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Die AfD hat ihren ersten Landrat - Politiker in Sachsen sind alarmiert

Die AfD hat eines ihrer großen Ziele erreicht und stellt in Thüringen erstmals einen Landrat. Sächsische Politiker sehen das als Alarmsignal - die AfD Anzeichen für ein "politisches Erdbeben" im Osten.

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Robert Sesselmann (AfD) ist der neue Landrat im Kreis Sonneberg (Thüringen). Landesvorsitzender Björn Höcke (links) und Bundesvorsitzender Tino Chrupalla (rechts) gratulieren.
Robert Sesselmann (AfD) ist der neue Landrat im Kreis Sonneberg (Thüringen). Landesvorsitzender Björn Höcke (links) und Bundesvorsitzender Tino Chrupalla (rechts) gratulieren. © Schutt/dpa

Sonneberg. Bundesweit im Umfragehoch und jetzt auch mit einem zählbaren Wahlerfolg: Die rechtspopulistische AfD hat zehn Jahre nach ihrer Gründung erstmals in Deutschland ein kommunales Spitzenamt erobert. Mit 52,8 Prozent gewann ihr Kandidat Robert Sesselmann am Sonntag die Landratswahl im Thüringer Kreis Sonneberg gegen seinen CDU-Konkurrenten Jürgen Köpper, der nur auf 47,2 Prozent kam.

"Das war erst der Anfang", schrieb AfD-Chef Tino Chrupalla auf Twitter. "Wir überzeugen Mehrheiten mit unserer Politik für die Interessen der Bürger. So werden wir für Deutschland die Wende zum Guten erreichen." Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke sagte, von Sonneberg gehe ein "politisches Wetterleuchten" aus. Man wolle diesen Schwung mitnehmen für die kommenden Landratswahlen und sich dann auf die Landtagswahlen vorbereiten, wo man ein "politisches Erdbeben" im Osten erzeugen könne. Kommendes Jahr stehen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg Landtagswahlen an.

Sesselmann hat enge Verbindungen zu Sachsen. Einen Teil seiner Schulzeit verbrachte der heute 50-Jährige in Chemnitz, nach dem Abitur studierte er Jura an der Universität Leipzig. Sein Rechtsreferendariat absolvierte er von 1996 bis 1998 am Oberlandesgericht Dresden. Heute arbeitet er als Rechtsanwalt in seiner Geburtsstadt Sonneberg.

Bei der Präsentation der Wahlergebnisse waren am Sonntag weder Sesselmann noch Köpper (57) dabei - sie zogen es vor, bei ihren Anhängern zu bleiben. Bei der AfD wurde gefeiert, auf den Tischen lagen Deutschland-Flaggen, überall hingen blaue Ballons. Wahlsieger Sesselmann will als künftiger Landrat auch mit dem politischen Gegner sprechen, kündigte er bei der AfD-Wahlparty in Sonneberg an. Die AfD sehe er "auf dem Weg zur Volkspartei". Der unterlegene Köpper bezeichnete den Wahlausgang in einer Mitteilung als "enttäuschend" und sprach von einem schlechten Tag für den Landkreis Sonneberg und für Thüringen.

Im Landkreis Sonneberg ging es um einen Landrat in einem Landstrich mit wenig Menschen - gerade einmal 57.000 Einwohner und 48.00 Wahlberechtigte hat der Landkreis im Thüringer Wald direkt an der Grenze zu Bayern. Aber die AfD hat nach eigener Lesart Geschichte geschrieben. Das Ergebnis zeigt: Mehrheiten für die systemkritische Protestpartei sind möglich - und das in Thüringen, wo der Landesverband mit seinem Chef Höcke vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft und beobachtet wird.

Auch aus Sachsen kamen Reaktionen auf die Wahl. Die sächsische SPD-Vorsitzende Kathrin Michel sprach von einem "Warnsignal an alle, nicht nur für die Parteien." Die Bürgerinnen und Bürger erwarteten zu Recht, dass Politik konkrete Probleme löse, so Michel weiter. Ihr Ko-Vorsitzender Henning Homann fügt mit dem Blick auf Sachsen hinzu: “Niemand sollte jetzt in Alarmismus verfallen. Auch wenn die AfD in Thüringen jetzt einen Landrat stellt - in Sachsen haben die AfD-Kandidaten im letzten Jahr alle deutlich verloren. Es wird hier in Sachsen nicht passieren, dass die AfD in Regierungsverantwortung kommt, geschweige denn den Ministerpräsidenten stellt.”

Sachsens Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt twitterte: "Nun ist es also "passiert", der Erste #noafd Landrat wurde gewählt." Diejenigen, die ihn gewählt hätten, hätten diese Entscheidung bewusst getroffen, schreibt Gebhardt und weiter: "Ob jetzt auch Herr #Maerz von der @CDU versteht, man wählt das Original und nicht die Kopie?"

Der Landrat von Mittelsachsen, Dirk Neubauer, twitterte: "Der etablierte politische Raum ist mit Grabenkampf beschäftigt. Während Rechte schleichend das Land unterwandern. Es wird Zeit." Neubauer fordert ein Ende der Debatte um politische Richtungen, sondern einen "Aufbruch des Vertrauens" und der "starken Kommunen".

Sachsens Grünen-Vorsitzende Marie Müser twitterte: "Das Ergebnis ist bestürzend und muss uns allen zu denken geben. Alle demokratischen Parteien sind in der Verantwortung, unsere Demokratie zu stabilisieren und unser gesellschaftliches Miteinander zu stärken - insbesondere in unsicheren Zeiten." Sie spricht vom "Schaden durch Fingerzeige und Schuldzuschreibungen", dadurch, dass "nicht alle demokratischen Parteien" zu einem politisch fruchtbaren Streik beigetragen hätten.

Sachsens Ausländerbeauftragter: "Reiner Bundes-Wahlkampf"

Der sächsische Ausländerbeauftragte Geert Mackenroth (CDU) sagte nach der Sonneberg-Wahl auf Anfrage, seine Partei wolle die AfD in seinem Land mit sauberer politischer Arbeit stellen. "Das, was in Thüringen passiert ist, war ein reiner bundespolitischer Wahlkampf", sagte der CDU-Politiker am Montag auf dpa-Anfrage. Bei Themen wie Bildung, Nahverkehr oder Krankenhausreform habe die AfD keine konkreten Vorstellungen oder Konzepte.

"Wir sollten die AfD stellen, wo immer wir sie stellen können. Dass ich mich freue, dass dieser Dammbruch nicht in Sachsen passiert ist, ist auch klar." Ein ähnliches Ergebnis hätte in Sachsen seiner Meinung nach wieder ein negatives Image nach sich gezogen. Dies würde dem Ziel - Sachsen weltoffener zu machen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken - erheblich schaden.

"Ich glaube schon, dass wir mit Michael Kretschmer (CDU) jemanden haben, der einigermaßen Gewähr dafür bietet, dass die AfD in Schranken gehalten wird", sagte Mackenroth, der ebenfalls der CDU angehört. Zudem müsse "professionelle Sacharbeit in der sächsischen Politik eher gefördert werden als dieser Parteien-Streit, der jetzt im Vorfeld der Landtagswahl wahrscheinlich nicht weniger wird". Hierfür brauche es ein klares Konzept, das nicht in Populisten-Sprache abgleitet wie bei der AfD.

Ziel sei es, ein starkes Ergebnis wie für die AfD in Thüringen zu vermeiden. "Wir wollen die stärkste Partei werden und wir wollen ein möglichst gutes Ergebnis für die CDU und dann eben auch für die anderen bürgerlichen Parteien."

Landratswahl in Sonneberg: Linke, SPD, Grüne und FDP wollten AfD-Sieg gemeinsam verhindern

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) bezeichnete den AfD-Wahlerfolg als Signal der Unzufriedenheit. "Ich glaube, wir müssen den Geist der deutschen Einheit neu definieren, dass wir die Ostdeutschen mitnehmen und nicht das Gefühl auslösen, dass über sie gelacht wird oder über sie nur geredet wird", sagte Ramelow am Sonntagabend im ZDF. Die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang schrieb auf Twitter, die AfD füttere bewusst Ängste. "Sie hat kein Interesse daran, dass es dem Land gut geht."

Thüringens Innenminister und SPD-Vorsitzender Georg Maier bezeichnete das Wahlergebnis als "Alarmsignal für alle demokratischen Kräfte". Thüringens CDU-Generalsekretär Christian Herrgott sagte: "Mit dem Wahlergebnis ist klar, dass jetzt wir alle die Aufgabe haben, Lösungen gegen diese Art des Protestes gegen Berlin zu finden."

Linke, SPD, Grüne und FDP hatten allesamt für den Gegenkandidaten Köpper getrommelt. Bei den bisherigen Anläufen der AfD auf kommunale Spitzenämter in Schwerin und in Brandenburg hatte das noch gezogen. Doch diesmal reichte selbst diese breite Allianz nicht, um den AfD-Mann zu stoppen.

Anscheinend konnte die AfD, die beim Wahlkampf mit Plakaten und Personal klotzte, viele ihrer Anhänger mobilisieren. Die Wahlbeteiligung stieg auf 59,6 Prozent nach 49,1 Prozent im ersten Durchgang.

Im ersten Wahlgang vor zwei Wochen hatte der 50 Jahre alte Sesselmann, derzeit Landtagsabgeordneter und Rechtsanwalt, aus dem Stand 46,7 Prozent geholt. Weil er aber die absolute Mehrheit verfehlte, kam es zur Stichwahl gegen Köpper, der im ersten Wahlgang auf 35,7 Prozent kam. Wahlkampf machte Sesselmann in erster Linie gegen die Ampel-Koalition in Berlin mit Themen, bei denen ein Landrat wenig mitzureden hat - so etwa die Energie- und Flüchtlingspolitik.

AfD legt bei bundesweiten Umfragen weiter zu

Bundesweit liegt die AfD in Umfragen derzeit bei 18 bis 20 Prozent, in den fünf östlichen Bundesländern erzielt sie noch deutlich höhere Werte. In Thüringen sah eine Insa-Umfrage im April die AfD mit 28 Prozent als stärkste Partei vor der Linken mit 22 Prozent. In Sachsen war sie im April mit 28 Prozent bei Insa ebenfalls Nummer eins vor der CDU mit 25 Prozent, in Brandenburg lagen AfD und SPD mit jeweils 24 Prozent gleichauf.

Ist dies nun die Rampe für die Rechte für Wahlsiege auch auf Landesebene? Es ist nicht ausgeschlossen, aber auch längst nicht ausgemacht. Die AfD war bundesweit 2018 schon einmal in einem ähnlichen Umfragehoch, schnitt dann bei der Bundestagswahl 2021 aber mit 10,3 Prozent sogar etwas schlechter ab als vier Jahre zuvor. Als in Sachsen-Anhalt 2021 ein AfD-Sieg drohte, mobilisierte die CDU damit so erfolgreich, dass sie am Ende weit vorne lag.

Riesigen Gestaltungsspielraum hat der neue AfD-Landrat nicht

Trotzdem könnte dieser AfD-Erfolg ein weiterer Hinweis sein, dass Regierungsmehrheiten immer schwieriger zu finden sein werden. In Thüringen selbst ist dies schon seit Jahren so - Ministerpräsident Ramelow ist mit seiner rot-rot-grünen Minderheitsregierung indirekt von der CDU abhängig.

Die AfD selbst sieht in der Wahl die Chance, ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen - wenn auch nur in sehr kleinem Rahmen. Der künftige Landrat Sesselmann wird in dem ländlich und konservativ geprägten Landkreis im südlichsten Zipfel Thüringens eine Bühne haben, zum Beispiel auch für Protest gegen die Unterbringung von Geflüchteten.

Allzu viel Gestaltungsraum hat Sesselmann allerdings nicht. Ein Landrat leitet laut Gesetz das Landratsamt und vollzieht Beschlüsse des Kreistags - das Amt ähnelt oft eher dem eines Geschäftsführers. Der neue Landrat werde nachweisen müssen, dass er bewege, was der Landkreis brauche, sagte Ramelow. "Er führt eine Verwaltung." (dpa mit SZ/mxh)