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Kommunalpolitik geht uns alle an

Bei den Kommunalwahlen in Sachsen ist die Beteiligung gering. Dabei wird gerade hier unser Leben geregelt. Ein Plädoyer fürs Mitmischen.

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Restmüllbeseitigungsbehälterentleerung – ein klassisches Feld der Kommunalpolitik.
Restmüllbeseitigungsbehälterentleerung – ein klassisches Feld der Kommunalpolitik. © Ronald Bonß

Von Julian Nejkow

Am 12. Juni wurden die Sachsen an die Urne zur Kommunalwahl gerufen, knapp die Hälfte der Wahlberechtigten ging hin. In einigen Kommunen gibt es am 3. Juli einen zweiten Durchlauf, in Dresden ist die Oberbürgermeister-Stichwahl am 10. Juli. Erfahrungsgemäß werden dann noch weniger die Couch mit dem Gang in die Kabine tauschen – aber warum?

Kommunalpolitik ist die kleinste Einheit der Demokratie. Verwalten, Gestalten und immer wieder Verhandeln. So die Theorie. Ortsbei-, Gemeinde-, Stadträte, ehrenamtliche und hauptamtliche Bürger- und Oberbürgermeister, Landräte. So weit, so klar. Was sie alle so ganz genau machen? So weit, so unklar.

Was ist das eigentlich, Kommunalpolitik? Da bringt das Grundgesetz schnell Aufklärung: Das Recht der kommunalen Selbstverwaltung ist in Artikel 28 verankert: "Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln." Wortlaut klar, Inhalt abstrakt.

Ähnlich abstrakt, wie manche Wortkonstruktionen, die uns im Alltag begegnen und mit denen wir Kommunalpolitik, in diesem Fall Verwaltung, verbinden: Restmüllbeseitigungsbehälterentleerung, Straßenbegleitgrün oder Lautraum. Was wollten uns die Stadtbediensteten damit sagen? Müllabfuhr, begrünter Mittelstreifen und Diskothek.

Auch der Sportverein ist Politik

Nun, nach der ersten Erheiterung setzt eine gewisse Ohnmacht ein. Verwaltung ist ein Teil der Kommunalpolitik, doch Kommunalpolitik ist mehr. Interessiert das jemanden? Den Wählern bei Wahlbeteiligungen von regelmäßig unter 50 Prozent muss unterstellt werden: nicht sonderlich. Die Gewählten, die diesen Trend seit Jahren beobachten und sicher vieles versuchen: vielleicht mehr. Das Ergebnis bleibt das gleiche: Interesselosigkeit auf der einen, Verdruss auf der anderen Seite.

Als Prellböcke herhalten, das dürfen die politischen Würdenträger allemal. Wenn was nicht klappt, sei es der Mülleimer, der mal wieder nicht entleert wurde, sei es eine viel zu lange bestehende Baustelle, seien es vermeintliche oder gar tatsächliche Amigo-Affären, die von der Unfähigkeit bis zur Korrumpierbarkeit der Würdenträger reichen.

Zwei Drittel der Kommunalpolitiker werden regelmäßig beleidigt, bepöbelt – und manchmal bis über die Grenzen der körperlichen Unversehrtheit hinaus bedroht. So lässt sich kaum gute Politik machen und schon gar nicht im gegenseitigen Einvernehmen etwas erreichen. So können wir nicht miteinander umgehen und so stellen sich auch keine Kandidaten für diese Ämter zur Verfügung.

Doch gehen wir einen Schritt zurück. Der Bürger, der sich regelmäßig als unpolitisch oder wenig politikinteressiert bezeichnet, wäre selbst verblüfft, wie politisch er wirklich ist. Oder kennen Sie einen Menschen, der ausschließlich arbeitet und dann nach Hause geht, isst und schläft? Sei es der Sport-, Heimat-, oder Feuerwehrverein, in dem man sich engagiert, sei es die Vertretung im Eltern-, Seniorenbeirat oder das Engagement für ein konkretes Anliegen, von Kitabetreuung über Spielplätze bis zum Brunnen, in der Gemeinde oder in der Stadt. Dort passieren bei den zumeist ehrenamtlichen Tätigkeiten Fehler, die schnell verziehen sind. So großmütig und großzügig ist die Fehlertoleranz für die "da oben" nicht. Da wird sich echauffiert über alles und jeden.

Interesse statt Intrige

Demokratie ist Arbeit. So wäre es wünschenswert, wenn statt Hass und Hetze gegenseitige Akzeptanz und Respekt im Vordergrund stünden. Ziel in der kleinsten Einheit der Demokratie soll es sein, das Gemeinwohl voranzubringen. So ist es weder vermessen noch anmaßend, vom Bürger wieder mehr Interesse, mehr Engagement und auch ein wenig Verständnis einzufordern. Im Gegenzug sollte bei den Würdenträgern statt Dekadenz und Wählerverdruss wieder der Wille zur Verständigung in den Vordergrund treten.

Es sind eben nicht allein Olaf Scholz, Robert Habeck, Annalena Baerbock oder Friedrich Merz, die unsere alltäglichen Belange entscheiden, sondern auch Frau Schmidt oder Herr Müller, die als Kommunalpolitiker bei uns um die Ecke wohnen. So kann aus dem Erregungspotenzial im Großen ein Errungenschaftspotenzial im Kleinen gewonnen werden, indem man konkrete Politik, konkrete Vorhaben im Kleinen anstößt, anstatt sie im Großen immer zu kritisieren.

Ein Anfang wäre ein größeres Interesse von uns allen, an den kleinen Themen, die uns tatsächlich und tagtäglich bewegen. Statt sich ausschließlich mit den großen Kriegen, so furchtbar sie sind, oder gar den Traumhochzeiten der Adelshäuser zu befassen, ist die Frage nach der Restmüllbeseitigungsbehälterentleerung, dem Strassenbegleitgrün oder dem Lautraum zwar ein wenig unglamouröser, aber in nicht in jedem Fall weniger wichtig.

Julian Nejkow, 34, ist Politikwissenschaftler und lebt in Görlitz. Nach Studien in Jena und Dresden und Aufenthalten in Amerika und Bulgarien geht der Deutschbulgare aktuell der Frage nach Politikskeptizismus und Politikinteresse auf den Grund. Im Podcast
Julian Nejkow, 34, ist Politikwissenschaftler und lebt in Görlitz. Nach Studien in Jena und Dresden und Aufenthalten in Amerika und Bulgarien geht der Deutschbulgare aktuell der Frage nach Politikskeptizismus und Politikinteresse auf den Grund. Im Podcast © Mario Heller

Mit dem Interesse und der Beschäftigung stiege auch die Wahlbeteiligung. Interesse ist wichtiger als Intrige, echte Weiterentwicklung wichtiger als zu bemängelnder Stillstand. So erwächst aus dem interessierten Wähler, statt dem ewigen meckernden, ein stets verantwortungsvoller Bürger, der letztlich mit dem jetzt verstandenen Handwerk des kommunalen Würdenträgers sogar selbst zu einem werden kann und werden will.

Viele warme, große Worte, vom Wollen und Sollen vom Können und Dürfen. Übersetzen wir dies doch mal in die Praxis. Beginnen wir beim Politiker oder der Politikerin selbst, gehen über die Vereine und Verbände und enden bei jenem oder jener, um den oder die es gehen soll – beim Bürger oder der Bürgerin. Über die verschiedensten Kanäle versuchen Politikerinnen und Politiker, ihre Vorhaben und ihre Politik zu erklären. Das Interesse hält sich in Grenzen, das Erregungspotenzial allerdings nicht, vor allem in den Social Media.

Trotzdem zeigt sich immer wieder: Wer sich ums Erklären bemüht, als ehrlich, direkt und authentisch gilt, ist beliebt bei den Wählern und wird von ihnen auch regelmäßig gewählt. An der teilweise fehlenden politischen Bildungslücke sind die Politiker nur sehr entfernt schuld.

Vereine und Verbände, staatliche Institutionen und Zivilgesellschaft bemühen sich seit Jahrzehnten, diese Lücke zu schließen. Zu häufig kommt es jedoch leider in ihren eigenen Bubbles zur Selbstversicherung ihrer Ideen und deren Umsetzung häufiger zum Selbst- als zum eigentlich angedachten Fremdzweck. Hier könnte gelten: Zielgruppen stärker in den Fokus nehmen, unorthodoxe Wege des Zugangs zur Zielgruppe und letztlich immer weiter und neu versuchen, politische Bildung und politische Kultur zu säen – zu ernten wäre eine interessierte und informierte Wählerschaft, die Bock auf Politik hat.

So wird das Kleine ganz groß

Und letztlich der Wähler, der wieder erkennen muss, wie wichtig Politik ist, der diese Angebote wahrnehmen sollte und jederzeit die Möglichkeit hat, eigene zu schaffen. Am Ende gilt aber: Nicht jeder Aktionismus ist gut. Wichtiger ist die Haltung und die Erkenntnis: Kommunalpolitiker werden gebraucht, und ebenso ein politikinteressiertes Volk.

Die Politik steht vor nie gekannten Herausforderungen. In den jetzt gekannten Krisen von Corona über den Ukrainekrieg bis hin zur Klimakrise ist mehr zu tun den je. Die Krisen und Probleme lassen sich kurzfristig sicherlich eindämmen, vielleicht lösen. Langfristig aber liegt die Lösung im Kleinen – bei uns allen, durch uns alle.

Zeigen wir also bei den zweiten Wahlgängen, dass Wählengehen nicht nur oberste Bürgerpflicht, sondern ein Privileg ist. So wäre ein Anfang gemacht, statt ein Ende der Demokratie zu beschwören. Es bleibt eine zwar anstrengende, aber immer noch die beste Form des Zusammenlebens.

Doch mit einem Anfang alleine ist es nicht gemacht. Wenn das gegenseitige Verständnis steigt, kann man an allen Fronten auch wieder inhaltlich reden. Über Wahlperioden, über die Stellung der kommunalen Würdenträger, über ihre Bezahlung, mehr Bürgerbeteiligung und über das gemeinsame Zusammenleben. Dann wird das Kleine am Ende ganz groß.