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Merkel räumt Versäumnisse in der Russland-Politik ein

Im Interview mit der "Zeit" gesteht Altkanzlerin Angela Merkel ein, dass man schneller auf die Aggressivität Russlands reagieren hätte müssen. Auch ihr neuer Lebensabschnitt war Thema.

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Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Versäumnisse bei der Abschreckungspolitik gegenüber Russland eingeräumt.
Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Versäumnisse bei der Abschreckungspolitik gegenüber Russland eingeräumt. © dpa

Berlin/Hamburg. Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Versäumnisse bei der Abschreckungspolitik gegenüber Russland eingeräumt. "Wir hätten schneller auf die Aggressivität Russlands reagieren müssen", sagte Merkel der Wochenzeitung "Die Zeit" mit Blick auf die Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim im Jahr 2014. Damals hatten sich die Nato-Staaten darauf verständigt, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. "Deutschland hat das Zwei-Prozent-Ziel trotz Erhöhung nicht erreicht", bedauerte Merkel. "Und auch ich habe nicht jeden Tag eine flammende Rede dafür gehalten."

Die Genehmigung für den Bau der deutsch-russischen Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 hält die damalige Kanzlerin rückblickend aber nicht für einen Fehler. Ein Verbot des Projekts hätte "das Klima mit Russland gefährlich verschlechtert", sagte Merkel. Zudem sei die Abhängigkeit von russischem Gas nicht allein ein Resultat des gemeinsamen Pipeline-Projekts. Sie sei in erster Linie darauf zurückzuführen, dass weniger Gas aus Norwegen, Großbritannien und den Niederlanden geliefert worden sei.

Das Engagement der Bürgerinnen und Bürger für das Funktionieren der Demokratie hält Merkel für unerlässlich. Das demokratische System müsse "gelebt werden von jedem Einzelnen, sonst kann es schnell in sich zusammenbrechen", sagte Merkel der Zeit. Sie habe zwar kein Misstrauen gegenüber dem eigenen Volk, aber "ein generelles Misstrauen uns Menschen gegenüber, weil Menschen zu Unfassbarem fähig sind. Deutschland hat das im Nationalsozialismus in furchtbarer Weise auf die Spitze getrieben", sagte Merkel in dem Interview.

"Hätten Sie gedacht, ich komme mit Pferdeschwanz?"

"Deshalb bin ich so überzeugt, dass der Aufbau unseres Staates und das Grundgesetz ein hohes Maß an Weisheit beinhalten, in dem die Unabhängigkeit der Presse, der Justiz, die demokratischen Prozesse wohldurchdacht sind", betonte die frühere Bundeskanzlerin, die als erste Frau von 2005 bis 2021 an der Spitze der Bundesregierung stand. Auf die Frage, ob sie von der Natur oder dem lieben Gott mit einer gewissen Furchtlosigkeit gesegnet worden sei, antwortete die 68-Jährige: "Gottvertrauen, würde ich sagen, oder Optimismus, ja."

In dem Interview ging es auch um ihr Leben nach der Kanzlerschaft. Im heimischen Wohnzimmer trägt Merkel demnach kein Jackett. "Da nehme ich schon mal eine Strickjacke", erzählte die langjährige Regierungschefin. Dass sie bei öffentlichen Auftritten nach wie vor ein ähnliches Outfit hat wie während ihrer Amtszeit, begründet sie pragmatisch: "Meine Kleidung ist für mich praktisch, mit der Frisur habe ich mich angefreundet", sagte Merkel. "Hätten Sie gedacht, ich komme mit Pferdeschwanz?" (dpa/epd)