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Werden die Wartezeiten bei Sachsens Fachärzten noch länger?

Geht es nach Gesundheitsminister Lauterbach, fällt der finanzielle Anreiz weg, neue Patienten aufzunehmen. Verbände kündigen Dienst nach Vorschrift an. Was bedeutet das für Patienten?

Von Kornelia Noack
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Wer einen Termin bekommt, kann sich glücklich schätzen. Kassenärzte befürchten noch längere Wartezeiten durch Sparpläne der Bundesregierung.
Wer einen Termin bekommt, kann sich glücklich schätzen. Kassenärzte befürchten noch längere Wartezeiten durch Sparpläne der Bundesregierung. © Rafael Sampedro

Durchschnittlich fünf Wochen müssen Patienten in Sachsen auf einen Termin bei einem Facharzt warten. In Zukunft werden sie wohl noch weitaus mehr Geduld aufbringen müssen. Der Grund sind die Sparpläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

In der vergangenen Woche hat er seine Ideen vorgestellt, um das Defizit der gesetzlichen Krankenkassen zu decken. Eine davon: die Streichung der sogenannten Neupatientenregel zum 1. Januar 2023. Ärzteschaft und Krankenkassen reagieren mit Unverständnis.

„Das ist nicht hinnehmbar. Wer akute Beschwerden hat, wird es dann deutlich schwerer haben, eine dringende Facharztbehandlung zu erhalten“, sagt Klaus Heckemann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen. „Die wegen des Ärztemangels ohnehin schlechte Versorgung im Land wird damit noch schlechter.“

Dabei hatte Karl Lauterbach als Gesundheitspolitiker noch für die Neupatientenregelung gestimmt. Sie war 2019 im Terminservice- und Versorgungsgesetz eingeführt worden. Ziel ist, dass Patienten ohne festen Arzt schneller einen Termin bei ambulanten Ärzten bekommen sollen, zum Beispiel bei HNO-Ärzten, Orthopäden, Augenärzten oder Urologen. Demnach erhalten Fachärzte für die Behandlung von Neupatienten eine leistungsbezogene Vergütung.

Es geht um 400 Millionen Euro

Als Neupatient gilt jemand, der in den vergangenen zwei Jahren nicht in der jeweiligen Praxis behandelt wurde. Extra honoriert wird zudem die Behandlung von Patienten, die über die sogenannte Terminservicestelle vermittelt werden. Allein in Sachsen waren das zwischen Mai 2021 und Juni 2022 rund 21.750 Patienten. Die Nachfrage nach Terminvermittlungen steigt seit Jahren.

Die Neupatientenregelung sollte nun auch hoch ausgelasteten Praxen einen Anreiz verschaffen, kurzfristig Termine für Patienten anzubieten – selbst, wenn sie bislang nicht zum Patientenstamm gehörten. „Für die Versorgung erhalten Haus- und Fachärzte seither das Honorar extrabudgetär, das bedeutet ohne Abschläge“, sagt Heckemann. „Fällt die Neupatientenregelung nun weg, geht der Anreiz verloren. Es ist demotivierend, wie die Bemühungen der Praxen um eine bestmögliche Versorgung der Patienten mit Füßen getreten werden.“

Wie das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland errechnet hat, geht es um rund 400 Millionen Euro, die weniger bei den Ärzten ankommen könnten. Das entspreche dem vollständigen Leistungsbudget von rund 1.650 niedergelassenen Ärzten beziehungsweise Psychotherapeuten. Dabei hatte Karl Lauterbach betont, dass er bei Honoraren keine Einschnitte machen wolle.

"Dienst nach Vorschrift" angekündigt

Die rund 183.000 ambulant tätigen Ärzte und Psychotherapeuten in Deutschland werden nach einem komplexen System honoriert. Der größte Teil kommt von den gesetzlichen Krankenkassen, die einen bestimmten Betrag zur Verfügung stellen – die sogenannte Gesamtvergütung. Für einzelne Leistungen wie ambulante Operationen oder Impfungen gibt es einen zusätzlichen Topf – ohne Begrenzung nach oben. Genau darüber werden Fachärzte unter anderem für Neupatienten vergütet.

Ebenso ausgeschlossen hatte Bundesgesundheitsminister Lauterbach, dass Leistungen für Patienten gekürzt werden. „Es liegt doch aber auf der Hand, dass die Patienten am Ende schlechter dastehen“, sagt Heckemann. Auch der Spitzenverband Fachärzte Deutschland befürchtet, dass sich die Grundversorgung weiter verschlechtern wird. „Die Bereitschaft von Medizinern, sich niederzulassen, insbesondere in prekären Versorgungsgebieten, wird dadurch weiter sinken. Und die Bereitschaft von Fachärzten, früher in den Ruhestand zu gehen, wird steigen“, sagt Spitzenverbandschef Dirk Heinrich.

Für den Fall, dass die Sparpläne beschlossen werden, würde die Fachärzteschaft sofort nur noch „Dienst nach Vorschrift“ machen, kündigte Heinrich an. Dabei hätte die Einführung der Neupatientenregelung viele positive Effekte für die ambulante Versorgung nach sich gezogen – für Patienten sei der Zugang zu Fachärzten einfacher geworden.

Diese Erfahrung teilt auch Klaus Heckemann, der als Kassenärzte-Chef für die Sicherstellung der ambulanten Versorgung in Sachsen verantwortlich ist. Bereits 2014 war unter seiner Regie eine ähnliche Neupatienten-Regelung im Freistaat eingeführt worden. „Wir hatten das Problem viel früher erkannt“, so Heckemann. Nach dem sächsischen Modell erhielten Fachärzte für Behandlungen von Bestandspatienten etwas weniger Geld und dafür für die Behandlung von Neupatienten ein deutlich höheres Honorar. Die Krankenkassen zahlten einen Zuschuss, der jedoch gedeckelt war. „Das heißt, die Kassen wussten, mit welchen Ausgaben sie rechnen mussten. Das hat gut funktioniert“, so Heckemann.

Verzichtbare Leistungen würden nicht umgesetzt

Mit der Einführung der bundesweiten Regelung 2019 wurde das sächsische Modell obsolet. Die finanziellen Auswirkungen wurden nun für die Krankenkassen kaum kalkulierbar – letztlich wurde es wohl zu teuer. „Warum konnte man nicht die sächsische Neupatientenregelung von damals übernehmen? Statt sie nun zu streichen, könnte man doch einen Kompromiss finden“, sagt Heckemann. „Eine Reform des Kassen-Finanzsystems ist sicher notwendig. Doch dies in dieser Weise mit Einschränkungen und Kürzungen umzusetzen, ist nicht der richtige Weg.“

Kritik an den Sparplänen kommt auch vom Hartmannbund, einem freien Ärzteverband. „Der Einschnitt ist vor dem Hintergrund der steigenden Inflation und berechtigten Erhöhungen der Tariflöhne für die Praxen wirtschaftlich fatal und werde sich für die Versorgungsqualität als kontraproduktiv erweisen“, sagt Thomas Lipp, Vorsitzender des sächsischen Landesverbandes. Er ruft gar zu unkonventionellen Methoden des Protestes auf. „Wir sollten langsam ernsthaft erwägen, ob Gutachten, Kassenanfragen, Routine-Hausbesuche oder andere verzichtbare Leistungen eine Zeit lang nicht mehr umgesetzt werden“, sagt Lipp.

Um das 17-Milliarden-Defizit der gesetzlichen Krankenkassen zu decken, hatte Karl Lauterbach ein ganzes Maßnahmenpaket vorgeschlagen. Was beschlossen werden wird, ist bislang noch offen.

  • Wer dringend einen Facharzt braucht, aber selbst keinen Termin bekommt, kann sich seit 2016 bundesweit an die regionalen Terminservicestellen wenden.

  • Sachsen war hierfür Vorreiter: Die Kassenärztliche Vereinigung richtete bereits 2014 eine Terminservicestelle für Patienten im Freistaat ein. Sie sollten bei entsprechender Bedürftigkeit binnen vier Wochen einen Facharzttermin bekommen.

  • Den Arzt aussuchen können sich Patienten in der Regel nicht. Teilweise müssen sie längere Anfahrtswege in Kauf nehmen.

  • Eine Überweisung zum Facharzt mit einer Kennzeichnung der Dringlichkeit ist in den meisten Fällen notwendig. Eine Ausnahme gilt für Augenärzte und Gynäkologen. Die Terminservicestellen unterstützen auch bei der Suche nach einem Hausarzt oder Kinder- und Jugendarzt.

Erreichbar sind die Terminservicestellen telefonisch unter der Nummer 116 117.
Die Terminsuche ist auch online möglich.