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Warum nur tut sich die SPD so schwer mit einem Kurswechsel?

Der Kanzler bremst bei der Militärhilfe für die Ukraine. Was hindert die SPD am Kurswechsel? Und warum gesteht kaum jemand ein, sich in Putin jahrzehntelang geirrt zu haben?

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) © Lisi Niesner/Reuters/Pool/dpa

Von Hans Monath und Georg Ismar

Olaf Scholz war in seiner Amtszeit als Bundeskanzler genau einmal richtig in der Offensive: Am 27. Februar kündigte er im Bundestag eine "Zeitenwende" an. Seither ist ein Kanzler der Reaktion zu erleben – der oft defensiv wirkt, von Sorgen vor dem Handeln des russischen Präsidenten Wladimir Putin geleitet. Und der wieder verstärkt dazu neigt, andere zu belehren, die angeblich schlicht die Komplexität der Materie und der zu beantwortenden Abwägungsfragen nicht verstünden.

"Der Blick in die Welt hilft manchmal weiter", kanzelt er etwa Journalisten ab, dass auch andere G7-Länder beim Thema schwere Waffen ähnlich vorsichtig wie Deutschland agierten. Lässt aber unerwähnt, dass etwa die USA und Kanada nun rasch schweres Gerät liefern wollen. Auch hinter den deutschen Kulissen passiert mehr, als er öffentlich sagen will, aber dieser Politikstil, des nicht zu viel Preisgebens der Prozesse, kommt in dieser Druckphase an Grenzen. Denn all das wird begleitet von der anderen Debatte, der um die Russlandfreundliche Haltung seiner Partei, der SPD.

Olaf Scholz ist über Ostern in Brandenburg geblieben und konnte in den Medien viel Kritisches lesen – auch von FDP- und Grünen-Politikern aus seiner Koalition. Er möge endlich die bestellte Führung in Sachen schwere Waffen an den Tag legen. Auch aus der SPD fordern das Politiker wie die Europaparlaments-Vizepräsidentin Katarina Barley oder Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages.

Karge Kommunikation

Scholz’ öffentliches Statement am Dienstagabend hat seine Lage und das Verständnis für seine Politik kaum verbessert – auch, weil er es selten schafft, seine Botschaften klar zu vermitteln. Seine drei etwas verschlüsselten Botschaften: Erstens: Scholz will weiter keine direkten Lieferungen schwerer Waffen durch die Bundesregierung, weil die Bundeswehr selbst kaum noch lieferbares Material habe.

Zweitens: Stattdessen solle die Ukraine mit der zusätzlichen Finanzhilfe von rund einer Milliarde Euro bei der deutschen Rüstungsindustrie Waffen bestellen können – offen lässt der Kanzler aber weiter die Frage, ob die Bundesregierung notwendige Ausfuhrgenehmigungen etwa für Panzer und Artillerie erteilen würde.

Drittens: Schweres Gerät sollen ihm zufolge vor allem osteuropäische Nato-Staaten liefern – weil es die ukrainische Armee oft schon kenne und deshalb sofort bedienen könne. In einer Art Ringtausch sollen diese Staaten dann Ersatz von anderen Nato-Mitgliedern bekommen., auch mit finanzieller Hilfe Deutschlands. Oberste Prämisse ist für ihn, dass Waffenlieferungen schnell gehen und praktisch vor Ort helfen müssten, betont der Kanzler.

Auf die Frage eines Journalisten, warum denn in der Schlacht um Donbass nicht auch deutsche Leopard-Kampfpanzer helfen könnten, gab Scholz eine Antwort, die viel über seine Kommunikation aussagt: "Schönen Dank für Ihre Frage, die mir eine Gelegenheit gibt, nach der ich schon seit einiger Zeit suche", antwortete er. Das wirft zunächst die Frage auf, warum er auf so eine Frage wartet, statt selbst schon früher die Gelegenheit zur Klarstellung zu ergreifen.

Und so klar fällt sie dann auch nicht so richtig klar aus: "Schauen Sie sich doch einmal um, was andere so tun, die mit uns eng verbündet sind, zum Beispiel unsere Freunde in der G7, die USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Italien, und was die liefern. Die sind mit ihren Militärs zu ähnlichen Schlussfolgerungen gekommen", sagt Scholz. Und: "Was solches Gerät betrifft, geht es um sofort verfügbare Einsatzsysteme, die vor allem dann nutzbar gemacht werden können, wenn es welche sind, die in der Ukraine schon eingesetzt werden."

Deshalb sei es kein Zufall, dass alle zu dem gleichen Schluss gekommen seien, "dass den meisten Sinn macht, wenn zum Beispiel solche Systeme, die bei den osteuropäischen Nato-Partnern noch vorhanden sind, von dort aus eingesetzt werden, und wir denen dann ermöglichen, dass ihre eigene Sicherheit für die Zukunft gewährleistet bleibt". Also Ersatzlieferungen, zum Beispiel von Panzern aus dem Westen. Stimmt aber das Argument, dass die Bundeswehr nichts liefern kann, dann fällt Deutschland selbst dafür aus.

Ein Panzer-Typ, viele Meinungen

Kritiker werfen Scholz vor, immer neue Gründe zu finden, um nicht zu stark ins Risiko für die Ukraine gehen zu müssen. Die Bundesregierung sieht dagegen auch viele praktische Probleme. So hätte die Ukraine gerne Panzer vom Typ Marder, der in Deutschland schrittweise durch die Puma-Panzer ersetzt wird. Rund 100 Marder-Panzer stehen seit Jahren in einem Depot in Niedersachsen – doch wie schnell sie generalüberholt werden könnten, da gehen die Meinungen auseinander.

Der Rheinmetall-Konzern könnte nach eigenen Angaben bis Jahresende nur 35 Panzer an die Ukraine liefern – doch so viel Zeit hat die Ukraine nicht. Ein anderer Vorschlag, dass die Bundeswehr sofort einsatzfähige Marder liefert und dafür später von Rheinmetall reparierte ältere bekommt, wird vom Verteidigungsministerium abgelehnt, weil diese Panzer vor allem an der Nato-Ostflanke für Übungen eingesetzt und dort fehlen würden.

Falls zeitnah Marder-Panzer geliefert würden, bräuchte es zur Nutzung zudem eine Ausbildung. Diese direkt in der Ukraine vorzunehmen, kommt für die Bundesregierung bisher nicht in Frage – auch das könnte als Kriegseintritt interpretiert werden. Auch der Transport der Fahrzeuge wäre vor der russischen Seite kaum zu verbergen.

Angst vor Atomwaffen

Manche anderen Hintergründe der Abwägungen erklärt Scholz bewusst nicht. Nicht nur im Kanzleramt gibt es die Sorge, dass Putin in der Ukraine taktische Atomwaffen einsetzen oder zu umfangreiche Waffenlieferungen als einen Kriegseintritt der Nato sehen könnte. Die Annahme, dass der Westen es in der Hand haben könnte, wann und wie Putin den Krieg eskaliert, ist gerade auch in der SPD tief verwurzelt.

Doch ist Putin nicht ohnehin längst unberechenbar und Taktieren nur Zeitverlust für die Ukraine? Scholz musste schon einmal im Zusammenhang mit Putin das Scheitern seiner Taktik erkennen. Er ließ das Ausmaß der Sanktionen vor Kriegsbeginn bewusst offen, ja vermied, überhaupt das Wort Nord Stream 2 in den Mund zu nehmen. Doch Putin hielt die ungewisse Drohkulisse nicht vom Überfall auf die Ukraine ab.

Die vor allem von Grünen-Politikern immer wieder vorgetragene Argumentation lautet, dass man nicht auf Putin Rücksicht nehmen dürfe, sondern mit massiven, schnellen Waffenlieferungen die Ukraine in die Lage versetzen müsse, ihn zu stoppen – denn sonst würde er auch vor anderen Ländern nicht halt machen.

Scholz wird hier stark geleitet von Beratungen mit der früheren US-Sicherheitsberaterin und Putin-Kennerin Fiona Hill, die eindringlich warnt, Putin zu sehr in die Enge zu treiben. Auch die CIA hat gerade noch einmal eindringlich vor der nuklearen Eskalation durch Putin gewarnt.

Der Kanzler will auch seine persönlichen Gesprächskanäle zu Putin nicht verbauen – obgleich sich die Frage stellt, was die Gespräche mit einem Kriegsverbrecher bringen sollen. Scholz kann sehr stur sein; Führung bedeutet für ihn auch, nicht über jedes Stöckchen zu springen und seine eigene Linie auch gegen Widerstände durchzuhalten.