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Nach Flixbus-Unfall auf der A9 bei Leipzig: Alle vier Toten identifziert

Nach dem tragischen Flixbus-Unglück auf der A9 bei Leipzig konnte die Polizei nun auch das vierte Todesopfer identifizieren. Indes laufen die Ermittlungen gegen Fahrer weiter.

Von Erik-Holm Langhof
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Bei dem schweren Flixbus-Unfall sind am Mittwoch vier Menschen getötet worden.
Bei dem schweren Flixbus-Unfall sind am Mittwoch vier Menschen getötet worden. © dpa/Jan Woitas

Wiedemar/Leipzig. Knapp eine Woche nach dem schweren Flixbus-Unglück auf der A9 bei Wiedemar im Kreis Nordsachsen mit vier Toten und mehr als 30 Verletzten bleiben viele Fragen offen. Vor allem in Hinblick auf den Unfallhergang gibt es bislang keine weiteren offiziellen Angaben.

Wie die Polizei am Dienstag aber mitteilt, wurde nun auch das vierte Todesopfer aus dem Flixbus identifiziert. Demnach handelt es sich dabei um eine 43-jährige Frau mit ukrainischer Staatsangehörigkeit. Zu den übrigen Verletzten gab es jedoch keine weiteren Angaben zum Gesundheitszustand.

Wie ist der aktuelle Ermittlungsstand zu dem schweren Unfall am vergangenen Mittwoch? Der Überblick.

Flixbus-Unfall auf A9: Gegen wen und wegen was wird nun ermittelt?

Die Staatsanwaltschaft Leipzig und die Polizei haben nach dem Unfall am Mittwoch die Ermittlungen zum Unfallhergang aufgenommen. Nach Angaben eines Sprechers der Anklagebehörde werde gegen den 62-jährigen Busfahrer mit tschechischer Staatsangehörigkeit wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung in Verbindung mit einem Verkehrsunfall ermittelt. Ob der Mann bereits vernommen wurde, konnte der Sprecher nicht sagen.

Außerdem befragten die Beamten Dutzende Autofahrer und Ersthelfer, die das Unglück miterlebten. Dies werde "noch einige Zeit" in Anspruch nehmen, so eine Polizeisprecherin.

Einem Bericht der "Saarbrücker Zeitung" und der "Bild" zufolge waren in einem weiteren Reisebus hinter dem verunglückten Fahrzeug zufällig mehrere Feuerwehrleute aus dem Saarbrücker Ortsteil Dudweiler unterwegs, die gerade von einem Betriebsausflug in Berlin zurückkehrten. Sie hatten demnach als Ersthelfer die Passagiere des Flixbusses bereits vor Eintreffen der ersten Rettungskräfte nach Verletzungsgrad gruppiert und sie am Fahrbahnrand betreut. Auch sie wurden von den Beamten als Zeugen befragt.

Hinweis: Das Video beinhaltet Informationen mit Stand Mittwoch, 15 Uhr.

Was war die Unfallursache?

Bereits direkt nach dem Unfall nahmen Beamte des Unfalldienstes der Polizeidirektion Leipzig vor Ort Spuren auf und dokumentierten die Unfallstelle aus verschiedenen Perspektiven. Dazu kamen auch Drohnen sowie ein Polizeihubschrauber zum Einsatz. Außerdem befragten sie Zeugen vor Ort.

Derzeit gibt es jedoch noch keine offiziellen Angaben zur Unfallursache. Eine Augenzeugin hatte am Mittwoch gegenüber der LVZ berichtet, dass der Fahrer sich bereits in Berlin verfahren und eine Vollbremsung einlegen musste. Zudem hätten der 62-jährige Busfahrer sowie sein 53-jähriger, slowakischer Kollege mehrfach lautstark während der Fahrt diskutiert.

Führte also ein Streit oder eine Ablenkung zu dem Unfall? Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft wollte dies auf Anfrage am Donnerstag weder bestätigen noch dementieren. Flixbus selbst teilte mit, dass der Busfahrer seine Lenk- und Ruhezeiten eingehalten haben soll.

Was war passiert und wie viele Opfer gibt es?

Bisher steht fest, dass sich der schwere Unfall gegen 9.45 Uhr auf der A9 in Richtung Nürnberg zwischen den Anschlussstellen Wiedemar und dem Schkeuditzer Kreuz ereignete. Einer Polizeisprecherin zufolge kam der Flixbus nach rechts von der Fahrbahn ab und kippte im Seitengraben auf die rechte Seite. Obwohl die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, scheint aber anhand der vorliegenden Spuren klar zu sein, dass der Reisebus allein von der Fahrbahn abkam. Einer Polizeisprecherin zufolge waren keine weiteren Fahrzeuge an dem Unfall beteiligt.

Im verunglückten Bus befanden sich den Behördenangaben zufolge 54 Personen, darunter auch der aus Tschechien stammende Busfahrer (62) und sein 53-jähriger Ersatzfahrer aus der Slowakei. Zunächst teilte Flixbus mit, es seien 53 Passagiere sowie die beiden Fahrer registriert gewesen. Am Abend korrigierte man diese Angabe, laut einer Polizeisprecherin soll ein Reisender doppelt erfasst worden sein. Diese vorübergehende Unstimmigkeit führte ihr zufolge auch dazu, dass die Feuerwehr vor Ort Suchmaßnahmen durchführte.

Die 54 Insassen stammen der Polizei zufolge aus folgenden Ländern: Deutschland (18), Bosnien (1), Syrien (2), Usbekistan (1), Afghanistan (4), Slowakei (1), Russland (1), Peru (2), Türkei (1), Iran (1), Mazedonien (1), USA (2), Neuseeland (1), Polen (2), Ukraine (3), Frankreich (1), Tschechien (1), Indonesien (3), China (2), Kroatien (2), Kanada (1), Indien (2), Schweiz/Italien (1).

Am Abend wurde der Flixbus aus dem Graben gezogen.
Am Abend wurde der Flixbus aus dem Graben gezogen. © dpa/ Sebastian Willnow

Bei dem Unfall am Mittwoch wurden der Polizei zufolge vier Menschen tödlich verletzt. Demnach starben eine 47-jährige Polin, eine 20-jährige Indonesierin mit Wohnsitz in Berlin sowie eine 19-Jährige aus Bayern, wie die Polizei am Donnerstag mitteilte. Eine weitere an der Unfallstelle verstorbene Frau konnte zunächst nicht zweifelsfrei, später aber als 43-jährige Ukrainerin identifiziert werden. Am späten Mittwochabend wurde die Zahl der Toten von fünf auf vier korrigiert. Eine den Beamten zunächst als verstorben gemeldete Person befinde sich in einem lebensbedrohlichen Zustand, teilte ein Sprecher der Polizei mit.

Alle weiteren Insassen wurden in Krankenhäuser gebracht und dort medizinisch begutachtet. Ein Großteil der Personen war unverletzt, 29 Menschen wurden nach ambulanter Versorgung mit leichten Verletzungen wieder aus dem Krankenhaus entlassen, so die Polizei. Allerdings erlitten sechs Personen schwere Verletzungen, die zum Teil sofort operiert werden mussten. Diese würden sich auch weiterhin in stationärer Behandlung befinden.

Ob die Passagiere, alle angeschnallt waren oder nicht, ist bislang unklar. Gesetzlich besteht seit 2006 eine Gurt- und Anschnallpflicht in Reisebussen jedoch EU-weit.

Wie bereiteten sich die Kliniken in Leipzig und Umgebung vor?

Nachdem der Unfall bekannt wurde, wurden unter dem Stichwort "Massenanfall an Verletzten" (MANV) mehrere Krankenhäuser in der Umgebung alarmiert. So seien die Notaufnahmen informiert worden, Operationssäle sowie Diagnostikräume wurden vorbereitet und vorgehalten, sagte ein Sprecher des Diakonissen-Krankenhauses in Leipzig auf Anfrage. Auch andere Kliniken in der Umgebung richteten sich auf bei dem Unglück verletzte Menschen ein.

Wie die "Leipziger Volkszeitung" berichtet, brachten die Rettungsteams elf zum Teil schwerverletzte Passagiere in das Leipziger Universitätsklinikum, im Klinikum St. Georg in Leipzig wurden am Mittwoch zwölf Betroffene behandelt, im Krankenhaus Bergmannstrost in Halle 16 und im Krankenhaus Delitzsch fünf.

An den Rettungsmaßnahmen waren auch mehrere Hubschrauber beteiligt
An den Rettungsmaßnahmen waren auch mehrere Hubschrauber beteiligt © Jan Woitas/dpa
Die Rettungskräfte mussten Dutzende Verletzte versorgen.
Die Rettungskräfte mussten Dutzende Verletzte versorgen. © Michael Strohmeyer
Nach dem Unfall wurde die A9 komplett gesperrt
Nach dem Unfall wurde die A9 komplett gesperrt © Jan Woitas/dpa
Der Verkehr war zuerst in Richtung Nürnberg, später auch in Richtung Berlin gesperrt.
Der Verkehr war zuerst in Richtung Nürnberg, später auch in Richtung Berlin gesperrt. © Michael Strohmeyer
Bei einem Unfall mit einem Reisebus auf der A9 bei Leipzig sind vier Menschen ums Leben gekommen.
Bei einem Unfall mit einem Reisebus auf der A9 bei Leipzig sind vier Menschen ums Leben gekommen. © dpa/Jan Woitas
Am Abend wurde ein Kran zur Bergung des Flixbusses eingesetzt
Am Abend wurde ein Kran zur Bergung des Flixbusses eingesetzt © dpa/ Sebastian Willnow

Vor Ort waren Schätzungen zufolge mehr als 100 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei im Einsatz, darunter vier Rettungshubschrauber und die Schnelle Einsatzgruppe des Rettungsdienstes aus dem Kreis Nordsachsen. Am Diakonissenkrankenhaus Leipzig sei eine Person behandelt worden.

Das St. Elisabeth-Krankenhaus in Leipzig versorgte hingegen keine Unfallopfer, übernahm allerdings Patienten aus der regulären Notfallversorgung, so die LVZ. Rettungswägen seien Uniklinikum an die Klinik im Leipziger Süden umgeleitet worden.

Wie reagierte Flixbus auf den Unfall?

Ein Sprecher des Reiseunternehmen Flixbus bestätigt, dass der verunglückte Bus im Auftrag des Unternehmens von Berlin nach Zürich in der Schweiz unterwegs war. Demnach waren 54 Fahrgäste sowie zwei Fahrer an Board.

"Die genauen Umstände des Unfalls sind noch nicht bekannt. Wir arbeiten selbstverständlich eng mit den örtlichen Behörden und den Rettungskräften vor Ort zusammen und werden alles daran setzen, die Unfallursache schnell und lückenlos aufzuklären", teilt der Sprecher am Mittwoch mit. "Unsere Gedanken sind bei allen von diesem Unfall Betroffenen und ihren Angehörigen."

Der Fahrer des Unglücksbusses soll nach Flixbus-Angaben alle Lenk- und Ruhezeiten eingehalten haben. Er sei um 8 Uhr in Berlin gestartet.

Wie gestaltete sich die Verkehrslage auf der A9?

Die Autobahn 9 in Richtung München war den ganzen Mittwoch über voll gesperrt. Betroffen davon waren nicht nur die nach Süden führenden Spuren, auch das Befahren der Gegenrichtung nach Berlin war zeitweise nicht mehr möglich. Erst gegen 21.30 Uhr konnte die Vollsperrung der Autobahn 9 schließlich aufgehoben werden.

Grund für die lange Sperrung waren die umfangreichen Rettungs- und Bergungsarbeiten, bei denen am Abend auch ein Kran zum Einsatz kam. Am frühen Mittwochnachmittag hatten Spezialkräfte den umgekippten Bus zunächst mit Seilwinden aufrichten können.

Wie reagierte die Politik auf das Unglück?

Bestürzt zeigte sich am Mittwoch Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) über das Busunglück. Sein Ministerium teilte auf X mit: "Meine Gedanken sind bei den Angehörigen der Opfer und Verletzten. Ich danke den vielen Einsatzkräften vor Ort, die schnelle Hilfe leisten."

Ebenfalls über X meldete sich die sächsische Sozialministerin Petra Köpping (SPD) zu Wort: "Ich bin bestürzt über den tragischen Unfall heute auf der A9 in der Nähe von Leipzig. In Gedanken bin ich bei den Opfern und Verletzten sowie ihren Angehörigen. Sie haben mein tiefstes Mitgefühl. Den Verletzten wünsche ich eine schnelle und vollständige Genesung."

Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU, links) und der Leiter der Polizeidirektion Leipzig, Polizeipräsident René Demmler, am Unfallort.
Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU, links) und der Leiter der Polizeidirektion Leipzig, Polizeipräsident René Demmler, am Unfallort. © News5/Grube

Am frühen Nachmittag war auch der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) am Unglücksort eingetroffen. Er war mit einem Zivilfahrzeug mit Blaulicht von Dresden über die Autobahn zur Unfallstelle an der A9 geeilt, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Auch der Leiter der Polizeidirektion Leipzig, Polizeipräsident René Demmler, war vor Ort.

Schuster sprach den Hinterbliebenen der Todesopfer sein Beileid aus, dankte auch den Rettungskräften für ihren professionellen Einsatz. Es sei eine "schwere Lage" gewesen, die "hervorragend gemeistert" worden sei. Er habe in den Gesichtern der Feuerwehrleute gesehen, "wie schwierig diese Szenen waren".

Gegen 14.45 Uhr äußerte sich auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zu dem schweren Unfall. Auf X teilt er mit: "Die schockierende und traurige Nachricht vom verunglückten Bus auf der A9 ist schwer erträglich. Meine Gedanken sind in diesen schweren Stunden bei den Angehörigen und Hinterbliebenen der Todesopfer."

Bundesverkehrsminister Volker Wissing sprach am Mittwochnachmittag ebenfalls den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid aus. "Das lässt uns wirklich sehr betroffen zurück", sagte der FDP-Politiker dem Nachrichtensender "Welt TV". Zudem danke er den Rettungskräften für ihre Arbeit.

"Solche Unfälle sind schockierend. Wir sind in Gedanken bei den Angehörigen der Opfer und natürlich auch bei allen Betroffenen, wünschen den Verletzten eine gute Genesung", so Wissing. Nun gehe es darum, dass die Sicherheitskräfte vor Ort die Sache aufklärten und dass den Menschen geholfen werden müsse, die dringend Hilfe benötigten.

Wo gibt es Hilfe für Opfer, Angehörige und Hinterbliebene?

DiePolizeidirektion Leipzig hat bereits am Mittwoch nach dem Unglück unter der Rufnummer 0341/966-46666 ein Info-Telefon für Hinweise zum Unfallhergang und für Fragen Angehöriger eingerichtet.

Außerdem können sich Betroffene für weiterführende Hilfen an die Opferbeauftragte der Sächsischen Staatsregierung wenden: per Telefon unter 0351/56455099 oder per E-Mail unter [email protected]

Gab es bereits vergleichbare Busunfälle?

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder schwere Reisebusunfälle. So geriet im Mai 2019 ein Reisebus auf der A9 nur wenige Kilimeter weiter an einer Böschung in Höhe des Parkplatzes Bachfurt von der Fahrbahn ab und kippte um. Ein Mensch kam dabei ums Leben, sieben andere Passagiere wurden schwerst verletzt. Und erst Anfang dieser Woche gab es einen weiteren schweren Flixbus-Unfall. Am frühen Montagmorgen war ein Fahrzeug des Unternehmens auf der italienischen Autobahn 1 verunglückt. Dabei kam nach Angaben der Zeitung "Corriere della Sera" ein Passagier ums Leben, sechs weitere wurden verletzt.

Bei einem schweren Unfall mit einem Reisebus sind auf der Autobahn 9 nahe Leipzig mindestens ein Mensch getötet und zahlreiche Menschen verletzt worden.
Bei einem schweren Unfall mit einem Reisebus sind auf der Autobahn 9 nahe Leipzig mindestens ein Mensch getötet und zahlreiche Menschen verletzt worden. © Archiv/Jan Woitas/dpa

Dennoch zählen Busse zu den relativ sicheren Verkehrsmitteln. Der Unfallstatistik zufolge sind sie vergleichsweise selten in Verkehrsunfälle mit Personenschaden involviert. "Dennoch sind Fälle, in denen es zu Unfällen kommt, oft dramatisch, weil die Zahl der Betroffenen hoch sein kann", sagte ein Sprecher des ADAC. 2022 kamen den Angaben zufolge bei Busunfällen innerhalb und außerhalb von Ortschaften insgesamt acht Menschen ums Leben - eine im langjährigen Vergleich nicht ungewöhnliche Zahl.

Der ADAC verwies auf die seit 1999 bestehende Gurtpflicht in Reisebussen. "Ob und wie die einzelnen Unternehmen kontrollieren, ob Insassen angeschnallt sind, ist nicht nachzuvollziehen", sagte der Sprecher. Busreisenden werde grundsätzlich empfohlen, sich anzuschnallen.

Zudem müssen Reisebusse laut ADAC seit 2022 mit einem sogenannten Spurhaltewarnsystem ausgestattet sein. Ob der verunglückte Bus eines hatte, war zunächst nicht bekannt. Ein solches System warnt den Fahrer, verhindert aber nicht das tatsächliche Abkommen von der Fahrbahn, falls er nicht gegenlenkt. (mit dpa)