Update Politik
Merken

Flüchtlingsgipfel bei Faeser: Kommunen enttäuscht

Aufgrund steigender Asylzahlen sehen sich viele Kommunen unter Druck. Von Bund und Ländern fordern sie eine verlässliche Finanzierung. In Sachsen gibt es einen Landkreis, der neue Wege geht.

 7 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Schnelleres Bauen von Unterkünften - das war nur einer von vielen Knackpunkten am Donnerstag beim Flüchtlingsgipfel von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Schnelleres Bauen von Unterkünften - das war nur einer von vielen Knackpunkten am Donnerstag beim Flüchtlingsgipfel von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). © Kay Nietfeld / dpa

Berlin. Landrat Gernot Schmidt fühlt sich alleingelassen. "Das Kernproblem ist, dass Land und Bund es sich sehr einfach machen", empört sich der SPD-Politiker. 5.000 Geflüchtete habe sein Landkreis Märkisch-Oderland östlich von Berlin seit 2015 aufgenommen. Vor allem Familien kämen und blieben bei ihm in der Region. Nun sei Wohnraum knapp, es fehlten Kitas und Schulen. "Es hängt alles am Ausbau der Infrastruktur", sagt Schmidt. Nötig seien mehr Investitionen und weniger Bürokratie, damit schneller gebaut werden könne.

Schnelleres Bauen von Unterkünften - das war nur einer von vielen Knackpunkten am Donnerstag beim Flüchtlingsgipfel von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Am Ende zeigte sich der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, jedoch enttäuscht. Dass man gut eineinhalb Stunden länger als geplant beraten habe, heiße nicht, dass es "hervorragende Ergebnisse" gebe: "Das ist leider nicht der Fall", meinte Sager.

Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) sagte, die Bundesregierung habe die Lage und die Grenzen der Aufnahmefähigkeit nicht wirklich realisiert. Er forderte einen vorübergehenden Stopp von zusätzlichen Bundesaufnahmeprogrammen und die Einstufung der Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern. Straftäter und Gefährder sollten auch in Länder wie Afghanistan, Syrien und Irak abgeschoben werden können. Dazu habe es von der Bundesinnenministerin keine festen Zusagen gegeben.

Armin Schuster (CDU), Innenminister von Sachsen, spricht nach dem Flüchtlingsgipfel mit Vertretern der Innenministerkonferenz und der kommunalen Spitzenverbände im Innenministerium mit Journalisten.
Armin Schuster (CDU), Innenminister von Sachsen, spricht nach dem Flüchtlingsgipfel mit Vertretern der Innenministerkonferenz und der kommunalen Spitzenverbände im Innenministerium mit Journalisten. © dpa

Sachsen arbeite als Grenzbundesland mit einem enormen Zugang bisher vollkommen störungsfrei, sagte Schuster. Sachsen habe es als eines der wenigen Bundesländer geschafft, keine Turnhallen oder Zelte als Notunterkünfte nutzen zu müssen. "Wir haben hier einen super Job gemacht."

Er begrüßte es, dass ein Vorschlag aus Sachsen aufgegriffen worden sei. Bund, Länder und Kommunen wollen künftig in verschiedenen Arbeitsgruppen zu Themen wie Finanzierung, Integration und irreguläre Zuwanderung konkrete Schritte über das weitere Vorgehen vereinbaren.

Forderungen nach Milliardenhilfen abgeblockt

Der Präsident des Landkreistages Reinhard Sager bekräftigte, dass er eigentlich lieber mit Bundeskanzler Olaf Scholz gesprochen hätte und da vor allem über mehr Geld für die Kommunen. Forderungen nach neuen Milliardenhilfen des Bundes für die Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten hatte Faeser schon vor dem Gipfel abgeblockt - mit Hinweis auf die bereits zugesagten 3,5 Milliarden Euro für 2022 und weitere 2,75 Milliarden Euro für 2023. Nach dem Treffen sagte die Innenministerin, es gebe einen klaren Fahrplan, um Ostern herum mit dem Bundeskanzler erneut über Finanzen zu verhandeln.

Bis dahin sollen auch jetzt vereinbarte Arbeitskreise zu den wichtigsten Themen - Unterbringung, schnellere Verfahren, Integration und "Begrenzung irregulärer Migration" - Ergebnisse vorlegen. Und Faeser versprach, sich in der EU für eine bessere Verteilung der Ukraine-Flüchtlinge einzusetzen. Patentrezepte hatte sie nicht im Angebot. An den Klagen von Ländern und Kommunen über die zugespitzte Situation ändert der Gipfel erstmal wenig.

Die Zahlen:

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine kamen 2022 mehr als eine Million Menschen aus dem Kriegsgebiet nach Deutschland. Berücksichtigt man die Wegzüge, kommt das Statistische Bundesamt auf eine Nettozuwanderung von 962.000 Menschen aus der Ukraine. Darüber hinaus beantragten hier im vergangenen Jahr 217.774 Menschen aus Syrien, Afghanistan, der Türkei und anderen Staaten erstmals Asyl - so viele wie seit 2016 nicht. Im Januar 2023 kamen 29.072 Asylanträge hinzu. Faeser sagte Anfang der Woche bei einer Veranstaltung der Deutschen Presse-Agentur: "Es ist sehr schwierig, aber es ist deshalb schwierig, weil Putin diesen Krieg angefangen hat. Acht von zehn Flüchtlingen kommen aus der Ukraine, das macht die große Zahl aus."

Die Unterbringung:

"Viele Kommunen sind bei der Unterbringung von Geflüchteten bereits jetzt an der Belastungsgrenze angekommen", heißt es in einem Papier des Städte- und Gemeindebunds. Von den geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern zogen einer Befragung zufolge drei Viertel in Privatwohnungen. Doch seien die anfänglich genutzten Plätze in Familien oder Ferienwohnungen "aufgebraucht", berichtete Landrat Onno Eckert aus dem thüringischen Landkreis Gotha vor einigen Tagen im Deutschlandfunk. Jetzt kämen Asylsuchende hinzu. "Insgesamt ist es dann schon so, dass es eine Herausforderung ist", sagte der SPD-Politiker. Es gebe bei ihm 400 Plätze in Gemeinschaftsunterkünften, aber wenig freie Wohnungen.

Faeser rechnet vor, dass der Bund 333 Gebäude mit bis zu 69.000 Plätzen mietfrei überlasse. Kommunen klagen allerdings, nicht immer seien die Gebäude ohne Sanierung nutzbar. Der Mediendienst Migration recherchierte, dass seit März 2022 bundesweit rund 74.000 Aufnahmeplätze geschaffen wurden. Bei der Auslastung gebe es Unterschiede: In Bayern seien die Plätze in Erstaufnahmeeinrichtungen zu 90 Prozent belegt, in Hessen zu 50 Prozent. Auch Faeser sagte: "Die Belastungssituation ist unterschiedlich, die ist in einigen Bereichen sehr prekär." Dazu zählte die SPD-Politikerin Leipzig, wo Zeltstädte errichtet werden. Einige Kommunen berichten, sie müssten auch Turnhallen und Container nutzen oder stünden kurz davor.

Die Verteilung:

Grundsätzlich gilt: Regionen mit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit werden relativ viele Schutzsuchende zugewiesen, sie haben aber oft wenig bezahlbaren Wohnraum. Genau aus diesem Grund forderten Kommunalpolitiker aus dem Main-Taunus-Kreis - in der Nachbarschaft von Faesers Wohnort in Hessen - von Bundeskanzler Scholz andere Kriterien für die Zuweisung neuer Flüchtlinge.

Eine "gerechtere Verteilung" mahnten diese Woche aber auch Cottbus und der angrenzende Landkreis Spree-Neiße an. Die Stadt hätte laut Schlüssel 1.120 Asylbewerber und aufnehmen müssen, hat aber bereits mehr als 1.400 untergebracht. Grund ist wohl weniger die Wirtschaftsstärke als die Nähe zur polnischen Grenze. Eine andere, allseits als "gerecht" empfundene Verteilung in Deutschland dürfte also schwierig werden.

Der Städte- und Gemeindebund fordert deshalb neben schnelleren Asylverfahren und einer "Rückführungsoffensive" eine "zielgenauere Verteilung" von Schutzsuchenden in der gesamten EU. "Die Kommunen brauchen bei der Aufnahme von Flüchtlingen eine "Atempause"", meint der Kommunalverband. Die Verteildiskussion auf EU-Ebene ist jedoch seit Jahren ergebnislos. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) forderte nach Faesers Gipfel, der ganze "Mindset" der Ampel müsse sich ändern hin zur schärferen Begrenzung der Migration. Deutschland müsse "Motor des wirksamen EU-Außengrenzschutzes" werden.

Was es sonst noch braucht:

Vor allem die mit ihren Müttern geflüchteten Kinder aus der Ukraine brauchen Kitas und Schulen - wobei in Ballungsräumen ohnehin schon Lehrerinnen- und Erziehermangel herrscht. Landrat Schmidt aus Märkisch-Oderland verweist auf das Konfliktpotenzial: Die Kinder hätten einen Bildungsanspruch, aber wenn die Gruppen und Klassen zu groß würden, gebe es Unmut der übrigen Eltern. Schmidt ist auch dafür, Asylbewerbern ähnlich wie den Geflüchteten aus der Ukraine sofort eine Arbeitserlaubnis zu geben. Immer wieder höre er die Klage von Bürgern, dass die Ankommenden über Jahre in Sozialsystemen blieben.

Ähnlich sieht das der evangelische Pfarrer Lukas Pellio aus dem brandenburgischen Spremberg, der sich seit Jahren um Geflüchtete kümmert. Ukrainer und Menschen aus anderen Staaten dürften nicht unterschiedlich behandelt werden, meint Pellio. "Da gibt es ja nun plötzlich die guten Flüchtlinge und die bösen." Auch Migrations- und Sozialpolitik dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden.

In Sachsen, wo in einigen Orten erneut gegen die Unterbringung von Flüchtlingen protestiert wird, will der Landkreis Mittelsachsen neue Wege gehen: Er will selbst in die Rolle des Bauherrn schlüpfen, um preiswerten Wohnraum zu schaffen - für insgesamt 500 Menschen. Die Geflüchteten könnten so regional fairer verteilt werden. Bisher seien die Städte Freiberg und Hainichen überproportional belastet. "Das schafft Probleme, die vermeidbar wären", heißt es aus dem Landratsamt. Von Genehmigung bis Fertigstellung brauche ein solcher Neubau allerdings immer noch 16 bis 18 Monate. (SZ/dpa)