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Grünes Gewölbe: Wer zahlt für die verlorenen Diamanten?

Der Freistaat Sachsen verlangt nach dem Einbruch in das Grüne Gewölbe rund 89 Millionen Euro von den Tätern. Doch eine rasche Lösung ist nicht in Sicht.

Von Karin Schlottmann
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Da waren sie noch da: Die Juwelen im Grünen Gewölben, die der Remmo-Clan später stahl.
Da waren sie noch da: Die Juwelen im Grünen Gewölben, die der Remmo-Clan später stahl. © SKD/David Brandt

Trotz der Rückgabe von Teilen der gestohlenen Schmucksammlung aus dem Grünen Gewölbe hinterlässt der Einbruch einen enormen finanziellen Schaden.

Vertreter des Freistaats haben vor dem Landgericht Dresden ihre Gesamtforderung mit fast 89 Millionen Euro angegeben. Sie beantragen, dass die Jugendkammer die Angeklagten auch zur Zahlung von Schadensersatz in dieser Höhe verurteilt.

Wie realistisch ist es, dass die Angeklagten diese Summe aufbringen?

Über die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Remmo-Clans ist naturgemäß nicht viel bekannt. Offiziell verfügen die Angeklagten nur über ein geringes Einkommen. Im Strafprozess war die Rede von Ausbildungsverträgen beziehungsweise Hartz-IV-Bezügen. Ein Gerichtsurteil hätte den Vorteil, dass es 30 Jahre lang vollstreckbar wäre. Sollten die Angeklagten nach einer Verurteilung durch feste Arbeitseinkommen oder Erbschaften zu Geld kommen, könnte der Freistaat mithilfe eines Gerichtsvollziehers Einnahmen pfänden – 30 Jahre lang. Dass am Ende die geschätzte Schadenssumme von 89 Millionen Euro auch nur annähernd zusammenkommt, ist unrealistisch.

Wie wird das Strafgericht auf die Forderung reagieren?

Geldforderungen werden in der Regel vor einem Zivilgericht geltend gemacht. Im Strafrecht gibt es eine Ausnahme: Opfer von Straftaten können im Prozess gegen den oder die Täter einen sogenannten Adhäsionsantrag stellen. Das heißt, die Strafrichter entscheiden in ihrem Urteil gegen den Angeklagten auch über die Schadensersatzforderung. Das Opfer einer Vergewaltigung oder einer Körperverletzung beispielsweise kommt auf diese Weise schneller und einfacher zu seinem Recht auf Schmerzensgeld. Das Risiko eines Zivilrechtsstreit bleibt ihm dadurch erspart. In der Praxis kommt dies aber selten vor. Es ist schwer vorstellbar, dass die Richter den Remmo-Prozess mit einer komplizierten Wertermittlung von Schmuckstücken, die vor allem kunsthistorische Bedeutung haben, zusätzlich erschweren wollen.

Wie würde der Schaden in Sachsen überhaupt bemessen werden?

Genau hier liegt das Problem der Forderung, die die Vertreter des Landesamtes für Steuern und Finanzen im Verfahren vorgetragen haben. Eine seriöse Begutachtung der durch die Diebe beschädigten Schmuckstücke und die Wertermittlung der verschwundenen Diamanten würde viel Zeit in Anspruch nehmen. Die von den Staatlichen Kunstsammlungen genannte Versicherungssumme in Höhe von 117 Millionen Euro muss nicht unbedingt mit dem Marktwert identisch sein. Dieser Punkt ist jedenfalls höchst umstritten.

Mitarbeiter des Museums sind als Zeugen gehört worden, sie gelten aber nicht als unabhängige Sachverständige. Der Freistaat hat dem Gericht einen Gutachter eines internationalen Auktionshauses benannt, der in der Lage wäre, einen sogenannten „Freiverkaufspreis“ oder einen bei Auktionen üblichen Mindestwert zu bestimmen. Das allerdings würde einige Zeit in Anspruch nehmen. Dass das Gericht eine Verzögerung des Verfahrens in Kauf nehmen möchte, ist nicht sehr wahrscheinlich. Wenn es den Antrag aus diesen Gründen für ungeeignet hält, kann es den Antrag ablehnen.

Wie begründet der Freistaat die Höhe der Forderung auf Schadensersatz?

Die Forderung setzt sich zusammen aus dem Wert der verschwundenen Diamanten, der Wiederherstellung der beschädigten Schmuckstücke sowie aus den Reparaturen im Schloss. Die Behebung von Schäden an Fenstern und Vitrinen gibt das Museum mit 315.922 Euro an. Mit dem von den Dieben abgerissenen Teil des Brillantkolliers und der Großen Brustschleife der Königin Amalie Auguste sowie der Epaulette mit dem „Sächsischen Weißen“, einem großen Brillanten von knapp 50 Karat, fehlen weiterhin drei prominente Stücke.

Hätte der Weg über ein Zivilgericht bessere Erfolgsaussichten?

Das Adhäsionsverfahren hat aus Sicht des Freistaats den Vorteil, dass die im Zivilprozess üblichen Anwalts- und Gerichtskosten entfallen. Bei dem enorm hohen Streitwert, der sich aus der Klageforderung ergibt, müsste sich das Land auf ein Prozessrisiko von schätzungsweise einer Million Euro einstellen, sagen Experten. Die Gefahr, dass das Land am Ende auf diesen Kosten sitzen bleibt, ist hoch.

Warum hat die Behörde ihren Antrag auf Ausgleich erst jetzt gestellt?

Grundsätzlich kann der Adhäsionsantrag bis zum Beginn der Plädoyers gestellt werden. Die Staatlichen Kunstsammlungen und das Landesamt für Steuern und Finanzen begründen ihr Zögern damit, dass sie den Strafprozess zunächst beobachten wollten, um ihre Forderung auf eine sichere Grundlage zu stellen. Eine Schadenserhebung sei ohnehin erst nach der Teilrückgabe der Schmuckstücke möglich gewesen, teilten beide Institutionen mit.

Das Timing ist auch einer der Hauptkritikpunkte der Verteidiger. Der Antrag auf Schadensersatz sei in diesem Prozess nicht nur unpassend, sondern auch viel zu spät gestellt worden, sagte Carsten Brunzel, Rechtsanwalt in Dresden und einer der Verteidiger.

Müssen die Angeklagten nicht für den Schaden gerade stehen?

Es gibt die Möglichkeit, Vorteile, die aus einer Tat erlangt wurden, einziehen zu lassen. Das wäre in erster Linie die Beute beziehungsweise ein entsprechender Wertersatz, also ein Geldbetrag. Zuständige Behörde für die Vollstreckung ist die Staatsanwaltschaft. Jürgen Schmidt, Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden, sagte, die Vollstreckung sei nicht auf Wertgegenstände beschränkt, die zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung auffindbar oder vorhanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass die Entscheidung über die Einziehung auch abgetrennt und später getroffen werden kann, um Verzögerungen zu vermeiden.