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„Jeder Quadratmeter als Baulandpreis“

Der Verein für Denkmalpflege und neues Bauen in Radebeul stellt die Frage zu seiner Zukunft. Vorsitzender Jens Baumann erklärt, warum, und spricht über Baupolitik.

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Dank des Vereins für Denkmalpflege und neues Bauen und zahlreicher Spender konnte eine stählerne Wendeltreppe in den Bismarckturm eingebaut.
Dank des Vereins für Denkmalpflege und neues Bauen und zahlreicher Spender konnte eine stählerne Wendeltreppe in den Bismarckturm eingebaut. © Daniel Schäfer

Herr Baumann, ob Umbau der Bismarcksäule zum Aussichtsturm oder die Gestaltung des Eduard-Bilz-Platzes – der Verein für Denkmalpflege und neues Bauen hat sichtbare Spuren im Stadtbild von Radebeul hinterlassen. Wird er im Jahr 2023 sein 30-jähriges Bestehen feiern können?

Ich wünsche mir es sehr. Seit der Vereinsgründung 1993 bin ich aktiv dabei, zuerst 13 Jahre als Schatzmeister und dann als Vorstandsvorsitzender. An Aufgaben und Anlässen, sich aktiv in das Baugeschehen einzubringen und an der Gestaltung Radebeuls mitzuwirken, mangelt es nicht.

Dennoch hat der Vereinsvorstand eine Umfrage zur Zukunft des Denkmalvereins unter den Mitgliedern gestartet. Und eine Frage lautet: Fortbestehen oder nicht. Warum?

Im Moment – und es ist nicht absehbar, wann die Kette der Momente einmal zu Ende ist, – kann der Verein keine Aktivitäten wie bisher durchführen. Das letzte Mal, dass die Mitglieder zusammenkamen und auch ein reger Austausch mit interessierten Einwohnern stattfand, war unsere Mitgliederversammlung mit anschließender Diskussionsrunde über Neubauten vor rund einem Jahr im Kultur-Bahnhof. Dann hat die Corona-Pandemie all unsere Veranstaltungspläne vereitelt. Da fällt es schwer, die Motivation aufrechtzuerhalten, zumal uns derzeit ein Projekt wie Bismarckturm und Bilzplatz fehlt, wo sich die Mitglieder aktiv einbringen können. Zudem sind Impulse immer wichtig, die Umfrage rüttelt auf – ist der Verein noch wichtig?!

Hat der Verein mit Mitgliederschwund zu kämpfen?

Die Zahl der Mitglieder wird weniger und damit steht auch weniger Geld für die Vereinsarbeit zur Verfügung. Derzeit sind rund 85 Personen im Verein aktiv, mit Familienmitgliedschaften kommen wir auf rund 100. Allerdings zahlt nur die Hälfte regelmäßig den Mitgliedsbeitrag. Zudem mussten wir zwei Austritte zum Jahresende 2020 und einen weiteren nach Erhalt des Rundbriefes verzeichnen.

Jens Baumann ist seit der Vereinsgründung 1993 im Vorstand des Denkmalvereins aktiv. Seit 2006 ist er Vorsitzender.
Jens Baumann ist seit der Vereinsgründung 1993 im Vorstand des Denkmalvereins aktiv. Seit 2006 ist er Vorsitzender. © privat

Was sind die Gründe für die Austritte aus dem Denkmalverein?

Zum einen sind es Gründe des Alters. Andererseits gibt es auch Austritte und Rückzüge ins Private aus Frust wegen des aktuellen Baugeschehens. Sicher ändern sich auch persönliche Prioritäten.

Woher rührt der Frust?

In Radebeul tritt meines Erachtens hinsichtlich des Baugeschehens ein rechtliches und gesellschaftliches Problem zutage. So gibt es das aus der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes abgeleitete Baurecht. Danach ist dem Eigentümer eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen sind. Hier gibt es wohl keinen Ermessensspielraum für die Stadt. Das zeigt das Beispiel des Neubauvorhabens am Körnerweg. Dort musste die Stadt eine Baugenehmigung erteilen. Es gab keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften wie Denkmal- oder Naturschutz, mit denen die Verwaltung den Bauwunsch hätte unterbinden können. Die Eingriffsmöglichkeiten von Stadtplanung sind im Innenstadtbereich leider eher gering. Da helfen auch unsere Proteste und Vorschläge, wie man es besser machen könnte, wenig.

Das sind die rechtlichen Gegebenheiten. Und wie sieht das gesellschaftliche Problem aus?

Hier existieren zwei wesentliche Probleme. Zum einen wird der ländliche Raum vernachlässigt – Stichworte sind Vorschriften zu Schulgrößen, kaum Förderung von gelebter Kleinteiligkeit, weite Wege, unattraktiver öffentlicher Verkehr. Daher ziehen Menschen in Großstädte und Ballungsgebiete. Das führt dort zu Wohnungsknappheit, zudem steigen die Ansprüche, auch an die Wohnungsgrößen. Um dieser zu begegnen, wird von politischer Seite in Metropolen versucht – beispielsweise mittels höherer Grundsteuer –, den Druck auf Eigentümer zu erhöhen, bestehende Baulücken zu schließen. Bauen ist bundesrechtlich gewollt und wird gesetzlich als auch durch die Rechtsprechung protegiert – oftmals werden erst durch Gerichtsverfahren Baugenehmigungen dann doch erteilt.

Was ist das zweite gesellschaftliche Problem in puncto Bauen?

Andererseits werden Grundstücke beziehungsweise Bauland von Radebeulern verkauft, natürlich zum Höchstpreis, jeder Quadratmeter als Baulandpreis. Ich kenne niemanden, der etwas zum halben Preis abgibt, nur damit sich das Grundstück jemand kaufen kann, der ein Einfamilienhaus bauen will. Die geforderten Summen bedingen also oftmals, dass die Grundstücke baulich ausgelastet werden. Auch ist das Verständnis von Parks und Gärten vielfach verloren gegangen. Die Baupolitik ist kein Problem „böser“ Investoren, sondern von uns allen, wo jeder nach immer mehr Gütern strebt. Und wenn jeder das Meiste für sich möchte, geht eben das Ganze verloren.

Angesichts der geschilderten Probleme fühlt sich das ein oder andere Mitglied sicher ohnmächtig und resigniert. Oder?

Man kann resignieren und aufgeben oder versuchen, auf diese Entwicklung Einfluss zu nehmen. Denn unser Verein ist zum Beispiel bei den Stellungnahmen zum Baugeschehen weiterhin wichtig, wir werden gefragt. Zudem können wir mittels des Bauherrenpreises positive Beispiele für denkmalgerechtes und neues Bauen in den Fokus rücken und hervorheben, damit sich Bauherren diese zum Vorbild nehmen. Durch Rückzug und Auflösung verhallt eine Stimme, auch wenn sie derzeit immer öfter nur noch mahnend ist. Unser Verein hat aber auch klare Forderungen aufgestellt.

Die Treppe im Turm führt zur Spitze des Bismarckturms mit der Aussichtsplattform in rund 18 Meter Höhe.
Die Treppe im Turm führt zur Spitze des Bismarckturms mit der Aussichtsplattform in rund 18 Meter Höhe. © Arvid Müller

Welche Forderungen sind das?

Erstens muss der Denkmalschutz wieder vor Ort in Radebeul präsent sein. Daher fordern wir, dass die Untere Denkmalbehörde des Landkreises Meißen wieder ein Büro in unserer Stadt eröffnet, zumindest tageweise besetzt. Zudem sollte die Stadtplanung mehr vom Instrument kommunaler Bebauungspläne anstelle von vorhabenbezogenen Bebauungsplänen Gebrauch machen. Bei letztgenannten Verfahren kann ein Investor stärker diktieren und eine Art Drohpotenzial aufbauen, wenn er sagt: „Ich als Investor steige sonst aus“, wenn seine Wünsche nicht erfüllt werden. Dies zu unterbinden, bedeutet unter anderem, neben dem notwendigen Personal in der Verwaltung frühzeitig entsprechend Gebiete, wo Bebauungsdruck entstehen könnte, zu definieren und entsprechende Bebauungspläne aufzustellen – der Wasapark wäre da ehemals ein gutes Beispiel gewesen. Außerdem soll neben der gegenwärtigen Erarbeitung einer Erhaltungssatzung für die Stadtteile Ober- und Niederlößnitz ein Gestaltungsbeirat eingeführt werden; in diesen gehören auch Bauträger. Dass solche Satzungen funktionieren, zeigt die 2016 beschlossene Erhaltungssatzung „Radebeul-Altkötzschenbroda“, die ebenso eine Forderung des Vereins war.

Wie kann und möchte sich der Denkmalverein darüber hinaus in das Stadt- und Kulturleben der Lößnitzstadt einbringen?

Wir wollen eine Handreichung erarbeiten, die alle derzeit in Radebeul gültigen Satzungen zu Denkmalschutz und Bauen auf einen Blick vereint. Dazu zählen unter anderem die Historische Weinberglandschaft Radebeul, Erhaltungssatzungen und Bebauungspläne. In dem Überblick wird darüber informiert, was die Satzungen jeweils regeln und welchen Geltungsbereich sie umfassen. Niemand kennt die ganzen geltenden Reglungen auf einen Blick, was zu unsachlichen Diskussionen führt. Wir wollen weiterhin öffentliche Orte mit anderen Vereinen und Initiativen künstlerisch aufwerten sowie Informationstafeln an bestimmten Plätzen und Straße anbringen; die Mohrenstraße sei genannt, wobei der Verein nicht Geschichte beseitigen will, dies ist der falsche Weg. Fachvorträge und unser jährliches Diskussionsforum zur Stadtentwicklung setzen wir fort. Nicht zuletzt möchte ich zum Ende des Jahres eine Ausstellung präsentieren, wo jeder eingeladen ist, mit einem Foto oder einer Collage seinen Blick auf Radebeul zu zeigen. Ohne Wertung, nur Fotos. Die Erwartung ist nicht, nur Negatives zu sehen, dazu ist unsere Stadt viel zu schön, trotz alledem.

Wie ist das Grundverständnis des Vereins und was bedarf es, die Ideen umzusetzen?

Wir verstehen uns als Verein für Denkmalpflege, neues Bauen, für Stadtkultur- und Bildung, für Gestaltung des öffentlichen Raumes und als Partner wie auch „Gegenpart“ für die Stadt. Der Verein wirkt durch Ideen, Mittun, Bündelung der Bürgeranliegen, Spendensammler und vieles mehr – kurzum: durch das Engagement seiner Mitglieder. Mit der Umfrage, die noch bis Ende dieses Monats geht, wollen wir die Bereitschaft der jetzigen Mitglieder abfragen, inwieweit sie sich in die Vereinsarbeit weiterhin einbringen möchten. Bei einem Votum für eine Fortsetzung hoffen wir auch auf weitere Bürger, die im Verein mitwirken wollen.

Das Interview führte Silvio Kuhnert.

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