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Katja Kipping: Brücke nach links

Nach fast neun Jahren hört Katja Kipping als Vorsitzende der Linken auf. Was hat die Dresdnerin nun vor? Sie hat offenbar klare Vorstellungen.

Von Thilo Alexe
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Katja Kipping will für die Linke im Bundestag bleiben. In Sachsen bewirbt sie sich für die Spitzenkandidatur.
Katja Kipping will für die Linke im Bundestag bleiben. In Sachsen bewirbt sie sich für die Spitzenkandidatur. © dpa/Jens Büttner

Das klingt nach Ambitionen. Auf die Frage nach ihrer politischen Zukunft antwortet die scheidende Linkenchefin Katja Kipping: „Ich sehe mich als Brückenbauerin für neue linke Mehrheiten.“ Nach fast neun Jahren tritt die gebürtige Dresdnerin so wie Ko-Chef Bernd Riexinger an diesem Samstag nicht wieder für den Parteivorsitz an. Doch im Bundestag will die 43-Jährige bleiben. Möglicherweise als Fraktionschefin?

Kipping äußert sich dazu nicht. Doch ihre Selbstsicht legt nahe, dass sie ein Bündnis der Linken mit Grünen und SPD für mehr als vorstellbar hält. Mit ihr in einer wichtigen Position.

West gegen Ost

Die Sächsin, die seit 2005 dem Parlament in Berlin angehört und zuvor Landtagsabgeordnete und Dresdner Stadträtin war, übernahm die Parteiführung, als sich die Linke in chaotischem Zustand präsentierte. Der turbulente Göttinger Parteitag, bei dem sie und für viele noch überraschender Riexinger 2012 in die Doppelsitze gewählt wurden, legte das offen.

West gegen Ost, orthodoxe Linke gegen pragmatische Reformer, Oskar Lafontaine gegen Gregor Gysi, WASG gegen PDS – sogar eine Spaltung der Partei stand im Raum. „Wir haben den Krieg gewonnen“, skandierten damals Westlinke, die den Ostdeutschen Dietmar Bartsch in einer Abstimmung als Vorsitzenden verhinderten.

Gregor Gysi bei einer Wahlkampfveranstaltung in Dresden im September 2005 gemeinsam mit der sächsischen Kandidatin Katja Kipping und der sächsischen PDS-Chefin Cornelia Ernst.
Gregor Gysi bei einer Wahlkampfveranstaltung in Dresden im September 2005 gemeinsam mit der sächsischen Kandidatin Katja Kipping und der sächsischen PDS-Chefin Cornelia Ernst. © Thomas Lehmann

Kipping hat es seither geschafft, Verkrampfungen und Verbissenheit zu lösen. Die Schärfe, die mitunter bis aufs Äußerte getriebene Personalisierung von Konflikten sind nicht völlig verschwunden.

Streit mehr ertragen als ausgefochten

Doch die Partei wirkt, trotz der ihr eigenen Sehnsucht am Streit unter Genossen, geschlossener. In Thüringen stellt sie den Ministerpräsidenten, in Bremen regiert die Linke sogar in einem Westland mit – vor Jahren unvorstellbar.

Kipping, das sagen auch Kritiker, kann zuhören, moderieren. Und sie bleibt nach außen ruhig, selbst bei hanebüchenen Attacken und Beschimpfungen. Im ersten Jahr ihres Vorsitzes machte ein internes Liederheft Schlagzeilen. Ein Kipping nicht zugeneigter Parteizirkel verunglimpfte sie darin in Anspielung auf ihr rötliches Haar als „Hexe“.

Nach außen hat die Vorsitzende das nie groß öffentlich skandalisiert. Gegensätze in der Partei versucht sie, gewissermaßen dialektisch, als produktive Kraft zu nutzen. „Wir haben Widersprüche eher als etwas gesehen, was einen weiterbringt“, sagt sie über ihren und Riexingers Arbeitsstil.

Die Linke als Bewegung

Bündnisse gegen Hartz IV, Globalisierungskritiker von Attac: Die Dresdnerin begann bereits früh, sich mit außerparlamentarischen Initiativen zu vernetzen. Kipping hat die Linke, die sich als Partei in Bewegung versteht, für solche Strömungen geöffnet. Darauf basiert ein Teil ihrer Macht. Ein anderer auf ihrer Beharrlichkeit.

Intern zunächst belächelt, warb sie schon von Beginn ihrer politischen Karriere für das bedingungslose Grundeinkommen. Mittlerweile ist das Thema auch bei anderen Parteien angekommen und zählt, wenn auch modifiziert, zu den Standards in der sozial- und gesellschaftspolitischen Debatte.

Katja Kipping im Juli 2005, damals als Spitzenkandidatin der sächsischen PDS für eine möglicherweise vorgezogene Bundestagswahl.
Katja Kipping im Juli 2005, damals als Spitzenkandidatin der sächsischen PDS für eine möglicherweise vorgezogene Bundestagswahl. © Robert Michael

In ihrer Geburtsstadt positionierte sich die Abgeordnete gegen den 2006 besiegelten Verkauf der kommunalen Wohnungsgesellschaft, obwohl einflussreiche Vertreter der lokalen Linken den Schritt befürworteten.

Der Zwist mit Wagenknecht

Die zweite große interne Krise in Kippings Zeit als Vorsitzende hängt mit der Haltung der Partei zu Geflüchteten zusammen, die 2015 und 2016 zu Hunderttausenden nach Deutschland kamen. Eigentlich ist die Linke für offene Grenzen. Doch die damalige Fraktionschefin Sahra Wagenknecht setzte andere Akzente.

Sie sprach von „Grenzen der Aufnahmebereitschaft“ und – mit Blick auf die Kölner Silvesternacht – vom Missbrauch des „Gastrechts“. Intern wurde sie heftig kritisiert, öffentlich bekam sie Zuspruch.

Auf dem Leipziger Parteitag 2018 warnte Wagenknecht vor dem Abwandern von Arbeitern und Erwerbslosen zur AfD. Letztlich blieb die Linke bei ihrer Linie in der Migrationspolitik. In Leipzig trat Kipping schließlich demonstrativ mit Wagenknecht und anderen Vertretern aus der Parteispitze auf die Bühne, um mit der Ankündigung einer Klausur die Lage zu entschärfen.

Die Grünen haben mehr Profil

Die Linke ist keine ostdeutsche Regionalpartei mehr – sondern mittlerweile gesamtdeutsch. Aber: In Ostländern wie Sachsen und Sachsen-Anhalt hat sie bei den jüngsten Landtagswahlen stark verloren und ist vom Status einer dortigen Volkspartei wie Mitte der 2000er-Jahre weit entfernt. Im Bund liegt sie derzeit bei knapp unter zehn Prozent. „Ausbaufähig ist, dass wir nicht dauerhaft im zweistelligen Bereich sind“, sagt Kipping dazu.

Katja Kipping (l.) und Julia Bonk von Die Linke sammelten bei einer Spendenaktion im August 2009 Geld für notleidende Kinder in Sri Lanka - damals hatte die Linke in Sachsen den Status einer Volkspartei.
Katja Kipping (l.) und Julia Bonk von Die Linke sammelten bei einer Spendenaktion im August 2009 Geld für notleidende Kinder in Sri Lanka - damals hatte die Linke in Sachsen den Status einer Volkspartei. © Marion Gröning

Die Grünen haben sich als Gegenpol zur AfD profiliert und verbuchen auch beim Klimathema mehr Zuspruch. Doch immerhin sind das für die Linke und Kipping mögliche Anknüpfungspunkte nach der Wahl im Herbst. Im Wahlkampf liegt - sollte sie nicht als Spitzenkandidatin im Bund antreten - der Fokus weniger stark auf der verheirateten Mutter einer Tochter. Nach knapp neun Jahren an der Spitze kann das auch ein Vorteil für sie sein.