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Prozess gegen Mitarbeiter aus Neonazi-Verlag: Nach der Untersuchungshaft ins Aussteigerprogramm

Drei frühere Mitarbeiter eines Neonazi-Verlages stehen seit Donnerstag in Dresden vor Gericht. Der Prozess begann mit einem umfassenden Geständnis.

Von Karin Schlottmann
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Die Angeklagten im Prozess um den rechtsextremistischen Verlag "Der Schelm" sitzen vor Beginn der Verhandlung in einem Saal des Oberlandesgerichts neben ihren Anwälten.
Die Angeklagten im Prozess um den rechtsextremistischen Verlag "Der Schelm" sitzen vor Beginn der Verhandlung in einem Saal des Oberlandesgerichts neben ihren Anwälten. © Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Dresden. Mit dem umfassenden Geständnis eines Angeklagten hat am Donnerstag der Prozess gegen drei mutmaßliche ehemalige Mitarbeiter eines rechtsextremen Verlages in Sachsen begonnen. Der 38-Jährige schilderte vor dem Staatsschutz-Senat des Oberlandesgerichts Dresden seinen Einstieg in die rechte Szene vor mehr als zehn Jahren sowie seine Tätigkeit in einem Verlag für Nazi-Publikationen in Bad Lausick. Er habe den Ermittlungsbehörden bei der Aufklärung geholfen und nehme am Aussteigerprogramm "Exit" teil, sagte er.

Die Bundesanwaltschaft wirft den drei Angeklagten, zwei Männer aus Sachsen sowie eine Frau aus Brandenburg, die Gründung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sowie Volksverhetzung vor. Die Bande hat zwischen 2018 und 2020 antisemitische, nationalsozialistische und volksverhetzende Bücher verlegt und verkauft und damit insgesamt mindestens 800.000 Euro verdient. Zu den verkauften Schriften gehört unter anderem die ungekürzte Fassung von Hitlers "Mein Kampf" sowie zahlreiche weitere Schriften von Holocaust-Leugnern und Antisemiten.

Die Anklage geht von 46.576 verkauften Büchern aus. Bei einer Razzia beschlagnahmte die Polizei weitere 53.617 Druckerzeugnisse. Die Anklagebehörde beantragte die Einziehung von Geldvermögen bei den drei Angeklagten von insgesamt 123.000 Euro

Weiterer Beschuldigter soll in Russland untergetaucht sein

Nach Darstellung des Angeklagten sei ein weiterer Beschuldigter der eigentliche Drahtzieher der Gruppe und Eigentümer des Verlages gewesen. Er habe den größten Teil des Gewinns behalten und die Ex-Kameraden mit vergleichsweise geringen Summen abgespeist. Der Eigentümer Adrian B. ist mit einer Russin verheiratet und lebt seit etwa 2016 in Russland. Für die deutschen Ermittlungsbehörden ist er deshalb derzeit nicht greifbar.

Der Angeklagte stellte sich in seinem Geständnis vorwiegend als Helfer dar, der vor allem für Grafiken und Buchdruck sowie für die technische Abwicklung des Geschäfts verantwortlich gewesen sei. Er sei mehr oder weniger über seinen Bruder in die rechte Szene geraten und habe später den Hauptbeschuldigten Adrian B. als Idol und Vaterfigur gesehen, gab er an. Von 2004 bis 2010 sei er NPD-Mitglied gewesen und habe früher auch für die NPD-Zeitung "Deutsche Stimme" in Riesa gearbeitet.

Seine Tätigkeit für einen rechtsextremen Buchverlag namens "Der Schelm", um den es in diesem Strafverfahren geht, führte der Angeklagte vor allem auf Geldnot und fehlende berufliche Alternativen zurück. Eigene Projekte seien gescheitert - auch an der schlechten Zahlungsmoral in der rechten Szene, wie er sagte. "Auch dort ging es vor allem um Geld", sagte Matthias B. Über seine eigene rechtsextreme Gesinnung sprach er am Donnerstag zunächst nicht.

Teilnahme am Aussteigerprogramm "Exit"

Im Juni 2022 wurde er verhaftet. Er habe bei den Ermittlungsbehörden sofort reinen Tisch machen wollen, doch sein damaliger Anwalt aus der rechten Szene habe ihm zunächst abgeraten. Bei seiner Vernehmung bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe habe er dennoch ein umfassendes Geständnis abgelegt und der Behörde auch weitere, bisher unbekannte Mittäter genannt.

Nachdem sein Haftbefehl aufgehoben worden sei, habe er sich beim Aussteigerprogramm "Exit" angemeldet. Anders als er erwartet habe, müsse er dort nicht "jeden Tag antifaschistisches Gequatsche anhören". Aus Ärger darüber, dass der Hauptbeschuldigte nach wie vor viel Geld verdienen konnte, habe er sich in dessen Skype-Account sowie später in den Mail-Account gehackt und Tausende Daten und Kontakte den Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt. Er habe auch das Landeskriminalamt dabei unterstützt, die auf einem russischen Server liegenden Datenbanken zu sichern.

Seinen Ausstieg aus der rechtsextremen Szene beschrieb Matthias B. als nicht abgeschlossen, aber auf einem guten Weg. Ein Schlüsselerlebnis sei ein Besuch der Gedenkstätte Buchenwald gewesen, den sein Berater bei "Exit" für ihn organisiert habe. Obwohl er in seinem Leben kaum Sozialbeiträge gezahlt habe, erhalte er derzeit Arbeitslosengeld und lasse sich auf Kosten des Arbeitsamtes fortbilden.

Auch der zweite Angeklagte, der frühere Leipziger NPD-Stadtrat Enrico B., räumte die Vorwürfe ein, beschrieb seine Rolle jedoch eher als Unterstützer, der nur Pakete zur Post gebracht habe. Sein Interesse sei es gewesen, in dem Lager seine eigenen Waren unterbringen zu können. Er habe sich nie Gedanken darüber gemacht, dass der Buchversand strafbar gewesen sein könnte, gab der mehrfach vorbestrafte Mann an. Die Bücher habe man bis vor einigen Jahren auch über Amazon oder andere Online-Buchhändler erwerben können. "Ob ich Gummibärchen, Schallplatten oder diese Bücher versende, war mir egal", behauptete er.