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Der Tag, als die Grenzkontrolle wieder kam

Seit Montagabend wird der Verkehr an der A17 in Sachsen stationär überwacht. Der Einsatzbefehl hat selbst die Grenzer überrascht. Ein Besuch vor Ort.

Von Jörg Stock
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Halt, Polizei: Einreisende aus Richtung Tschechien fanden sich Montagabend auf der A17 bei Breitenau überraschend in einer Grenzkontrolle wieder.
Halt, Polizei: Einreisende aus Richtung Tschechien fanden sich Montagabend auf der A17 bei Breitenau überraschend in einer Grenzkontrolle wieder. © Marko Förster

Strahlend wie ein Weihnachtsbaum steht das "Heidenholz" in der nachtschwarzen Landschaft des Osterzgebirgskamms. Das kommt daher, weil das Technische Hilfswerk etwa einen halben Kilometer Kabel auf dem Rastplatz verlegt hat, an dem fünfzehn Scheinwerfer und zwei Lichtmasten hängen. Es geht um die Sicherheit der eigenen Leute, sagt Polizeihauptkommissar Axel Bernhardt. Aber es geht auch darum, die anderen zu erkennen. "Wir wollen wissen: Wer ist unser Gegenüber?"

Das Gegenüber sind die Menschenschmuggler. Sie beschäftigen die Bundespolizeiinspektion Berggießhübel so intensiv wie nie zuvor, ganz besonders seit dem Sommer. An manchem Tag deckten die Beamten Schleusungen im Dutzend auf, mit bis zu 140 illegalen Migranten, oder sogar mehr. Oftmals flohen die Schleuser vor der Polizei in halsbrecherischer Fahrt. Als sich Mitte Juli ein Schleuserwagen an der A17 überschlug, kam eine Insassin ums Leben.

Voll ausgeleuchtet: Die Grenzkontrollstelle auf dem Rastplatz "Am Heidenholz".
Voll ausgeleuchtet: Die Grenzkontrollstelle auf dem Rastplatz "Am Heidenholz". © Marko Förster

Damit soll nun Schluss sein. Alle möglichen Maßnahmen müssten ergriffen werden, um das grausame Geschäft mit dem Leben von Menschen zu unterbinden, erklärte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) am Montag in Berlin und kündigte Binnengrenzkontrollen an. Wenige Stunden später war die Autobahn 17 bei Breitenau abgesperrt und der Verkehr über den Rastplatz "Am Heidenholz" umgeleitet, um von Polizeiposten taxiert zu werden.

Presserummel am virtuellen Schlagbaum

Wie die zuvor so zäh diskutierten Grenzkontrollen Wirklichkeit werden, wurde noch am Abend von einem Großaufgebot Reporter beobachtet. Axel Bernhardt, Sprecher der Bundespolizeidirektion Pirna, trat von einem Mikrofon zum nächsten. "Der Bürger wird erwarten, dass wir hier einen Schlagbaum aufstellen", erklärte er. "Aber das ist nicht der Fall." Tatsächlich handele es sich um eine Sichtkontrolle des Durchgangsverkehrs. Der Entschluss, ein Fahrzeug anzuhalten, erfolge aufgrund von Erfahrungswerten und eines gewissen Rasters.

Die Schleuserbanden agieren immer skrupelloser. Zum Selbstschutz tragen manche Polizisten Maschinenpistolen.
Die Schleuserbanden agieren immer skrupelloser. Zum Selbstschutz tragen manche Polizisten Maschinenpistolen. © Marko Förster

Es wird nicht gern laut gesagt, aber es ist auch kein Geheimnis: Fahrer mit südländischer Optik stehen im Fokus. So ist nun mal die Lage. Unter den Fahndern kursiert dazu ein Bonmot: Wer einen Weihnachtsmann sucht, kontrolliert nicht den Osterhasen. Doch es gehört mehr zum Raster als ein Gesicht: Gesucht sind augenscheinlich voll besetzte Kleintransporter, Kleinbusse und Vans, auch SUVs, vorzugsweise mit getönten Scheiben und mit gewissen Kennzeichen.

Und diese Kennzeichen sind oft aus Deutschland. Die Kontrolle ist noch gar nicht voll im Gange, da geht den Polizisten ein Citroën mit Bonner Nummer ins Netz. Ein Syrer mit Aufenthaltserlaubnis hat weitere sieben Syrer illegal ins Land gebracht. Der Wagen wird für die kriminaltechnische Untersuchung beiseite gestellt, die Passagiere, die um Asyl bitten, führt man zur erkennungsdienstlichen Behandlung.

Nicht nur Schleuser auf dem Kieker: Die Fahrzeugkontrollen können auch mal, so wie hier, ins Detail gehen.
Nicht nur Schleuser auf dem Kieker: Die Fahrzeugkontrollen können auch mal, so wie hier, ins Detail gehen. © Marko Förster

Sven Jendrossek, Leiter der Bundespolizeiinspektion Berggießhübel, spricht bei solchen Fällen von "Community-Schleusungen". Wer schon im Land Fuß gefasst hat, holt Familienangehörige und andere Landsleute nach. Die Communitys befänden sich vor allem in Westdeutschland, etwa in Nordrhein-Westfalen, aber auch in Hamburg oder Berlin. Daher werde auf solche Autonummern verstärkt geachtet.

Noch am Morgen hätte sich der altgediente Grenzpolizist Jendrossek nicht träumen lassen, dass er die Nachtschicht sowie eine Vielzahl Unterstützungskräfte aus Duderstadt und Ratzeburg - die genaue Stärke ist Dienstgeheimnis - nun doch in die stationäre Grenzkontrolle schickt. Dass der Einsatz kommen könnte, sei zwar immer Thema gewesen in der Inspektion. Den Zeitpunkt habe man so aber nicht absehen können.

Fliegendes Auge, das auch im Dunklen sieht: Diese Drohne des THW aus Dippoldiswalde überwacht den Kontrollbereich aus der Luft.
Fliegendes Auge, das auch im Dunklen sieht: Diese Drohne des THW aus Dippoldiswalde überwacht den Kontrollbereich aus der Luft. © Marko Förster

Dennoch bezeichnet der Polizeiführer seine Einheit als gut vorbereitet. "Wir wissen aufs Stichwort, was wir zu tun haben, was wir brauchen, was wir einsetzen müssen." Die Kontrollstelle am Heidenholz soll in den kommenden Tagen weiter aufgerüstet werden, etwa mit beheizbaren Zelten, vielleicht sogar für ganze Autos, und mit noch mehr Licht.

Schleuser weichen auf Nebenstrecken aus

Das Technische Hilfswerk, dessen Ortsverband Dippoldiswalde die Bundespolizei unterstützt, hat sich darauf eingestellt. Die Beleuchtung des Platzes sei relativ schnell erweiterbar, sagt der Dippser THW-Chef Lars Werthmann. Er hat auch seinen UL-Trupp, UL steht für unbemannte Luftfahrtsysteme, im Einsatz. Die Drohne überwacht den Verkehrsfluss an der Kontrollstelle und sieht selbst im Dunklen, wenn jemand aus einem Fahrzeug springt, um womöglich zu flüchten.

Vorerst am Ende ihrer Reise: Zwei Türken, die ohne Dokumente in einem Reisebus saßen, werden abgeführt.
Vorerst am Ende ihrer Reise: Zwei Türken, die ohne Dokumente in einem Reisebus saßen, werden abgeführt. © Marko Förster

Für die Kontrollen hat Ministerin Faeser zehn Tage angesetzt. Eine Verlängerung sei möglich. Axel Bernhardt, der Pirnaer Direktionssprecher, nennt die kommende Zeit eine Herausforderung, der man sich stelle. "Wir haben die Durchhaltefähigkeit im Blick." Wie weit sie reichen wird? Darauf antwortet er diplomatisch. "So lange, bis das Ministerium die Maßnahme beendet."

Berndhardt rechnet damit, dass die Kontrolle sich bei den Schleusern bald herumspricht. "Die Erfahrung zeigt aber, dass die eine oder andere Feststellung zu machen sein wird." Abgesehen von den sieben Syrern am frühen Montagabend wurden bis zum Mittag des folgenden Dienstags rund vierzig Migranten an der Kontrollstelle aufgegriffen. So wurde eine Gruppe von zehn Syrern eingesammelt, die zu Fuß in der Warteschlange vor dem Rastplatz unterwegs war. Der Schleuser allerdings hatte sich auf bislang unbekannte Weise verdrückt.

Sven Jendrossek erwartet definitiv einen Verdrängungseffekt. Die Menschenschmuggler würden von der Autobahn auf parallele Wege und kleinere Grenzübergänge umschwenken. Dafür gibt es erste Anzeichen. So wurden bis Dienstagmittag Migrantengruppen unter anderem in Rosenthal, Sebnitz und Hellendorf festgestellt, insgesamt mehr als vierzig Personen, allerdings ohne ihre Schlepper.

Umleitungen fahren aber auch die Unbescholtenen, denn die Kontrolle produziert Stau. Am frühen Dienstagnachmittag meldeten GPS-Navigationsdienste etwa 20 Minuten Wartezeit vor der Anschlussstelle Bad Gottleuba und schickten ihre Nutzer teils auf die Landstraße, über Peterswald (Petrovice). Sven Jendrossek von der Inspektion verspricht, die Staulage im Auge zu behalten und wenn möglich den Durchfluss an der Kontrollstelle zu erhöhen. "Da sind wir variabel."