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SOE: Riskanter Job auf der Autobahn

Unter den Straßenwärtern von Nickern hat der Streckenwart die spannendste Aufgabe. Was erwartet ihn diesmal?

Von Jörg Stock
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Hüter der Rollbahn: Oliver Hayde ist Streckenwart bei der Autobahnmeisterei Nickern. Täglich patrouilliert er zwischen Nossen und dem Erzgebirgskamm, um Schäden aller Art aufzuspüren.
Hüter der Rollbahn: Oliver Hayde ist Streckenwart bei der Autobahnmeisterei Nickern. Täglich patrouilliert er zwischen Nossen und dem Erzgebirgskamm, um Schäden aller Art aufzuspüren. © Daniel Schäfer

Oliver hat zwei Geburtstage. Den einen hat er neulich gefeiert. 38 ist er geworden. Der andere kommt im November. Am 11.11. 2019 wechselt er gerade einen Leitpfosten an der A4 bei Wilsdruff, da rammt ein träumender Fahrer mit seinem Sattelzug den Schilderwagen. Der Anhänger wird auf die Autobahn hinaus gerissen. Wäre er in die andere Richtung geflogen, an die Betonwand, wo Oliver hantierte...

Oliver Hayde macht einen der riskantesten Jobs im Land. Er ist Streckenwart bei der Autobahnmeisterei Nickern. Sein Revier sind 60 Kilometer Autobahn zwischen Nossen und dem Osterzgebirgskamm. Ein Revier, dessen hektischste Stellen fast 100.000 Fahrzeuge pro Tag passieren. Und er ist mittendrin, nicht nur in seiner rollenden Werkstatt, auch zu Fuß.

Im Sprint von der Überholspur gesammelt: Streckenwart Oliver Hayde mit dem Fragment einer Motorradverkleidung.
Im Sprint von der Überholspur gesammelt: Streckenwart Oliver Hayde mit dem Fragment einer Motorradverkleidung. © SZ/Jörg Stock

Autobahnmeister Ronny Hamann nennt den Streckenwart sein Auge, seine rechte Hand. Was immer sich auf der Piste tut, auf der Fahrbahn oder drum herum - der Kontrolleur sieht es, egal ob verbeulte Leitplanken, umgefahrene Verkehrszeichen oder frisch aufgebrochene Schlaglöcher. Ist Gefahr im Verzug, sagt Hamann, zieht die Kolonne noch am selben Tag zum Reparieren los.

Schutzplanke verbeult und abgehauen

Oliver Hayde ist allein unterwegs, allein mit seinem Ford Transit und tausend Werkzeugen und Ersatzteilen. Was ihn erwartet, weiß er nie. Das gefällt ihm: Herauszufinden, wo es klemmt. Seit zehn Jahren, vielleicht auch länger, ist er Streckenwart. Manchmal genügt schon eine Art Eingebung, im Vorbeifahren, die ihm sagt: Da passt was nicht!

Hier ist vor drei Tagen ein Auto verbrannt. Kontrolleur Hayde vermisst die Stelle und prüft, ob der Beton Schaden genommen hat.
Hier ist vor drei Tagen ein Auto verbrannt. Kontrolleur Hayde vermisst die Stelle und prüft, ob der Beton Schaden genommen hat. © Daniel Schäfer

Runter vom Betriebshof, rauf auf die A17. Die Fahrspur des Kontrolleurs ist der Standstreifen. Mit 35, 40 Stundenkilometern rollt der Ford dahin, während sein Fahrer die Umgebung scannt. Schon sieht er die erste Unordnung: 24 Meter Mittelleitplanke sind eingedrückt. Irgendwann gestern ist es passiert. Vielleicht hat sich jemand unachtsam eingefädelt, hat einen anderen Fahrer gegen den Rand gedrückt. Genaues weiß man nicht. Schätzungsweise 20 Prozent der Beulen, so auch diese, fallen in die Kategorie Unfallflucht.

Den Schaden wird Oliver nachmittags mit der Kolonne aufnehmen. Jetzt muss er erst mal weiter. Doch gleich drückt er wieder auf die Bremse. Drüben, bei der Überholspur, liegt was. Etwas Größeres. Oliver steigt aus, stellt sich ans Heck seines Wagens, späht in den brausenden Verkehr. "Ich warte auf meine Lücke", sagt er trocken. Und ehe man noch Zeit hat, Gänsehaut zu kriegen, spurtet er los.

Zweimal hintereinander demoliert: Leitplanke an der A-17-Zufahrt Südvorstadt. Häufig bleiben die Verursacher von Beulen unbekannt.
Zweimal hintereinander demoliert: Leitplanke an der A-17-Zufahrt Südvorstadt. Häufig bleiben die Verursacher von Beulen unbekannt. © SZ/Jörg Stock

Was nach Himmelfahrtkommando aussieht, ist für den Streckenwart berechenbar. Er hat gelernt, Geschwindigkeiten einzuschätzen. Nichts ist es wert, auf Arbeit sein Leben einzubüßen, sagt er. Auch nicht das Stück Plasteverkleidung eines Motorrads Marke Honda, das er vom Mittelstreifen zurückbringt. "Ich laufe erst los, wenn ich sicher bin: Okay, das schaffe ich."

Neun Tonnen zerrissene Reifen pro Jahr

Unrat sammelt Oliver Hayde auf jeder Patrouille ein. Am häufigsten zerfetzte Reifen. Neun Tonnen davon kommen im Jahr zusammen. Doch gibt es noch zahllose andere Dinge, die von Autos fallen. Letzte Woche hat Hayde einen Gartenteich eingesammelt. Der Plastebottich, drei mal zwei Meter groß, lag in Richtung Prag mitten auf der Fahrbahn. Gerade so hat das Fundstück in seinen Ford gepasst.

Die Autobahn ist immer für eine Überraschung gut. Dieser Gartenteich lag zwischen den Anschlussstellen Südvorstadt und Prohlis auf der Fahrbahn.
Die Autobahn ist immer für eine Überraschung gut. Dieser Gartenteich lag zwischen den Anschlussstellen Südvorstadt und Prohlis auf der Fahrbahn. © SZ/Jörg Stock

Ein rußiger Fleck kommt in Sicht, knapp zwei Meter im Quadrat. Vor drei Tagen ist hier ein Pkw in Flammen aufgegangen. Die Hitze könnte den Straßenbeton zum Platzen gebracht haben. Oliver untersucht die Oberfläche, kratzt an den geschmolzenen Fahrzeugresten. Augenscheinlich ist noch alles heil. Er misst die Stelle aus, trägt sie in sein "schlaues Buch" ein. In vierzehn Tagen wird er hier noch einmal anhalten, zur Kontrolle.

Anschluss Südvorstadt: Jemand hat wiederholt die Kurve von der Bundesstraße 170 zur Autobahn nicht gekriegt und ist in die Schutzplanke gefahren. Das Flatterband der Polizei wedelt noch an dem verbeulten Blech. Oliver Hayde fotografiert, sackt Trümmer ein. Beim Bauunternehmen wird er die Reparatur jetzt dringend machen. Der neuerliche Treffer hat die Planke teilweise von den Pfosten gerissen. Diagnose: kein effizienter Rückhalt mehr.

Hier brauchte wohl ein Lasterfahrer Platz zum Parken. Oliver Hayde setzt den herausgerissenen "Pinguin" wieder ein.
Hier brauchte wohl ein Lasterfahrer Platz zum Parken. Oliver Hayde setzt den herausgerissenen "Pinguin" wieder ein. © SZ/Jörg Stock

Nach dem Tunnel Döltzschen beginnt die Herrschaft der Baustellen. Fahrbahnerneuerung auf der A17, Brückenbau am Tanneberger Loch. Hayde muss Obacht geben, dass alle Baken und Zeichen am rechten Fleck stehen. Schnell ist etwas umgefallen oder verdreht, was die Fahrer verwirrt. Heute aber nicht. "Passt alles."

Das Dresdner Tor ist erreicht, Tank & Rast Nord. Hier will Hayde das neue Halteverbotsschild anschrauben, das im Laderaum liegt. Doch wieder ein Zwischenfall. Einer von den schwarzweißen Leitpfosten, genannt Pinguine, liegt ausgerissen im Grün. Klarer Fall für Hayde: Den hat ein Lasterfahrer demontiert, um Platz zum Übernachten zu schaffen. Wenigstens liegt der Pfosten nicht irgendwo im Busch, wo ihn keiner findet. Einfädeln, ein paar Faustschläge, schon steht der Pinguin wieder auf Posten.

Straßenwärter hält Halteverbot: Gleich ist das neue Schild am Dresdner Tor montiert. Das alte war durch Vandalismus unbrauchbar geworden.
Straßenwärter hält Halteverbot: Gleich ist das neue Schild am Dresdner Tor montiert. Das alte war durch Vandalismus unbrauchbar geworden. © Daniel Schäfer

Das neue Schild ist dank Akkuschlagschrauber schnell montiert. Das alte, körperlich unversehrt, hat einen Schaden an der Folie erlitten, weil jemand irgendwas mit aggressivem Kleber da drauf gepappt hat. Die Sichtbarkeit leidet. Das Schild ist Schrott. "Eine Schweinerei", sagt Hayde. Wieder ohne Täter. "Das geht zu unser aller Lasten."

Zurück auf der Piste entdeckt der Kontrolleur das Schlagloch von Morgen. Ein Staubschleier, den der Regen auf den Standstreifen gespült hat, führt zur Schadstelle auf der linken Fahrbahnhälfte. Der rissige Fleck wird sich im Sog der Lkw-Reifen wie im Zeitraffer vergrößern, sagt Oliver. Er kommt ins schlaue Buch - und auf den Aktionsplan der Kolonne. Eine halbe Stunde Arbeit. "Dann ist das Geschichte."

Oliver Haydes "zweiter Geburtstag": Als ein Sattelzug am 11. November 2019 seinen Dienstwagen rammt, kommt er mit dem Schrecken davon.
Oliver Haydes "zweiter Geburtstag": Als ein Sattelzug am 11. November 2019 seinen Dienstwagen rammt, kommt er mit dem Schrecken davon. © Roland Halkasch

Auf der Rückfahrt stoppt Oliver Hayde an einer Stelle, wo nichts kaputt ist. Nur ein merkwürdig helles Stück Beton fällt auf in der verwitterten Mauer. Es ist die Stelle, wo damals der Laster einschlug, nachdem er Haydes Dienstwagen gerammt hatte. "Das hätte es gewesen sein können", sagt er. "Schnipp - und aus."

Mehrmals die Woche kommt Oliver Hayde an diesem Schicksalsort vorbei. Anfangs fuhr noch die Angst mit. Inzwischen denkt er nicht mehr so oft daran, was gewesen wäre, wenn. "Einfach nur Glück gehabt", sagt er, und er lächelt ein bisschen. "Man muss auch mal Glück haben."