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"Ein Mann des Friedens, dem Deutschland viel zu verdanken hat"

Der ehemaligen sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow gilt als einer der Väter der deutschen Wiedervereinigung. Politiker aus Sachsen, Deutschland und der Welt sprechen ihre Anteilnahme aus.

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Bis zuletzt kämpfte er für demokratische Freiheiten in Russland - nun ist Michail Gorbatschow im Alter von 91 Jahren gestorben. Weltweit würdigten Politiker und Politikerinnen die Leistungen "Gorbis".
Bis zuletzt kämpfte er für demokratische Freiheiten in Russland - nun ist Michail Gorbatschow im Alter von 91 Jahren gestorben. Weltweit würdigten Politiker und Politikerinnen die Leistungen "Gorbis". © John Kringas/Chicago Tribune via ZUMA Press/dpa (Archiv)

Zahlreiche Politiker haben den russischen Friedensnobelpreisträger und ehemaligen sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow nach Bekanntwerden seines Todes gewürdigt. "Das Ende des Kalten Krieges und die Deutsche Wiedervereinigung wären ohne ihn undenkbar gewesen", schrieb Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Mittwoch auf Twitter.

Sachsens Vize-Regierungschef und Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) würdigte Gorbatschow als "wahrhaft großen Staatsmann", der "für uns eine große Hoffnung" war.

Ähnlich äußerte sich auch Mittelsachsens Landrat Dirk Neubauer. Auf Twitter schrieb er: "Keiner, dem wir mehr zu verdanken haben. Er lüftete den Vorhang. Nicht alles ist seither gelungen. Aber mehr, als wir glauben."

„Kann ein einzelner Mensch die Welt verändern? Ja. Er kann“

Auch zahlreiche Bundespolitiker haben Gorbatschows Wirken nach Bekanntwerden seines Todes gewürdigt. "Ohne ihn wäre die friedliche Revolution vielleicht nicht friedlich verlaufen, und es hätte die Wiedervereinigung 1990 womöglich nicht gegeben", schrieb der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil am Mittwoch auf Twitter. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) zog den Bogen noch weiter: Ohne Gorbatschow "wären die friedlichen Revolutionen in den Ländern des Ostblocks, bei uns, so nicht denkbar gewesen", schrieb sie in dem Kurznachrichtendienst. "Seine Worte haben uns, haben mich, ermutigt, stark gemacht."

CDU-Chef Friedrich Merz schrieb auf Twitter: "Die CDU trauert um einen Staatsmann, dem Deutschland vertrauen konnte und der uns vertraut hat." Ohne ihn wäre "die deutsche Einheit in Freiheit" nicht möglich gewesen.

CSU-Chef Markus Söder würdigte Gorbatschow als einen Mann, "der früher als andere die Zeichen der Zeit erkannte, den Kalten Krieg beendete und eine lange Periode des Friedens möglich machte", schrieb er auf Twitter. "Den Weg zur Deutschen Einheit hat er ohne Zögern eröffnet."

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) nannte den einstigen Sowjet-Präsidenten einen "Jahrhundertpolitiker". Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) schrieb: "Ein mutiger Überzeugungstäter, dessen Stimme fehlen wird." Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) äußerte sich ähnlich und fügte hinzu: "Sein Tod bedrückt. In dieser Zeit noch mehr.".

Grünen-Politiker Jürgen Trittin twitterte: "Ich verneige mich vor einem großen Politiker des Friedens Michael #Gorbatschow RIP". Gorbatschow starb am Dienstagabend im Alter von 91 Jahren in Moskau.

"Kann ein einzelner Mensch die Welt verändern?", fragte der ehemalige CDU-Chef Armin Laschet auf Twitter und antworte sogleich selbst: "Ja. Er kann. Keine Gewalt, keine Panzer, Abzug von 350.000 sowjetischen Soldaten aus Deutschland. Freiheit für Millionen in Mittel-Osteuropa. Deutsche Einheit. Undenkbar ohne Michail Gorbatschow."

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zitierte Laschets Tweet und stimmte "uneingeschränkt" zu. "Ich erinnere mich noch an das erste Porträt, das ich über Gorbatschow gelesen habe, 1987. Von Anfang an war klar, dass er die Welt verbessern könnte. Es ist ihm gelungen."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Gorbatschow unterdessen als "großen Staatsmann" gewürdigt. "Deutschland bleibt ihm verbunden, in Dankbarkeit für seinen entscheidenden Beitrag zur deutschen Einheit, in Respekt für seinen Mut zur demokratischen Öffnung und zum Brückenschlag zwischen Ost und West, und in Erinnerung an seine große Vision von einem gemeinsamen und friedlichen Haus Europa", erklärte Steinmeier am Mittwoch. Gorbatschow habe in den vergangenen Jahren darunter gelitten, dass sein Traum in immer weitere Ferne rückte. "Heute liegt der Traum in Trümmern, zerstört durch den brutalen Angriff Russlands auf die Ukraine", betonte Steinmeier.

Altkanzlerin Angela Merkel sieht in Gorbatschow zudem "einen einzigartigen Weltpolitiker". "Möge die Erinnerung an seine historische Leistung gerade in diesen schrecklichen Wochen und Monaten des Krieges Russlands gegen die Ukraine ein Innehalten möglich machen", heißt es in einer Erklärung Merkels, die am Mittwoch auf ihrer Internetseite veröffentlicht wurde.

Sie habe die Nachricht von Gorbatschows Tod mit großer Trauer vernommen, schrieb die Altkanzlerin weiter. "Gorbatschow hat Weltgeschichte geschrieben. Er hat vorgelebt, wie ein einzelner Staatsmann die Welt zum Guten verändern kann", ergänzte sie. Er habe sich 1989/1990 dem Ruf der Menschen nach Freiheit in der DDR nicht mehr entgegen gestellt. "Mehr noch, er ließ zu, dass ein wiedervereinigtes Deutschland Mitglied der Nato werden konnte." Für sie unvergessen seien die Bilder der Begegnung von ihm mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) im Kaukasus 1990, mit der die Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit zum Greifen nah wurde. "Michail Gorbatschow hat auch mein Leben grundlegend verändert. Ich werde das nie vergessen", erklärte Merkel.

Putin äußert sein Beileid

Gorbatschow starb am Dienstagabend im Alter von 91 Jahren in Moskau. "Heute Abend ist nach schwerer und langer Krankheit Michail Sergejewitsch Gorbatschow gestorben", teilte das Zentrale klinische Krankenhaus (ZKB) der russischen Hauptstadt mit.

Der weltweit geschätzte Politiker galt als einer der Väter der Deutschen Einheit und als Wegbereiter für das Ende des Kalten Krieges. Besonders die Ostdeutschen verehren "Gorbi", wie sie ihn nennen, bis heute als Staatsmann, der ihnen vor mehr als drei Jahrzehnten die Freiheit brachte.

  • Ein großes Porträt, anlässlich von Gorbatschows 90. Geburtstag, lesen Sie hier.

Der russische Präsident Wladimir Putin äußerte nach Angaben eines Sprechers sein tiefes Mitgefühl zum Tod Gorbatschows. Putin werde der Familie am Mittwochmorgen ein Telegramm schicken, kündigte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstagabend in Moskau an.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte die Bedeutung des ehemaligen sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow für Europa heraus. "Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Beendigung des Kalten Krieges und dem Fall des Eisernen Vorhangs", schrieb von der Leyen am Dienstagabend auf Twitter. Sie bezeichnete Gorbatschow als Führungspersönlichkeit, die zuverlässig und geachtet gewesen sei. "Er ebnete den Weg für ein freies Europa. Dieses Vermächtnis werden wir nie vergessen."

US-Präsident Joe Biden würdigte Gorbatschow als "Mann mit außergewöhnlicher Weitsicht" und "Anführer, wie es ihn selten gibt", der die Welt "sicherer" gemacht habe. Und weiter: „Michail Gorbatschow war ein Mann mit einer bemerkenswerten Vision. (...). Dies waren die Taten einer außerordentlichen Führungspersönlichkeit - einer, die die Vorstellungskraft besaß, eine andere Zukunft für möglich zu halten, und den Mut hatte, ihre gesamte Karriere zu riskieren, um dies zu erreichen. Das Ergebnis war eine sicherere Welt und größere Freiheit für Millionen von Menschen.“

Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron bezeichnete Gorbatschow als "Mann des Friedens, dessen Entscheidungen den Russen den Weg zur Freiheit eröffnet haben".

Der britische Premierminister Boris Johnson hat vor allem das historische Erbe Gorbatschows gewürdigt. „Ich habe immer den Mut und die Integrität bewundert, die er gezeigt hat, indem er den Kalten Krieg zu einem friedlichen Ende brachte“, schrieb Johnson am späten Dienstagabend auf Twitter.

Zudem stellte er Gorbatschow dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gegenüber. „Zu einer Zeit von Putins Aggression in der Ukraine bleibt sein unermüdliches Engagement für die Öffnung der sowjetischen Gesellschaft ein Vorbild für uns alle“, schrieb Johnson.

Russen sahen Gorbatschow als Totengräber der Sowjetunion

In den 1980er Jahren hatte die Sowjetunion unter Gorbatschows Führung mit den USA wegweisende Verträge zur atomaren Abrüstung und Rüstungskontrolle geschlossen. In seiner Heimat hatte Gorbatschow als Generalsekretär der Kommunistischen Partei mit seiner Politik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) einen beispiellosen Reformprozess eingeleitet. Das brachte den Menschen in dem totalitären System bis dahin nie da gewesene Freiheiten.

1990 erhielt Gorbatschow für seine mutigen Reformen den Friedensnobelpreis. Der politische Prozess führte zu massiven Umbrüchen in allen Republiken des Sowjetstaates und letztlich zu einem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums.

Ein Großteil der russischen Bevölkerung sah den früheren Partei- und Staatschef stets als Totengräber der Sowjetunion - und als einen Politiker ohne Machtinstinkt. Gorbatschow trat als Präsident der Sowjetunion 1991 zurück, bevor sich der Staat wenig später selbst auflöste. Der neue starke Mann in Moskau wurde damals der russische Präsident Boris Jelzin (1931-2007).

Gorbatschow soll in Moskau bestattet werden

Bis zu seinem Tod hatte Gorbatschow sich um seine eigene politische Stiftung in Moskau verdient gemacht. Die Organisation setzt sich für demokratische Werte und eine Annäherung Russlands an den Westen ein.

Gorbatschow schrieb zahlreiche Bücher – zuletzt unter anderem auch über seine Enttäuschung von den Deutschen und dem Westen. Konkret beklagte er dabei, dass neue Feindbilder gegen Russland gezeichnet würden. Zu den Feiern zum 30. Jahrestag des Mauerfalls im Herbst 2019 war er aus Gesundheitsgründen nicht gereist. Er musste in den vergangenen Jahren immer wieder im Krankenhaus behandelt werden.

Der Politiker war Miteigentümer der kremlkritischen Zeitung "Nowaja Gaseta", die immer wieder Missstände in Russland aufdeckt. Gorbatschow hatte in den vergangenen Jahren Kremlchef Wladimir Putin mehrfach aufgefordert, die Freiheit der Medien und Wahlen nicht weiter einzuschränken.

Der Staatsmann wird in Moskau auf dem Neujungfrauenfriedhof für Prominente beerdigt - neben seiner Frau Raissa. (SZ/mit dpa)