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Sächsisches Krankenhaus Arnsdorf: Wo Alkohol an Silvester tabu ist

Sekt um Mitternacht, das gehört für viele dazu - doch im Krankenhaus ist Alkohol tabu. Wie Pfleger Johann Pietsch die Atmosphäre an Silvester auf der Entgiftungsstation der Arnsdorfer Klinik erlebt.

Von Verena Belzer
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Johann Pietsch arbeitet nunmehr seit fünf Jahren immer an Silvester im Arnsdorfer Krankenhaus für Neurologie, Psychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Johann Pietsch arbeitet nunmehr seit fünf Jahren immer an Silvester im Arnsdorfer Krankenhaus für Neurologie, Psychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie. © René Meinig

Arnsdorf. Wenn um Mitternacht im ganzen Land die Korken knallen, die Gläser klirren und das neue Jahr traditionell mit viel Alkohol begrüßt wird, dann herrscht auf der Entgiftungsstation des Sächsischen Krankenhauses Arnsdorf eine ganz eigentümliche Atmosphäre.

Die Unterschiede könnten wohl größer nicht da sein: Draußen der ritualisierte Alkoholkonsum, drinnen der Entzug. Draußen Raketen, Böller und Sekt, drinnen Patienten, die die Station nicht verlassen dürfen. Und mittendrin Johann Pietsch, seit 2018 Pfleger in Arnsdorf und seitdem jedes Jahr in der Nachtschicht an Silvester tätig.

Drogenentzug über Silvester

"Auf unserer Station haben wir momentan 14 Patienten, die einen Drogenentzug machen", erklärt Johann Pietsch. "Manche von ihnen haben auch ein Alkoholproblem. Wir stoßen natürlich nicht mit den Patienten um Mitternacht an. Auch nicht mit Saft."

Dieses Ritual, so Pietsch, bagatellisiere das Problem der Patienten. "Und manche triggert es vielleicht." Den Patienten werde grundsätzlich empfohlen, auch nach dem Drogenentzug auf Alkohol zu verzichten. "Das eine kann das andere begünstigen", erklärt Pietsch.

Silvester sei dennoch ein ganz besonderer Tag im Jahr im Krankenhaus - sowohl für die Patienten, als auch das Personal. Johann Pietsch übernimmt um 20.45 Uhr von der Spätschicht, die Nacht über wird er mit einem Kollegen auf Station sein. "Die Patienten sind an Silvester oft schwermütig, weil sie den Jahreswechsel nicht mit Freunden oder Familie feiern können."

Wie die Frauen und Männer damit umgehen, sei völlig individuell: Die einen gingen beizeiten ins Bett, um erst gar nicht in die Situation zu kommen, um Mitternacht all den Trubel und die Raketen und Böller draußen mitzubekommen und sich schmerzlich klarzuwerden, nicht dabei sein zu können. Andere wiederum blieben ganz bewusst wach. Um zu erfühlen, was das mit einem macht. "Bewusst in den Schmerz reingehen", nennt Pfleger Pietsch das.

Die Patienten wollen ein neues Kapitel in ihrem Leben beginnen

"Mit einigen Patienten kann man an diesem besonderen Tag ein Motivationsgespräch führen", sagt Johann Pietsch. "Sie loben, dass sie trotz des Feiertags im Entzug sind. Sie daran erinnern, warum sie hier sind. Um künftig diese Feste orientiert und nüchtern mit der Familie feiern zu können."

Es sei ein Zeichen von einer guten, eigenen Motivation, wenn sie an Silvester im Krankenhaus seien. "Denn eines ist ja klar: Sie sind freiwillig hier." Er sei eine bewusste und aktive Entscheidung, im Krankenhaus zu bleiben. "Und klar, die Verlockung an einem solchen Tag den Entzug abzubrechen, ist schon da", sagt Johann Pietsch.

Die Frauen und Männer seien auf der Entgiftungsstation des Arnsdorfer Krankenhauses, um ein neues Kapitel in ihrem Leben zu beginnen - und dazu eignet sich metaphorisch auch die Silvesternacht. Ein altes Kapitel endet, ein neues beginnt. Neue Chancen, neue Möglichkeiten. Ein neues, anderes Leben.

Intensive Gespräche mit den Patienten

Johann Pietsch legt indes auf die Silvesterfeierlichkeiten keinen großen Wert. "Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass man entweder an Weihnachten oder an Silvester arbeitet", erklärt der Pfleger. "Ich habe mich freiwillig für die Nachtschicht an Silvester gemeldet, da mir Weihnachten viel wichtiger ist. Ich habe zwei kleine Kinder und eine Frau, mit denen ich feiern wollte."

Und diese Nachtschicht sei schon anders als andere Dienste. Natürlich habe man seine normale Arbeit zu tun, "viel Organisation, Vorbereitung, Nachbereitung", sagt Pietsch, der aus der Nähe von Bautzen stammt. Und auch mit den Kollegen spreche man über den Jahreswechsel. "Die Stimmung ist verhältnismäßig gut", sagt er. "Wir haben es uns ja so ausgesucht."

Aber gerade die Gespräche mit den Patienten seien eben an diesem Tag etwas ganz Besonderes, "das sind gute und intensive Gespräche", sagt der Gesundheits- und Krankenpfleger. "Man kann mit ihnen darüber sprechen, wie es ihnen vor Mitternacht und wie es ihnen nach Mitternacht ergangen ist."

Nach der Nachtschicht fährt Pietsch nach Hause zu seiner Familie, dann gibt es gemeinsames Frühstück. "Ich schlafe dann bis Mittag, und dann essen wir wieder zusammen." Und so beginnt für alle das neue Jahr - für Johann Pietsch mit seiner Familie, für seine Patienten auf der Entgiftungsstation weiterhin im Krankenhaus. In der Hoffnung, das nächste Silvester nüchtern und drogenfrei zuhause feiern zu können.