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Früherer DDR-Regierungschef Hans Modrow gestorben

Hans Modrow ist tot. Der frühere DDR-Ministerpräsident starb in der Nacht zum Samstag im Alter von 95 Jahren.

Von Peter Heimann
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Der langjährige SED-Funktionär und spätere PDS- und dann Linke-Politiker Hans Modrow starb in der Nacht zum 11.02.2023 im Alter von 95 Jahren, wie die Linksfraktion im Bundestag mitteilte.
Der langjährige SED-Funktionär und spätere PDS- und dann Linke-Politiker Hans Modrow starb in der Nacht zum 11.02.2023 im Alter von 95 Jahren, wie die Linksfraktion im Bundestag mitteilte. © Oliver Berg/dpa

Der frühere DDR-Ministerpräsident Hans Modrow ist tot. Er starb in der Nacht zum Samstag im Alter von 95 Jahren, wie die Linksfraktion im Bundestag mitteilte.

Der Weg nach Sachsen führte 1973 für den SED-Parteifunktionär Hans Modrow über Lotte Ulbricht. Die Gattin des ehemaligen Partei- und Staatschefs der DDR Walter Ulbricht half entscheidend mit, dass das Nordlicht Modrow nach Dresden ging. „Hans, wer am Hofe nicht gern gesehen ist, lebt als Teilfürst besser“, redete sie auf ihn ein, als Honecker ihn aus der Berliner Zentrale wegloben wollte. „So war es dann auch“, meinte auch Modrow im Rückblick. Sein Vorgänger als Bezirkschef wurde von Honecker ins SED-Politbüro befördert, zwei andere Kandidaten wollten nicht an die Elbe. Modrow erinnerte sich später gegenüber der SZ: „Ich war die dritte Wahl und wollte als Fischkopp lieber nach Rostock. Aber schließlich habe ich Ja gesagt, es nie bereut und mich in Dresden wohlgefühlt.“

Hans Modrow wurde 1928 in Jasenitz bei Stettin im heutigen Polen geboren. Sein Vater arbeitete als Seemann und Bäcker und war Mitglied der NSDAP, seine Mutter Hausfrau. Modrow lernte Maschinenschlosser und wurde mit 17 zum Volkssturm einberufen, er kam vier Jahre in sowjetische Kriegsgefangenschaft, besuchte in dieser Zeit eine Antifa-Schule. Nach Deutschland zurückgekehrt, arbeitete er als Maschinenschlosser in Hennigsdorf, wurde FDJ-, später SED-Funktionär.

Modrows "normaler" Lebensstil galt für SED-Funktionär als außergewöhnlich

Dort machte er rasch Parteikarriere: Mit noch nicht einmal 40 Jahren schaffte Modrow den Sprung ins SED-Zentralkomitee. Anfang der siebziger Jahre leitete er die ZK-Abteilung Agitation und Propaganda. Von 1973 bis November 1989 war er 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED Dresden, vom 13. November 1989 bis 12. April 1990 Ministerpräsident der DDR. Danach saß er für die PDS in der Volkskammer, im Bundestag und im Europaparlament. Später war er Vorsitzender des Ältestenrates der Linken. Modrow hatte zwei Töchter drei Enkel und vier Urenkel. Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau lebte er mit seiner zweiten Gattin in Berlin – nahe seiner ersten Wohnung in der Hauptstadt, in die er 1953 in der damalige Stalinallee 55 eingezogen war.

Modrow war einerseits fest in alle DDR-Machtstrukturen eingebunden, redete wie ein Apparatschik und war alles andere als ein Putschist. Und doch war er zu seiner Dresdner Zeit in der DDR-Nomenklatura etwas, was es sonst nirgendwo so gab. Schon Modrows "normaler" Lebensstil im Dresdner Plattenbau, ohne Jagdrevier, mit privatem Auto galt damals für einen hochrangigen SED-Funktionär als außergewöhnlich. Schon deshalb, weil er selbst in die Konsum-Kaufhalle - besser versorgt als andere oder nicht - einkaufen ging oder mal den Keller putzte, war er in Berlin mies angesehen. Deren Privilegien wurden so noch unverständlicher. „Ich wollte nie ein Großkotz sein“, sagte Modrow dazu mal der SZ. Der einfache Lebensstil verschaffte ihm den Ruf des "guten Hans".

Obwohl bis zuletzt Parteisoldat, war Modrow in Teilen schon reflektierend: „Ging es um Westliches, gab es nichts, wogegen wir nicht kämpften. Heute sehe ich, wie eng und sektiererisch wir waren und auch wie dumm“, befand er zum 80. Geburtstag in der SZ. Und zehn Jahre später antwortete er auf die Frage, ob die DDR überhaupt reformierbar und zu irgendeinem Zeitpunkt selbst überlebensfähig war: „Die DDR war ein Kind der Sowjetunion. Klar war: Wenn die Sowjetunion untergeht, geht auch dieser Staat unter. Mir wurde Anfang 1990 bewusst, dass die Sowjetunion keine Perspektive hat. Hinzu kommt: Wir sind mit uns selbst nicht klargekommen, die sozialistische Planwirtschaft hat versagt, und die nötige Demokratie hatte wenig Chancen.“

Modrow war Hoffnungsträger für Ost und West

Neben dieser grundsätzlichen Erkenntnis erinnerte Modrow aber auch an DDR-Momente, die ihn auch im Rückblick zufrieden machte. Zum Beispiel bei der zerstörten Semperoper: „Eine arme DDR erlebte, dass in Westdeutschland gesammelt werden soll für den Wiederaufbau. Aber es kam niemals Geld. Dann haben wir uns in Dresden gemüht, das Haus aus eigener Kraft wiederherzustellen. Im Westen gab es dann mehr Häme, dass das Schloss nicht auch noch rekonstruiert wurde, als Anerkennung für die Oper.“ Der Wiederaufbau musste auch gegen Honecker durchgesetzt werden. Der sagte seinerzeit zu Modrow: „Die Menschen leben noch in Katen, und du willst Schlösser bauen. Ich antwortete: Erich, du musst dir über eins im Klaren sein, Dresden lebt mit seiner Tradition. Und wenn wir in der Geschichte bestehen wollen, dann sollten wir in Dresden nicht warten, bis die Ruinen von selbst zusammenfallen. Als 1985 die Oper glanzvoll neu öffnete, ließen wir am Schloss schon die ersten Gerüste aufstellen. Für Honecker war das eine Provokation.“

Der SED-Chef misstraute seinem Genossen so sehr, dass er ihm im Februar 1989 eine 120-köpfige Partei-Kontrollgruppe auf den Hals schickte. Sie sollte Beweise für seine Unfähigkeit in der Funktion als 1. Bezirkssekretär sammeln. Der unmittelbare Hintergrund: In einem Bericht an die Partei-Zentrale hatte Modrow unter anderem geschrieben, dass die geforderten Bauleistungen für Berlin den Bezirk überfordern, dass die wirtschaftliche Entwicklung im Bezirk an Grenzen stößt, die in zu geringen Investitionen und Schwächen der zentralen Planung und Leitung liegen und dass sich die Stimmung der Bevölkerung verschlechtert. Die Kontrollgruppe urteilte über die sächsischen SED-Parteifreunde: "Der ideologischen Diversion wird nicht ausreichend kämpferisch entgegengetreten". Normalerweise ein politischer Todesstoß für den SED-Bezirkschef.

Aber man scheute sich, den Mann, der zu dieser Zeit im Osten wie Westen als Hoffnungsträger galt, so direkt abzuschießen. Das hätte nach außen offene Gegensätze in der SED bestätigt. Vielleicht half auch Gorbatschow. Der Leningrade Parteichef Solowjew, so Modrow später, sagte ihm, Gorbatschow, wollte viel wissen über die Stimmung in der DDR, über die Aufnahme von Glasnost und Perestroika in der Bevölkerung: „Solowjew signalisierte auch, dass Gorbatschow mit Aufmerksamkeit die Widersprüche zwischen Berlin und Dresden, zwischen Honecker und mir verfolge. Da klang viel Sympathie durch und dass Gorbatschow die Hoffnung auf Reformen in der DDR auch mit mir verband.“

Wegen Wahlfälschung rechtskräftig verurteilt

Zu seiner Biografie gehört aber auch, dass er – als einer von wenigen DDR-Funktionären – wegen Wahlfälschung rechtskräftig verurteilt wurde. Er sei nicht feige gewesen, urteilte er selbst darüber, aber auch nicht mutig genug. Mit einer Verwarnung, wie im ersten Prozess hätte er nach eigener Aussage leben können. „Dann aber setzte für mich das Politische ein. Offensichtlich wollten die Sieger, dass alles, was einst im Westen über den Hoffnungsträger Modrow geschrieben worden war, gestrichen wird. Ich habe ja deutlich gesagt, dass ich Unrecht nicht verhindert habe, dessen bin ich mir heute bewusst. Aber dass ich etwas angestiftet habe, das stimmt nicht.“

Hans Modrow, letzter Ministerpräsident der DDR, spricht beim Bundesparteitag der Partei Die Linke.
Hans Modrow, letzter Ministerpräsident der DDR, spricht beim Bundesparteitag der Partei Die Linke. © Britta Pedersen/dpa

Der 4. Oktober 1989 war die vielleicht schwärzeste Stunde in Modrows Polit-Karriere. Unter seiner Verantwortung gab es am Dresdner Hauptbahnhof im Zusammenhang mit den Zügen, die DDR-Flüchtlinge von Prag aus in den Westen brachten, heftige Polizeiübergriffe mit brutaler Gewalt, an jenem und den Folgetagen hunderte Festnahmen unter Bedingungen, die Folter gleichkamen. Modrow bedauerte später die Ereignisse, rechtfertigte sie aber auch: „Hätten wir nicht in der Nacht den Bahnsteig freigehabt, dass die drei Züge ungestört durchfahren konnten, wäre eine Katastrophe ausgelöst worden, die Menschenleben gekostet hätte. Das zu verhindern, war mein Grundanliegen.“

Sehr glückliches Leben völlig unabhängig von der Politik

Kurz darauf, am 13. November 1989, wählte ihn die DDR-Volkskammer bei nur einer Gegenstimme - der von Margot Honecker - in das Amt des Ministerpräsidenten. Fünf Monate wird Modrow amtieren. Er wollte wohl den Zerfall der DDR stoppen, band dann die Opposition sie in eine Regierung der Nationalen Verantwortung ein: "Wir haben regiert, um endlich die Interessen der Bürger zu vertreten und einen souveränen Staat zu erhalten". Lothar de Maiziére, Modrows Nachfolger, sagte in seiner Regierungserklärung im April 1990: "Durch seine behutsame Politik ist uns sicher vieles erspart geblieben." Auch Helmut Kohl resümierte in seinen Memoiren: Modrow habe sich "durch seine pragmatische Politik und den Versuch, die alltäglichen Sorgen und Nöte der Leute zu mildern", die Achtung der Bevölkerung erworben.

Hans Modrow (3.v.l., klatschend), damals DDR-Ministerpräsident, und Helmut Kohl (CDU), damals Bundeskanzler, lassen vor dem Brandenburger Tor Friedenstauben aufsteigen.
Hans Modrow (3.v.l., klatschend), damals DDR-Ministerpräsident, und Helmut Kohl (CDU), damals Bundeskanzler, lassen vor dem Brandenburger Tor Friedenstauben aufsteigen. © dpa

Im Übrigen: Kohl wusste beim ersten Treffen in Dresden viel mehr über Modrow als umgekehrt. „Der kannte nicht nur die Vornamen meiner Mutter und meines Vaters. Dem hatten seine Leute ein Dossier angefertigt, da konnte ich nur staunen, was der alles über meinen Geburtsort Jasenitz weiß. Und ich wusste nicht mal, dass er gern Saumagen isst.“

Mit seiner Vorstellung von Sozialismus ist es nichts geworden. Trotzdem kämpfte Modrow unverdrossen im vereinten Deutschland, zuletzt im Ältestenrat der Linkspartei, weiter für sein Lebensziel.

Von der SZ nach seiner Lebensbilanz gefragt, sagte Modrow vor wenigen Monaten: "Da gibt es ein sehr glückliches Leben völlig unabhängig von der Politik: die Hochzeit, die Familie, die Kinder, Enkel und Urenkel. Ich kann sagen: Mit mir hat es dieses Leben gut gemeint." (mit dpa)