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Vom Kreml geschmiert? Ein NDR-Journalist bekam aus Russland Geld für Putin-Bücher

Hubert Seipel wurde bekannt durch Russland- und Putin-Berichte. Jetzt wurde bekannt: Er hat 600.000 Euro „Sponsorengelder“ aus Russland erhalten.

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Dem preisgekrönten Journalisten Hubert Seipel wird in Medienberichten vorgeworfen, Unterstützung aus Russland für Buchprojekte erhalten zu haben.
Dem preisgekrönten Journalisten Hubert Seipel wird in Medienberichten vorgeworfen, Unterstützung aus Russland für Buchprojekte erhalten zu haben. © SPUTNIK POOL

Von Joachim Huber und Oliver Reinhard

Die Summe ist mehr als bemerkenswert: 600.000 Euro. So viel soll der Journalist Hubert Seipel von einer Briefkastenfirma des Kreml-nahen Oligarchen Alexej Mordashov bekommen haben. Dass Geld geflossen ist, hat der 73-Jährige inzwischen eingeräumt. Er habe es über zwei „Sponsoring-Verträge“ 2013 und 2018 von Mordashov für zwei Buchprojekte erhalten. „Putin. Innenansichten der Macht“ erschien 2015, sechs Jahre später folgte „Putins Macht“, beides im Verlag Hoffmann & Campe, der für den Autor mit den Worten warb: „Kaum jemand kennt Wladimir Putin so gut wie Hubert Seipel, der als einziger westlicher Journalist einen direkten, persönlichen Zugang zu ihm hat.“

„Kaum jemand kennt Putin so gut wie Hubert Seipel"

Seipel ist der erste bekannt gewordene Fall eines einflussreichen westlichen Journalisten, der mit großzügigen und vor allem heimlichen Geldflüssen aus Russlands Elite um Präsident Putin bedacht wurde. Und es steht die Frage im Raum, ob Seipel der Erste ist und der Einzige bleibt.

Es geht um keinen Niemand. Hubert Seipel war bislang als TV- und Buchautor sehr renommiert, ausgezeichnet unter anderem mit zwei Deutschen Fernsehpreisen und dem Grimmepreis. Entsprechend sind die Reaktionen in der Branche. Sie reichen von ungläubigem Entsetzen bis zur offenen Wut.

Geldzahlungen für Berichterstattungen sind nicht zulässig

„Hubert Seipel hat die Redaktionen, mit denen er zusammengearbeitet hat, schwer getäuscht und damit auch die Zuschauerinnen und Zuschauer als auch die Leserinnen und Leser“, erklärt Christoph Schmitz, für Medien zuständiges Mitglied im ver.di-Bundesvorstand. Seipels Verlag und sein ehemaliger Arbeitgeber NDR gingen zu Recht gegen solch einen publizistischen Betrug vor.

Seipel habe in der Vergangenheit auf entsprechende kritische Nachfragen Zahlungen stets ausgeschlossen, was sich aufgrund der Rechercheergebnisse nun als unrichtig darstellte. Geldzahlungen, offene oder verdeckte, von interessierter Seite für Berichterstattungen oder zur Unterbindung von Veröffentlichungen sind laut ver.di nach den Berufsstandards aus dem Pressekodex oder der internen Richtlinien des NDR nicht zulässig.

Ein Lebenswerk, das nun keines mehr sein dürfte

Aus Sicht von ver.di-Mann Christoph Schmitz stellt das Zustandekommen der mit erheblichen finanziellen Zuwendungen geförderten Buchprojekte von Hubert Seipel einen Verstoß gegen die Berufsgrundsätze dar. Es gelte im Pressekodex als unehrenhaftes und berufswidriges Verhalten, wenn für die Verbreitung von Nachrichten Bestechungsgelder angenommen werden.

Hubert Seipels Reaktion – „Ein Schreiben, acht Seiten“ – beschreibt der Spiegel so: „Der Tonfall wechselt, mal ist er aggressiv, meist selbstgerecht, an manchen Stellen wird es wirr. Es ist die lange Erwiderung auf Fragen, die Spiegel und ZDF dem Absender gestellt haben, ohne dass er diese wirklich konkret beantwortet. Stattdessen verweist der Mann vor allem auf seine Filme und Bücher, auf sein ganzes Lebenswerk, das nun keines mehr sein dürfte.“

Ina Ruck: „Ich war geschockt. Unfassbar.“

Ina Ruck, langjährige ARD-Korrespondentin in Moskau, sagte dem Tagesspiegel: „Es hat offenbar Methode, dass der Kreml so operiert – an den Fachleuten vorbei. Nicht nur in Deutschland.“ Der Kreml umgehe Russlandkorrespondenten oder -expertinnen und biete lieber weniger mit dem Land Vertrauten exklusive Bilder oder exklusiven Zugang zum Präsidenten. „Das ist verlockend“, sagt Ruck, „und es verfängt.

Dass dem Kreml solche Manöver viel Geld wert seien, dürfte eigentlich nicht überraschen. „Ich war dennoch geschockt. Unfassbar.“ Der Kreml setzt längst nicht mehr nur auf verdeckte Propaganda. Europaweit sind Bloggerinnen und Blogger unterwegs, um in sozialen Medien prorussische Desinformation. Beispielsweise Alina Lipp, deutsche „alternative“ Journalistin, Liu Sivaya, russische Politologin in Madrid, und Vittorio Rangeloni, italienischer Vermessungsingenieur.

Bezahlte Sprachrohre der Putin-Propaganda

Wenn die „Putinfluencerin“ Lipp sich bei Youtube meldet, dann heißt es in ihrem Video: „Die Russen sind nicht die Bösen. Die Russen nehmen, platt gesagt, den Nazis die Waffen weg.“ Vor solchen Sprachrohren der Kreml-Propaganda auch im Inland warnt regelmäßig Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

„Über alle Ebenen hinweg ist Russland da aktiv und verbreitet seine Desinformation, Propaganda und Narrative“, so Haldewang. Man nutze zur gezielten Einflussnahme auch „Einflusspersönlichkeiten“ in Deutschland, etwa Agenten, so Haldenwang. Einige davon haben laut dem Verfassungsschutzchef die Aufgabe, auch „Personen der Medien anzusprechen und auf diese Art und Weise Narrative zu verbreiten“.

„Putin ist schuld? Nicht mehr als Obama."

Welche Perspektive Hubert Seipel einnahm und wie seine Arbeit in Deutschland ankam, lässt sich exemplarisch dem Medienecho auf dessen Buch „Putin: Innenansichten der Macht“ entnehmen. Es erschien ein Jahr nach der russischen Annexion der Krim, als Putins Image auch in Deutschland auf einem vorläufigen Tiefststand war. „In seiner Biografie versucht Seipel, das vielfach gängige Putin-Bild eines gewissenlosen Weltmachtjunkies aufzubrechen“, urteilte etwa die Morgenpost am Sonntag.

Die westfälischen Nachrichten sahen das ähnlich: „Seipel analysiert die Motive des russischen Präsidenten und widerlegt die allzu einseitige Sicht des Mainstreams.“ Auch die Südwest Presse lobt den Journalisten dafür, „der herrschenden, gefährlichen Meinungsmehrheit vom bösen Putin entgegenzutreten“. Den Tenor des Buches bringt Die Presse auf den kürzesten Nenner: „Putin ist schuld? Nicht mehr als Obama, glaubt man Seipels Buch entnehmen zu können“.

Der Kreml konnte sich auf Hubert Seipel verlassen

Und in der renommierten Hamburger Wochenzeitung Die Zeit empfahl der nicht minder renommierten Historiker und Gerhard-Schröder-Intimus Gregor Schöllgen: „Man sollte lesen und gewichten, was Putin ihm gesagt hat. Denn diese Klarstellung war fällig.“ „Viel Vergnügen beim Lesen“, wünschte die Märkische Allgemeine Zeitung bestens gelaunt nach der Lektüre, „und beim anschließenden neuen, anderen Denken über Putin, Russland und Europa“.

Ob die Sonderbehandlungen Seipels inklusive der exklusiven Zugänge zu Putin genügt haben oder ob es auch am geflossenen Geld lag: So oder so konnte sich der Kreml auf den Journalisten verlassen. Wladimir Putin dürfte mit der Aufnahme des Buches in Deutschland und mit der Wirkung von Hubert Seipels Image-Politur hochzufrieden gewesen sein. Den nachfolgenden Band „Putins Macht“ versah er 2021 mit dem programmatischen Untertitel „Warum Europa Russland braucht“.