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Carola Rackete wird sächsische Spitzenkandidatin der Linken für Europa

Die Flüchtlingsretterin Carola Rackete räumt einen Fehler ein. Sie habe "Mist gemacht". Sie erhält Applaus, aber weniger Zustimmung als der Parteichef.

Von Thilo Alexe
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Carola Rackete ist Spitzenkandidatin der Linken für die Europawahl im kommenden Jahr. Sie wurde hinter Parteichef Martin Schirdewan auf den zweiten Listenplatz gewählt.
Carola Rackete ist Spitzenkandidatin der Linken für die Europawahl im kommenden Jahr. Sie wurde hinter Parteichef Martin Schirdewan auf den zweiten Listenplatz gewählt. © Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Augsburg. Carola Rackete hat etwas zu sagen. Etwas, was für Parteitagsreden unüblich ist. Die angehende Europaabgeordnete will sich entschuldigen. „Da habe ich Mist gemacht“, räumt Rackete vor mehr als 400 Delegierten der Linken ein.

Vor Beginn des Parteitages in Augsburg hatte die als Flüchtlingsretterin bekannt gewordene Ökologin in einem Interview mit Zeit online der Partei vorgeworfen, die SED-Vergangenheit nicht ausreichend aufgearbeitet zu haben. Das schrecke potenzielle Anhänger ab, sich in der Linken zu engagieren. Womöglich wäre es sogar besser, wenn die Partei ihren Namen ändere.

Der „Geschichte und Gegenwart“ der Linken werde das nicht gerecht, sagt Rackete nun. Sie habe Mitglieder verletzt und bitte daher um Verzeihung. Es folgt Applaus und ein mehr als solides Ergebnis. Rackete erhält fast 78 Prozent der Delegiertenstimmen und steht als Kandidatin des sächsischen Linkenverbandes auf Platz zwei der Parteiliste für die Europawahl 2024.

Dass Rackete Nachfolgerin der scheidenden Dresdner Europaabgeordneten Cornelia Ernst werden soll, gilt als Coup der krisengeplagten Partei. Als Kapitänin eines Rettungsschiffes hatte Rackete 2019 Menschen vor dem Ertrinken bewahrt und wurde festgenommen, weil sie den italienischen Hafen Lampedusa ansteuerte. In Augsburg legt sie den Fokus auf Klimapolitik: „Die größte soziale Krise dieser Zeit ist die Klimakrise.“ Rackete kritisiert Agrarkonzerne, die sich durch steigende Lebensmittelpreise auf Kosten von Armen und Landwirten bereichern, spricht von Kippunkten. Es gehe um „gutes Leben für alle oder die Rückkehr des Faschismus“.

Das kommt an. Sachsens Linkenchef Stefan Hartmann lobt die Selbstkorrektur Racketes. Der Leipziger weist darauf hin, dass etwa 4.000 der rund 6.000 sächsischen Genossen bereits in der SED waren. Eine Leipziger Delegierte fragt, warum der Bundesvorstand die 35-Jährige nicht für Platz eins vorgeschlagen habe. Das bleibt offen. Klar ist aber, dass Rackete zunächst nicht in die Linke eintritt. Auf die Frage, ob sie parteilos bleibe, sagt sie Sächsische.de: „Im Moment ja“.

Erwartungsgemäß wählen die Delegierten Parteichef Martin Schirdewan auf den ersten Platz (87 Prozent), die EU-Abgeordnete Özlem Demirel auf den dritten. Der als Arzt der Armen und frühere Bundespräsidentenkandidat der Partei bekannt gewordene Mediziner Gerhard Trabert wird unter großem Jubel für Platz vier nominiert. Gegen Schirdewan tritt der Hamburger Bijan Tavassoli an, der die Partei hart kritisiert, beschimpft und auf offener Bühne seinen Austritt ankündigt. Er erhält neun Stimmen.

Derzeit stellt die deutsche Linke fünf Abgeordnete im Europaparlament. In Sachsen fiel ihr Ergebnis 2019 mit knapp zwölf Prozent etwa doppelt so hoch aus wie im Bund. Rackete, so die internen Überlegungen, könnte mit ihrer Bekanntheit bundesweit für Stimmen sorgen – etwa aus studentischen und migrationsfreundlichen Milieus. In Sachsen selbst dürfte sie einigen Gegenwind bekommen. Im Sommer hatte sich der Leipziger Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann noch für die mittlerweile ausgetretene Sahra Wagenknecht als EU-Spitzenkandidatin ausgesprochen. Vor den sich über zwei Tage hinziehenden Wahlgängen debattiert die Partei kontrovers über Gaza, spricht sich schließlich für die Existenz Israels sowie eine Zweistaatenlösung aus und bestimmt ihr Europawahlprogramm. Sie setzt auf Umverteilung, einen Mindestlohn von 15 Euro und die Viertagewoche. Der Abgang von Wagenknecht schmerzt nach wie vor. Noch-Fraktionschef Dietmar Bartsch spricht von einer „gewaltigen Niederlage“. Schirdewan will eine „Zeitenwende für Gerechtigkeit“.