesehen. "Dabei konnten wir vor Ort mit der Deutschen Botschaft und der Deutsch-Philippinischen Handelskammer die notwendigen Schritte für eine eventuelle Arbeitsaufnahme in Deutschland abstimmen", erklärt Doreen Lorenz. An die Bewerber knüpft die Diakonie die Erwartung, dass neben den Sprachkenntnissen und der Ausbildung auch Empathie, Einfühlungsvermögen und ein Verständnis für christliches Handeln vorhanden ist.

DRK hat Bedarf in der Altenpflege

Susan Wagenblaß ist zuständig für die Seniorendienste beim DRK-Kreisverband Görlitz Stadt und Land. Sie sagt grundsätzlich ja. "Brasilianische Pflegekräfte sind eine Option für unseren Pflegedienst und auch unserer Einrichtungen der Altenpflege. Der Bedarf ist vorhanden und variiert je nach Einrichtung." Die gegenwärtige Situation mit Pflegefachkräften ist beim DRK zufriedenstellend. "Es gibt jedoch einen Bedarf an zusätzlichen Pflegekräften, um den wachsenden Anforderungen, insbesondere den Herausforderungen des demografischen Wandels, gerecht zu werden", ergänzt Susan Wagenblaß.

Das DRK ist, was seine Mitarbeiter betrifft, bereits international aufgestellt. Eine Ausbildung in der Pflege absolvieren Personen aus Georgien, Vietnam und Polen. Pflegekräfte aus Rumänien, Syrien und Polen sind im Einsatz, Pflegefachkräfte kommen ebenfalls aus Polen und Syrien.

Hoher bürokratischer Aufwand für das Klinikum

Das Städtische Klinikum Görlitz zählt inzwischen 18 Pflegekräfte, die aus Polen oder Tschechien kommen. Mit ihnen kann Klinikum-Sprecherin Katja Pietsch die Personalsituation in der Pflege als "gut" einschätzen. Was den Einsatz von brasilianischen Pflegekräften betrifft, verweist Frau Pietsch auf den bürokratischen Aufwand, der einer Beschäftigung vorausgeht. Besonders für Bewerber aus nicht EU-Ländern ist dieser enorm, allein schon für die Erteilung von Visa. "Neben dem Anwerben müssen Trägereinrichtungen viel Integrationsarbeit leisten, das gilt es Schritt für Schritt anzugehen", so die Sprecherin.

Kreiskrankenhäuser setzen auf Ausbildung vor Ort

Der Kreis Görlitz ist Träger des Kreiskrankenhauses in Weißwasser und des Klinikums Oberlausitzer Bergland mit seinen Standorten in Ebersbach und Zittau. Vom Gesundheitsamt heißt es, dass Pflegekräfte aus Brasilien dann eine Option sind, wenn die Anerkennungsverfahren zur Berufsausübung für eine Tätigkeit in Deutschland vom Verordnungsgeber geregelt sind. Bisher ist das noch nicht so. Der Unterschied liegt darin, dass in Deutschland überwiegend eine berufsschulische Ausbildung existiert, so das Gesundheitsamt. Das hat zur Folge, dass Pflegekräfte mit einer Hochschulausbildung, wie in Brasilien, eine breitere Kompetenz von ärztlichen Leistungen erwerben. Diese können jedoch in Deutschland noch nicht angewendet werden. Der Bundesgesetzgeber hat dieses Problem erkannt und arbeitet an einer neuen Richtlinie beziehungsweise Novellierung des Heilberufsgesetzes.

"Die Personalstellen in der Pflege sind in den beiden kreisgeführten Einrichtungen so besetzt, dass die Erfüllung der stationären Leistungen gewährleistet ist, zum Teil jedoch eingeschränkt ist", sagt ein Behördensprecher. Neu ist, dass die Ausbildungsplätze an den Pflegeschulen in Sachsen aktuell nicht alle besetzt werden können, weil es an Bewerbern fehlt. Somit bleibt das Gewinnen von Pflegekräften auch für den Kreis Görlitz eine fortwährende Herausforderung, nicht nur im klinischen, sondern auch im Bereich der Altenhilfe. Wegbereiter ist dabei der aktive Ausbildungsverbund, der im Kreis Görlitz als erster im Freistaat Sachsen gegründet wurde, sowie die Fortentwicklung zur hochschulischen Ausbildung im Pflegeberuf an der Hochschule Zittau/Görlitz.

Kontakte zum Sozialministerium zwecks der brasilianischen Pflegekräfte hat bisher keine der befragten Einrichtungen beziehungsweise Träger geknüpft. Vom ASB heißt es: "Da wir uns sachsenweit dafür engagieren wollen, sprechen wir derzeit landesweit innerhalb des ASB und werden dann gemeinsam unser Interesse signalisieren." Laut Sozialministerin Köpping sind die ersten Bewerber bereits Teilnehmer eines Deutsch-Sprachkurses in Brasilien und werden bald in Kliniken in Hoyerswerda und Pulsnitz arbeiten.