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Als Bomben auf Radebeul fielen: Schüler blicken in die Vergangenheit

Auf der Bahnhofstraße kontrolliert der Kampfmittelräumdienst wiederholt die Baustelle. Einschläge und Todesopfer gab es jedoch am 14. Februar 1945 an anderer Stelle im Stadtgebiet.

Von Silvio Kuhnert
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Fahrzeug und Mitarbeiter des Kampfmittelräumdienstes kontrollieren wiederholt die Baustelle auf der Bahnhofstraße.
Fahrzeug und Mitarbeiter des Kampfmittelräumdienstes kontrollieren wiederholt die Baustelle auf der Bahnhofstraße. © SZ/Silvio Kuhnert

Radebeul. Auf der Baustelle auf der Bahnhofstraße in Radebeul-West gruben die Bauleute jüngst tiefere Löcher aus. Dabei schauten Männer mit der Aufschrift "Kampfmittelräumung" an der Jacke und am Auto genau hin. Laut Bauamtsleiter Oliver Lange kommen Experten für Weltkriegsmunition und Bomben in der Regel bei jeder Maßnahme in größeren Tiefen, wie beim grundhaften Straßenbau mit Kanalbau, zum Einsatz. "Bei reinen Straßeninstandsetzungen ist es nicht erforderlich", so Lange.

Die Untersuchung nach Munition und Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg erfolge vor Beginn eines Bauvorhabens oder punktuell während der Arbeiten, berichtet Oberbürgermeister Bert Wendsche (parteilos). Einen gezielten und großflächigen Luftangriff auf die Stadt Radebeul habe es nicht gegeben. Daher ist es laut Wendsche sehr unwahrscheinlich, dass bei den Kontrollen auf der Baustelle im Zentrum von Radebeul-West Munition oder Blindgänger gefunden werden.

Doch von Luftschlägen blieb die Lößnitzstadt nicht verschont. Eine Gedenktafel am Gebäude Ahornstraße 4 in Radebeul-Ost erinnert "an die 31 Opfer des anglo-amerikanischen Bombenterrors am 14. Februar 1945", wie auf der Inschrift zu lesen ist.

Bomber kamen am Mittag

In der kommenden Woche jährt sich der Luftangriff auf die Nachbarstadt Dresden zum 79. Mal. Der Angriff vom 13., 14. und 15. Februar 1945 erfolgte in vier Wellen. Beim Großangriff in der Nacht, bei der unter anderem die Dresdner Altstadt zerstört wurde, blieb Radebeul noch verschont. Doch beim Tagesangriff der US Air Force am 14. Februar 1945 fielen auch Bomben auf die Lößnitzstadt. Unter Betreuung des Historikers Frank Andert haben Conrad Kunze, Daniel Rentzsch und Martin Trepte für ein Schülerprojekt am Gymnasium Luisenstift Zeitzeugen befragt und Quellen studiert. Das Ergebnis ist eine Belegarbeit mit dem Titel "Das Ende des Zweiten Weltkriegs in Radebeul".

Den mittleren Abschnitt der Bahnhofstraße lässt die Stadt Radebeul derzeit grundhaft sanieren. Dabei werden mit Baggern auch tiefe Schächte für neue Abwasserleitungen gegraben.
Den mittleren Abschnitt der Bahnhofstraße lässt die Stadt Radebeul derzeit grundhaft sanieren. Dabei werden mit Baggern auch tiefe Schächte für neue Abwasserleitungen gegraben. © Arvid Müller

Wie die drei Schüler schreiben, sind laut Erinnerung von Zeuge Joachim Wendt am Mittag des 14. Februar 1945, genau um 12.40 Uhr, mehrere amerikanische Bomber von Süden aus über Radebeul-Ost geflogen. Sie haben zahlreiche Bomben abgeworfen. Drei Wohnhäuser, Waldstraße 34, Goethestraße 22/22a und Sedanstraße (heute C.-Zetkin-Straße) 10, wurden dabei durch Sprengbomben total zerstört. Die Lage der Treffer sowie mehrere Bombenkrater und ein nicht detonierter Blindgänger lassen vermuten, dass dieser einer bereits abgebauten Flak-Stellung galt.

"Zur Luftabwehr wurde im Osten Radebeuls bereits 1942 eine Batterie mit Flugabwehrkanonen (Flak) stationiert. Diese Heimatflakstellung 217/IV befand sich auf einem Feld zwischen Waldstraße und heutiger Clara-Zetkin-Straße in unmittelbarer Nähe zur Jungen Heide und verfügte anfangs über sechs, ab Mitte 1944 dann über acht schwere Flak-Geschütze", haben die drei Schüler herausgefunden. Die Flakstellung wurde im Dezember 1944 abgebaut.

Marmeladenfabrik für Treibstofflager gehalten

Während des gleichen Angriffs kam es zu Bombentreffern im Bereich Augustusweg 96, Höhe Wettinstraße. Dort befand sich die Marmeladenfabrik von Artur E. Haupt. Im Hof standen mehrere Fässer mit Obstmark und Stärkesirup. Diese wurden irrtümlich für ein Treibstofflager gehalten. Deshalb wurde die Fabrik offenbar gezielt bombardiert. "Bei den Räumungsarbeiten wurden circa 130 Stabbrandbombenhülsen im Betrieb, Wohnhaus und Grundstück gefunden", wie die Schüler erfahren haben.

Auch in den benachbarten Grundstücken Augustusweg 92 und 110 wurden ausgebrannte Bombenhülsen entdeckt. Sprengbomben schlugen zudem auf Nachbargrundstücke ein. Bei dem Angriff wurde der Betrieb vollständig zerstört und die Nachbarhäuser Wettinstraße 15 und 22, wurden in Mitleidenschaft gezogen.

Weitere Bombeneinschläge, die wohl mehr Dresden als Radebeul galten, gab es im Umkreis des Bahnhofs Radebeul-Ost. So soll es im Bereich der Gleisanlagen und am Robert-Werner-Platz Bombentreffer gegeben haben. "Im Haus Wichernstraße 24 a durchschlug eine Stabbrandbombe das Dach, konnte von den Hausbewohnern aber ins Freie befördert werden, ohne dass größerer Schaden entstand", berichten die Schüler in ihrer wissenschaftlichen Arbeit.

Die meisten Opfer forderte jedoch ein Sprengbombeneinschlag in das Mehrfamilienhaus Ahornstraße 4, "der sich, nach übereinstimmenden Angaben mehrerer Zeitzeugen, in den Abendstunden des 14. Februar, gegen 22 Uhr ereignete, also lange nach der dritten Angriffswelle auf Dresden", ist in der Studie zu lesen. Die Bombe habe das Dach durchschlagen und sei im Erdgeschoss detoniert, sodass das Haus bis auf die südliche Giebelwand einstürzte.

Mindestens 55 Todesopfer

In der anderen Hälfte des Doppelhauses, Ahornstraße 2, wurden Bewohner im Luftschutzkeller verschüttet. Zwei Personen erlitten schwere Verletzungen. Es gab zudem mehrere Leichtverletzte. Auch im südlichen Nachbarhaus gab es Verletzte und Gebäudeschäden. Laut den Recherchen der drei Schüler verloren am 14. Februar 1945 in Radebeul mindestens 55 Menschen ihr Leben.

Durch die Luftschläge auf Dresden waren auch die Gleisanlagen zerstört. Zudem sprengten die Deutschen die Eisenbahnbrücke Niederwartha. Dadurch endeten die Fernzüge von und nach Dresden über Jahre auf dem intakten Bahnhof Kötzschenbroda. Dies besang Billy Buhlan in seinem noch heute bekannten Lied 1947 im Glenn-Miller-Sound und fragte gleich in der ersten Strophe: „Verzeih’n Sie, mein Herr, fährt dieser Zug nach Kötzschenbroda?“