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Letzter Verhandlungstag im Grünen-Gewölbe-Prozess: Die Stunde der Verteidiger

Im Dresdner Juwelendiebstahl-Prozess sparen die Anwälte der Angeklagten in ihren Plädoyers nicht an Kritik am Vorgehen der Staatsanwaltschaft. Sie habe in großem Maß Vertrauen verspielt.

Von Alexander Schneider
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Seit über einem Jahr müssen sich sechs Männer zwischen 24 und 29 Jahren für den Juwelendiebstahl verantworten.
Seit über einem Jahr müssen sich sechs Männer zwischen 24 und 29 Jahren für den Juwelendiebstahl verantworten. © Archivbild: Jürgen Lösel

Dresden. Auch am letzten Verhandlungstag im Prozess um den Einbruch ins Historische Grüne Gewölbe kommen interessante Neuigkeiten ans Licht. Die meisten Verteidiger der sechs Angeklagten nehmen an diesem Dienstag das Verhalten der Staatsanwaltschaft unerwartet scharf aufs Korn. Allein das ist in einer Hauptverhandlung mit einer Verständigung mehr als ungewöhnlich.

Es könnte jedoch ein Beleg dafür sein, dass die Arbeit der Staatsanwälte auch nach dem Prozess nicht beendet sein wird. Noch immer gibt es mindestens einen unbekannten Mittäter, der bei dem spektakulären Blitzeinbruch am 25. November 2019 mitgewirkt haben muss. Oder gar zwei. Noch immer fehlt Schmuck. Noch immer gibt es namentlich bekannte und unbekannte Mittäter aus dem Umfeld der Angeklagten, gegen die Verfahren laufen.

Die Anwälte von Rabieh Remmo, dem mit 29 Jahren ältesten der sechs Angeklagten, halten das erste Plädoyer. Sie kritisieren etwa, dass das Vorgehen der Staatsanwaltschaft schon nach der ersten „Einlassung“ ihres Mandanten den 29-Jährigen gefährdet habe: Im März vergangenen Jahres hatte Rabieh Remmo eingeräumt, mit weiteren Mitangeklagten in der Nacht vor der Tat auf dem Weg zum Einbruch nach Dresden gewesen und noch in Berlin in einer Verkehrskontrolle der Polizei geraten zu sein.

Einige Wochen nach der Aussage wurde dann ein "verdächtiger" Angehöriger der Großfamilie, Fahrer jenes Autos, am Rande des Prozesses in Dresden verhaftet – angeblich wegen neuer Erkenntnisse aus dem Prozess. Das sei aber falsch gewesen, sagt Verteidiger Toralf Nöding.

"Wochenlang Hass und Anfeindungen"

In der Öffentlichkeit und in der Großfamilie des Mandanten sei der Eindruck entstanden, Rabieh Remmo habe Angehörige belastet: "Unser Mandant war wochenlang Hass und Anfeindungen ausgesetzt." Das habe sowohl ihn als auch die Verteidiger gefährdet. Die Staatsanwaltschaft habe mit ihrer damaligen Pressearbeit "eine rote Linie" überschritten, denn: Es habe keine neuen Erkenntnisse gegeben.

Im Zusammenhang mit der Verfahrensverständigung Anfang Januar musste ihr Mandant erleben, dass er sich nicht auf Zusagen der Staatsanwaltschaft verlassen könne. Zunächst, noch vor Weihnachten, seien ihm nach der Herausgabe des Schmucks fünfeinhalb Jahre in Aussicht gestellt worden, nach der Verständigung seien es sechs Jahre und drei Monate gewesen und zuletzt, Ende März, habe die Staatsanwaltschaft für den 29-Jährigen sogar auf sechs Jahre und acht Monate plädiert.

Die Staatsanwälte hätten etwa wegen einer im ausgebrannten Audi gefundenen Schusswaffe gefordert, die Angeklagten auch wegen Diebstahls mit Waffen zu verurteilen, und versucht, sie als „skrupellose und blutrünstige Tätergruppe“ darzustellen, sagt Nödings Kollege Kai Kempgens. Tatsächlich habe sich ihr Mandant nicht geschont, als er zugab, einer der beiden Täter gewesen zu sein, die im Juwelenzimmer die Vitrine aufgehackt hätten, er den Degen beim Herausreißen zerstört, in der Tiefgarage Kraftstoff im Flucht-Audi verteilt habe, und er zu seinem Motiv bekannt hatte: "Ich wollte Millionär werden."

Kempgens und Nöding fordern eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten für Rabieh Remmo. Sie betonen, wie fast alle anderen Verteidiger auch, in ihren Plädoyers die große Aufklärungshilfe der Angeklagten. Ohne die Herausgabe eines Großteils der Beute wäre der Schmuck niemals wieder ins Grüne Gewölbe zurückgekehrt. Die Staatsanwälte jedoch hätten mit ihren vielen Nachfragen und ihren Versuchen, den Deal zu torpedieren, den Prozess unnötig verzögert.

Bereits ein Drittel der Strafe verbüßt

Die Verteidiger von Wissam Remmo (26) fordern fünf Jahre und neun Monate und hoffen, dass ihr Mandant aufgrund seiner Kokain-Sucht in eine Entziehungsanstalt kommt.

Für Mohamed Remmo plädieren die Anwälte auf eine Jugendstrafe von vier Jahren und kritisieren die lange Untersuchungshaft von zwei Jahren und fünf Monaten – obwohl der 24-Jährige im Begriff gewesen sei, sich zu stellen, sagt Verteidigerin Ines Kilian. Mohameds Zwillingsbruder Abdul Majed – die Staatsanwaltschaft hält ihn für einen Mittäter – hatte selbst eine Beihilfe gestanden, indem er die Äxte und anderes Werkzeug für die Tat in Baumärkten gestohlen habe, er selbst aber nicht dabei gewesen sei. Seine Anwälte kritisieren die lange U-Haft und fordern für ihn eine Jugendstrafe von dreieinhalb Jahren, in der eine frühere Bewährungsstrafe aus Berlin schon enthalten sei.

Die Staatsanwaltschaft hält ihn für einen Mittäter, unter anderem weil er wegen Diebstahls vorbestraft ist, weil auch DNA-Mischspuren von ihm gesichert worden seien - und weil Abdul Majed auch mit Rabieh Remmo in dem VW Golf gesessen hatte, der am Tag vor dem Einbruch nachts um 23 Uhr von der Polizei einer Verkehrskontrolle unterzogen worden war.

Der 24-Jährige hatte gesagt, er habe nach der Kontrolle die Gruppe verlassen. Für seine Verteidiger ist die Anwesenheit bei der Kontrolle kein Indiz: Der Fahrer des VWs sei schließlich auch nicht mit nach Dresden gekommen. Nach der Kontrolle habe der Fahrer die drei Insassen abgesetzt. Statt Abdul Majed sei sein Zwillingsbruder Mohamed hinzugestoßen und die drei seien nach Mitternacht zu ihren Tatfahrzeugen, dem Audi S6 und dem Mercedes E 500 in Taxi-Verkleidung aufgebrochen, wo sie sich auch mit den drei weiteren Tätern trafen.

Mangelnde "Fehlerkultur"

Carsten Brunzel, Verteidiger von Bashir Remmo (27), verzichtet in seinem Mini-Plädoyer auf einen Strafvorschlag: "Es ist alles gesagt." Verteidiger Andreas Boine vertritt Ahmed Remmo (25), der ein Alibi hat und mit Freispruch rechnen kann. Boine kritisiert eine mangelnde „Fehlerkultur“ der sächsischen Ermittler. "Ohne jeden Verdacht" sei sein Mandant, der derzeit wie Wissam eine viereinhalbjährige Jugendstrafe für den Diebstahl der Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum absitzt, angeklagt worden. Tatsächlich gab es offensichtlich wenig Belastendes: zwei DNA-Mischspuren in dem von den Angeklagten genutzten Mercedes und "Hinweise" sogenannter Mantrailer-Hunde, mit denen die Polizei mehr als ein Jahr später in Dresden "schnüffeln" war.

Schon im vergangenen Sommer hatten zwei Sachverständige in der Hauptverhandlung die Geruchsindizien vernichtend begutachtet, später teilte auch die Kammer mit, diese Hinweise nicht zu berücksichtigen. Ahmed Remmo war am Morgen vor der Tat in der Notaufnahme einer Klinik in Berlin-Neukölln: Um 0.40 Uhr sei laut Boine Ahmeds Krankenkassen-Karte eingelesen worden, um 0.43 Uhr habe er sich im Wartebereich fotografiert, um 2.46 Uhr sei die Behandlung an jenem 25. November 2019 beendet gewesen. Anschließend habe sein Mandant am Wohnhaus seiner Freundin einen Schlüssel in ihren Briefkasten geworfen. Auch die Staatsanwaltschaft hatte für Ahmed Remmo einen Freispruch gefordert.

In ihrem sogenannten letzten Wort schließen sich manche Angeklagte ihren Anwälten an oder bitten um eine milde Strafe. Wissam Remmo spricht etwas länger und sagt, "ich bin froh, dass die Juwelen zurückgegeben werden konnten." Auch er habe alles dazu getan, was ihm möglich gewesen sei. Er begründete seine Beteiligung mit seiner Drogensucht, die dazu geführt habe, dass er sich "von anderen Problemen abhängig gemacht" habe. Er habe sich wegen seiner Sucht bei Familie und Freunden verschuldet. Die Haft setzte ihm zu, er sei psychisch am Ende: "Ich bin ein Wrack."

Der Kunstdiebstahl aus Sachsens Schatzkammermuseum am 25. November 2019 gilt als einer der spektakulärsten in Deutschland. Die Täter erbeuteten 21 Schmuckstücke aus Diamanten und Brillanten im Gesamtwert von über 113 Millionen Euro und verursachten mehr als eine Million Euro Schaden.