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Trillerpfeifen und Eierlikör: Steinmeiers "Ortszeit" in Senftenberg

Zum siebten Mal macht sich Frank-Walter Steinmeier für eine "Ortszeit" auf in entlegene Regionen des Landes, diesmal nach Senftenberg. Dort wird er von AfD-Anhängern empfangen.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier trinkt auf dem Marktplatz am Stand der Senftenberger Likör-Manufaktur einen Eierlikör.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier trinkt auf dem Marktplatz am Stand der Senftenberger Likör-Manufaktur einen Eierlikör. © dpa

Senftenberg. Auf dem Marktplatz von Senftenberg kam am Dienstag alles zusammen. Erbitterte Gegendemonstranten hinter AfD-Symbolen, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Trillerpfeifen und "Kriegstreiber"-Rufen empfingen. Schaulustige, die gar nicht wussten, dass das Staatsoberhaupt für drei Tage seinen Amtssitz in die Kleinstadt in die Lausitz verlegt hat. "Ach so, der Steinmeier?", sagte eine Frau im roten Pullover, die mit ihrem Mann als Dauercamperin am nahen See die Rente genießt. Und dann noch der Shanty-Chor.

Genau genommen war es der "Chor der Bergarbeiter", der vor dem Rathaus Seemannslieder anstimmte. Ein Symbol: vom Bergbau zum Wasser. Früher hing Senftenberg am Kohlebergbau, heute sind es die umliegenden Seen - geflutete Tagebaue -, die die Region mit Tourismus wirtschaftlich stützen. Der Chor schien mit seiner Liedauswahl den richtigen Ton getroffen zu haben. Bei "Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord" bewegte auch Steinmeier die Lippen.

Der Bundespräsident hat Senftenberg mit seinen 23.000 Einwohnern bewusst für seine siebte "Ortszeit Deutschland" ausgesucht, jener Reihe, die ihn seit dem vergangenen Jahr immer wieder in kleinere Städte weit ab von Berlin führt. Die Stadt habe schon einige Umbrüche hinter sich, sagte Steinmeier. Hier könne man lernen, wie Menschen mit Verunsicherungen umgingen. "Wie gelingt es einer Stadt wie Senftenberg, sich buchstäblich neu zu erfinden?"

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (2.v.r) und Dietmar Woidke (r, SPD), Ministerpräsident von Brandenburg, singen nach ihrer Ankunft auf dem Marktplatz mit dem Shanty-Chor und dem Chor der Bergarbeiter.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (2.v.r) und Dietmar Woidke (r, SPD), Ministerpräsident von Brandenburg, singen nach ihrer Ankunft auf dem Marktplatz mit dem Shanty-Chor und dem Chor der Bergarbeiter. © dpa

Politik werde von Politikern und Medien oft nur als das wahrgenommen, was in den Hauptstädten passiere, sagte Steinmeier. "Im ländlichen Raum, in den Regionen wie hier fühlt man sich deshalb nicht angemessen repräsentiert." Dabei würden hier Lösungen gefunden, die auch für andere Regionen interessant sein könnten.

Einmal im medialen Rampenlicht sein - das sei für seine Stadt sehr wichtig, bestätigte Bürgermeister Andreas Pfeiffer, der Steinmeier den ganzen Tag begleitete. Und der Besuch sei eine Gelegenheit, dem Bundespräsidenten von den Herausforderungen zu berichten. Topthema für Pfeiffer derzeit: die Finanzierung von Schulen und Kitas und die Sicherung der ärztlichen Versorgung. Noch sei alles in Ordnung. "Auch mit den Flüchtlingen sind wir noch gut aufgestellt, das passt", sagte der CDU-Politiker. Aber perspektivisch brauche man mehr Unterstützung. Bei Steinmeier finde er ein offenes Ohr. "Es waren sehr angenehme Gespräche, die wir hatten", sagte Pfeiffer.

Demonstranten halten vor der Ankunft von Bundespräsident Steinmeier am Rand des Marktplatzes Transparente hoch.
Demonstranten halten vor der Ankunft von Bundespräsident Steinmeier am Rand des Marktplatzes Transparente hoch. © Soeren Stache/dpa

Steinmeier sucht bei diesen "Ortszeiten" vor allem die Begegnung mit Bürgern. Solche Besuche seien ihm wichtig in einer Zeit, in der Auseinandersetzungen vor Ort und in den Medien immer schwieriger würden und man sich mit großer Heftigkeit begegne. "Demokratie braucht Auseinandersetzung mit Vernunft", sagte Steinmeier. "Und Demokratie braucht Vertrauen. Vertrauen entsteht durch Nähe. Nähe braucht Begegnung. Und Begegnung braucht Zeit. Und diese Zeit habe ich mitgebracht."

Ausdrücklich will sich Steinmeier auch kritischen Stimmen stellen, den Politikverdrossenen und Demokratieskeptischen. Allerdings ist dieser Austausch im Konkreten dann doch nicht so leicht. Beim Rundgang auf dem Marktplatz von Senftenberg trat eine Frau mit auffällig grüner Brille an Steinmeier heran. Sie hätte da eine Menge kritischer Fragen, sagte sie - die Not des Mittelstands, dass wieder ein Bäcker geschlossen habe, dass alles immer teurer werde. Steinmeier hörte ihr einige Minuten zu, aber richtig zufrieden war die 66-Jährige danach nicht. "Früher waren wir frei", sagte sie. Jetzt müsse sie ihre Kinder finanziell unterstützen. Alles schwierig.

Trotzdem sind diese "Ortszeiten" für Steinmeier auch Wohlfühltermine. Bei schönstem Sonnenschein umringten auch in Senftenberg Neugierige das Staatsoberhaupt, wechselten ein paar Worte mit ihm, machten Selfies. Steinmeier nahm es leutselig, scherzte, lachte. Ganz am Ende landete er auf dem Markt beim Eierlikör-Stand "scharfes Gelb", wo der Likör in Waffelbechern ausgeschenkt wurde. Was solle es sein, Eierlikör klassisch, mit Kokos oder anderen Geschmacksrichtungen? "Erstmal klassisch", sagte Steinmeier. Trank. Und fügte hinzu: "Ich bleib hier." (dpa)