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Heideschänke-Betreiberin in Radeberg: "Ich wollte nie Kneiper werden"

Sie ist 78 Jahre alt und kocht an sieben Tagen die Woche für ihre Gäste: Helga Jäschke ist ein echtes Radeberger Unikat. Was ihre Gäste besonders gerne essen und warum sie nicht ans Aufhören denkt.

Von Verena Belzer
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Helga Jäschke, 78 Jahre alt, denkt nicht ans Aufhören: "Was soll ich denn daheim? Mit den Blumentöpfen quatschen oder was?"
Helga Jäschke, 78 Jahre alt, denkt nicht ans Aufhören: "Was soll ich denn daheim? Mit den Blumentöpfen quatschen oder was?" © Sven Ellger

Radeberg. "Ich wollte nie Kneiper werden", sagt Helga Jäschke, 78, während sie auf einem der Stühle auf der Terrasse am Sportplatz von SV Einheit Radeberg sitzt. "Aber ich wollte auch nicht arbeitslos werden."

Und das wurde sie zwischenzeitlich. Nach der Wende, wie so viele in diesen Jahren des Umbruchs. Gelernt hat Helga Jäschke einst Süßmoster bei der Radeberger Kelterei. "Hersteller alkoholfreier Getränke bedeutet das", erklärt sie. Doch als die Kelterei bald nach der Wende dichtmachte, musste sie sich etwas anderes einfallen lassen. Nach 30 Jahren in der Getränkebranche.

Anfangs nahm sie noch an zwei Tagen pro Woche das Obst der Radeberger an und brachte es zu einer anderen Kelterei, "doch das war nicht genug Arbeit" erinnert sich die 78-Jährige. Also verkaufte sie außerdem am Radeberger Markt Gemüse und Schuhe. Und auch mal Lesebrillen. "Alles, was eben gerade aktuell war, da haben die Leute richtig Schlage gestanden", erinnert sie sich. "Das Schuhgeschäft betreibe ich immer noch, wobei da mittlerweile ein Angestellter im Wagen steht."

Wie sollte auch Helga Jäschke dort stehen können? Sie, die an sieben Tagen in der Woche in der Heideschänke an der Heidestraße kocht.

Von der Süßmosterin zur Gastronomin des "Gründel"

Der Weg in die Gastronomie war dann eher zufällig. In der bereits geschlossenen Kelterei hatte sie einen Lagerraum angemietet, um das Obst der Privatkunden anzunehmen. Und da kam es dann regelmäßig vor, dass die Leute sie gefragt haben, ob sie denn auch etwas zum Mittagessen da habe.

"Die wollten dann mal eine Bockwurst oder eine Bratwurst", erzählt Helga Jäschke. Und so habe sich das eben immer weiter entwickelt. Mehr spontan als geplant. In der alten Kelterei habe sie dann einen Gastraum eingerichtet, "da gab es alles, was auch Hausfrauen zu Hause kochen". Und so wurde aus der Süßmosterin Helga Jäschke die Gastronomin Helga Jäschke.

Drei oder vier Mark habe damals, Anfang der 90er-Jahre, ein Mittagessen bei ihr gekostet, den Namen ihrer Kneipe hat sie sich dabei gar nicht selbst ausgedacht - sondern ihre Gäste. "Die haben dann immer gesagt, sie gehen ins 'Gründel'".

Umzug in die Vereinsgaststätte vor sechs Jahren

Heute kocht sie schon seit sechs Jahren in der Vereinsgaststätte von Einheit Radeberg, obwohl die Fußballer mittlerweile auf dem Kunstrasenplatz an der Schillerstraße spielen. Dafür kann man bei ihr Billard spielen.

"Das habe ich gar nicht gewusst, als ich angefangen habe, dass hier gar nicht Fußball gespielt wird", erzählt Helga Jäschke. Doch das mache nichts, sie hat mehr als genug zu tun in ihrem Sportlercafé.

Im "Gründel" sei es irgendwann schwierig geworden, "das war heruntergekommen und marode, die anderen Gebäude waren ja nur noch Ruinen". Und eigentlich habe sie damals, immerhin auch schon über 70 Jahre alt, überlegt, ob sie die Gastronomie nun an den Nagel hängen wolle. Doch da spielten die Gäste nicht mit. Also zog sie kurzerhand in die Heidestraße um, die Kneipe stand zu diesem Zeitpunkt bereits seit ein paar Jahren leer.

Grützwurst oder Flecke sind besonders beliebt

Seit der Eröffnung der Heideschänke ist sie mehr hier als zu Zuhause. "Ich fange schon um 9 Uhr an und koche für die ersten Gäste Kaffee", erzählt sie. "Dann bereite ich alles fürs Mittagessen vor."

Auf ihrer Speisekarte stehen zum Beispiel Makkaroni mit Wurst und Käse, Hering in Sahnesoße, Reis mit Hühnerfrikassee, Schnitzel oder Rinderroulade - die Preise sind dabei sehr moderat gehalten. Sogar das Softeis ist günstig - die kleine Variante kostet 1,50 Euro, die große 2,70 Euro.

Etwas Vegetarisches sucht man vergeblich. Selbst der Linsen-Eintopf ist mit Blutwurst. "Vegetarisch will keiner meiner Gäste", sagt sie und schmunzelt. Im Gegenteil: "Wenn ich mal frage, wer einen Salat als Beilage will, dann fragen die zurück, ob sie denn Karnickel seien." Und wenn es Grützwurst oder Flecke gibt, dann muss Helga Jäschke so manchen Gast vorher anrufen und Bescheid sagen. "Sonst schmollen die mit mir."

Abends gibt es bei Helga Jäschke eigentlich nur eine kleine Auswahl an Speisen, Wiener oder Strammer Max zum Beispiel. "Aber da wollen dann auch viele wissen, ob es noch etwas vom Mittagstisch gibt." Und was die Gäste wollen, das macht die 78-Jährige dann auch.

Aus Gästen wurden Freunde

An sieben Tagen steht sie hier in ihrer Kneipe, einen Ruhetag gibt es nicht. Nachts schläft sie nur zwischen drei und vier Stunden. "Das reicht mir", sagt sie. Aufhören will sie noch nicht. "So lange der Kopf und die Beine noch ok sind." Und überhaupt: "Was soll ich denn daheim? Mit den Blumentöpfen quatschen oder was?"

So sei sie immer in Bewegung und fast nie allein. Sie hat eine Tochter, zwei Enkel und zwei Urenkel - und auch die kommen regelmäßig zum Essen vorbei. "Es ist der Umgang mit den Leuten, die Gesellschaft, die mir Spaß macht", sagt sie. Viele ihrer Gäste kenne sie nun schon seit Jahrzehnten. "Das sind Freundschaften geworden."

Und ihre Kneipe sei auch immer ein Ort, an dem sich die Leute gegenseitig geholfen hätten, sagt sie. "Der eine sucht was, der andere weiß was. Und so geht das immer. Haste was, kriegste was."

Beim Einkauf merkt Helga Jäschke die Preissteigerungen

Reich werde sie mit ihrer Heideschänke nicht, erzählt sie. "Als Kneiper wird man nicht reich, wenn man noch Miete bezahlen muss." Aber sie wolle sich auch nicht beschweren. Ihre Gerichte verkauft Helga Jäschke nach wie vor zu sehr niedrigen Preisen, auch wenn sie deutlich merke, dass alles teurer geworden ist.

"Früher habe ich für einen Sack Kartoffeln 7 Euro bezahlt, jetzt sind es 12 Euro. Und auf dem Schlachthof habe ich sonst immer für 120 Euro eingekauft. Das gleiche kostet jetzt 180 Euro."

Aber sie mache einfach so lange weiter, wie es geht. "Wenn ich etwas angefangen habe, dann mache ich es auch zu Ende", sagt Helga Jäschke. "So bin ich erzogen worden."

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