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Im "Nähstübchen" in Radeberg bekommen kaputte Lieblingsstücke eine zweite Chance

Wer seine Lieblingsklamotten reparieren lassen will, der kommt zu ihr: Ilka Klengel betreibt in Radeberg das "Nähstübchen". Das Geschäft boomt - und trotzdem blickt die Radebergerin in eine ungewisse Zukunft.

Von Verena Belzer
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Ilka Klengel in ihrem "Nähstübchen" - hier verkauft sie Wolle und Kurzwaren und nimmt Textilien für Änderungen und Reparaturen an.
Ilka Klengel in ihrem "Nähstübchen" - hier verkauft sie Wolle und Kurzwaren und nimmt Textilien für Änderungen und Reparaturen an. © Sven Ellger

Radeberg. Viele Leute haben Lieblingsstücke, an denen ihre Seligkeit hängt, ist Ilka Klengel überzeugt. Hosen kürzen, neue Reißverschlüsse einnähen, Nähte ausbessern - sie hat säckeweise Kleidung, die darauf wartet, von ihr repariert zu werden. Seit eine weitere Änderungsschneiderin in Radeberg vor nicht allzu langer Zeit ihr Geschäft aufgegeben hat, geben sich die Leute im "Nähstübchen" in der Hauptstraße die Klinke in die Hand.

"Arbeit habe ich definitiv genug", sagt Ilka Klengel. Die 56-Jährige hat zu DDR-Zeiten als Verkäuferin im Konsum gearbeitet, "und um die Wendezeit herum habe ich mit dem Gedanken gespielt, mich selbstständig zu machen", erzählt die Radebergerin. Seitdem hat sie viel erlebt.

Vom Konsum in die Selbstständigkeit

Vor knapp 20 Jahren entstand ihr erster Laden in Arnsdorf. "Damals habe ich Wolle, Unterwäsche, Textilien und Geschenkartikel verkauft", erzählt Ilka Klengel. Das Besondere an der Selbstständigkeit? "Dass man schalten und walten konnte, wie man wollte." Als sie von einer Wolle-Vertreterin erfuhr, dass in Radeberg ein Laden frei wird, zog sie auf die Hauptstraße. Heute verkauft sie hauptsächlich Wolle und Kurzwaren.

Und irgendwann kamen die Änderungen dazu. "Damit mache ich heute den meisten Umsatz", sagt sie. Zunächst hatte Ilka Klengel die reparaturbedürftigen Textilien lediglich angenommen und einer anderen Änderungsschneiderin gegeben. Doch weil auch sie das Nähhandwerk von ihrer Großmutter gelernt hatte und beherrschte, übernahm sie die Arbeit selbst.

Das Geschäft läuft gut

Heute hat sie etliche Stammkunden, die die Wolle bei ihr und nicht im Internet kaufen. "Die Leute wollen das Material ja auch anfassen und beraten werden", sagt die Chefin. Der Laden ist bunt und niedlich, Ilka Klengel und ihre Mutter schmeißen das Geschäft im Duo. Und es läuft gut.

Das Nähstübchen auf der Hauptstraße in Radeberg.
Das Nähstübchen auf der Hauptstraße in Radeberg. © Sven Ellger

"Es ist immer mal besser und wieder schlechter, Berge und Täler, aber ganz grundsätzlich kann ich mich nicht beschweren", sagt sie. Es gebe regelmäßig Trends und Entwicklungen, die das Geschäft beflügeln. "Mal gab es einen Hype um gehäkelte Mützen, aktuell nähen viele jungen Frauen Kleidung für ihre Kinder", erzählt Ilka Klengel.

Doch wenn sie an eine Zeit zurückdenkt, muss sie heute noch schlucken. Corona.

Ohnmachtsgefühle während Corona

Diese Ohnmacht. Das sei das Schlimmste gewesen. "Wenn ich selbst einen Fehler gemacht und deswegen hätte dicht machen müssen, dann wäre das für mich in Ordnung gewesen", sagt Ilka Klengel. Sie sei damals gerade so um die Runden gekommen. "Da rackert man jahrelang, stellt sich die ganze Woche in den Laden und muss dann vom einen auf den anderen Tag zumachen." Das habe ihr in der Seele wehgetan, berichtet sie. "Und das geht mir auch immer noch nach."

Den Gedanken, ob das vielleicht das Ende für ihr "Nähstübchen" bedeuten könnte, den schob sie, so gut wie es nur ging, beiseite. Ja, es sei Pandemie gewesen und keiner hätte so recht gewusst, wie man sich am besten verhält, aber sie hätte sich gewünscht, als Handwerk anerkannt zu werden. "Die Änderungsschneiderei, das ist doch ein Handwerk", sagt Ilka Klengel.

Schwindender Einzelhandel in der Innenstadt

Die schlimme Zeit ist nun vorüber, die 56-Jährige kann wieder nähen, reparieren, verkaufen. Auch die Preissteigerungen des vergangenen Jahres haben ihre Kunden ohne viele Klagen mitgemacht. Bis zur Rente wolle sie ihr "Nähstübchen" auf jeden Fall noch weiterbetreiben. Und dann?

"Der Bedarf ist definitiv da", sagt Ilka Klengel. "Und trotzdem glaube ich nicht, dass den Laden jemand übernimmt." Vor der Corona-Zeit hätte sie vielleicht noch etwas anderes gesagt, aber die Sicherheit eines Angestelltenverhältnisses habe schon große Vorteile.

Und obwohl ihr Standort fast direkt am Radeberger Markt ein guter ist, spürt auch Ilka Klengel die Auswirkungen des schwindenden Einzelhandels in der Innenstadt. Früher sei die Hauptstraße und auch die Röderstraße voll mit Geschäften gewesen. Heute sei nur noch ein Bruchteil davon übrig. "Und mit jedem Geschäft, das geht, kommen auch weniger Kunden zu mir", sagt sie. "Die Leute überlegen es sich natürlich dreimal, ob sie nur wegen eines Ladens in die Innenstadt fahren."

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