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Ein Jahr "Heibo"-Besetzung: Was denken die Beteiligten heute?

Vor einem Jahr hat die Polizei ein besetztes Waldstück unweit von Dresden geräumt. Die Bäume des "Heibo" sind verschwunden, die Sorgen von Naturschützern nicht.

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Polizisten räumen im Februar 2023 ein Baumhaus der Initiative "Heibo bleibt".
Polizisten räumen im Februar 2023 ein Baumhaus der Initiative "Heibo bleibt". © SZ/Veit Hengst

Ottendorf-Okrilla. Die Kettensägen sind seit Langem verstummt, die Harvester haben ganze Arbeit geleistet. Als am 15. Februar 2023 die Polizei ins Waldstück Heidebogen unweit von Dresden einrückte, um Umweltaktivisten aus ihren Baumhäusern zu holen und das Areal für wirtschaftliche Nutzung freizumachen, wurde dem Ort Ottendorf-Okrilla überregional Aufmerksamkeit zuteil.

Erst wenige Tage zuvor hatten Proteste gegen den Kohleabbau in Lützerath in Nordrhein-Westfalen tagelang die Schlagzeilen dominiert. Im Heibo - wie das Waldstück genannt wird - ging es aber nicht um Kohle, sondern um Kies.

Ein Jahr später fallen die Bewertungen Beteiligter höchst unterschiedlich aus. Der Informatiker Steffen Schwigon hat damals über Anwälte juristische Schritte gegen die Räumung ausgelöst und Eilanträge stellen lassen. "Der Heibo verkörpert alles, was Umweltaktivisten verzweifeln lässt", sagt der 51-Jährige im Rückblick. Es sei ein Irrsinn, wie entgegen jeglicher fachlicher Bewertung sensible Natur und bedrohte Arten einfach ignoriert würden und Engagement abgewiegelt werde. "Egal, was man dagegen tut: Es geht mit der Zerstörung weiter. Diese Verzweiflung kommt in dem Wort Heibo zum Ausdruck."

Schwigon, der als zweifacher Vater auch bei der Bewegung Parents for Future aktiv ist, listet all die Bemühungen zum Erhalt des Heidebogens auf. "Wir haben damals viel gemacht - von Demonstrationen über Petitionen bis hin zu Ortsbegehungen schon im Vorfeld." Man habe versucht, die Räumung zu verhindern, sei aber auf Willkür gestoßen. "Als wir Akteneinsicht bekamen, war klar, dass die Räumung schon lange beschlossene Sache war. Gründe wie die Einhaltung des Brandschutzes in dem Waldstück waren nur vorgeschoben."

Vor einem Jahr wurde die "Heibo"-Besetzung beendet.
Vor einem Jahr wurde die "Heibo"-Besetzung beendet. © Kristin Richter

Dennoch behält Schwigon nicht nur ein Ohnmachtsgefühl in Erinnerung: "Man macht trotzdem weiter, gibt nicht auf." Diesen Rest an Hoffnung beziehe er auch aus dem Wissen, dass damals alle an einem Strang gezogen haben - die Aktivisten im Wald genauso wie engagierte Menschen bei Demonstrationen oder die Umweltverbände mit ihren Stellungnahmen. "Ich bin verzweifelt, fühle aber auch eine Verpflichtung, nicht aufgeben zu dürfen. Das Recht ist aufseiten der Natur, aufseiten der Aktivisten."

Die Landschaftsarchitektin Elisabeth Lesche ist so etwas wie das gute Gewissen des Naturschutzes im Heibo. Schon vor der Waldbesetzung hat sie für den Erhalt der Natur hier gekämpft. Der Protest gegen die Rodung des Waldstückes habe die Aufmerksamkeit auf das Problem und das Anliegen der Bürgerinitiative insgesamt gelenkt, ist sich Lesche sicher. Bis dahin habe das Kieswerk im sächsischen Hinterland ungehindert etwas machen können, was im Westen nie und nimmer möglich gewesen wäre.

Viele hätten den Eindruck, im Heidebogen wäre die Messe gelesen, sagt Lesche. Dem sei aber mitnichten so. Das Camp habe seinerzeit etwa auf einer Fläche von sechs Hektar existiert - auf weniger als fünf Prozent der geplanten Abbaufläche. "Es geht um insgesamt 128 Hektar Wald. Das heißt, alle ein paar Jahre wird immer wieder eine Fläche in der Größenordnung vom Februar 2023 gerodet. Da werden artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigungen durchgewunken und Bedenken von Fachbehörden ignoriert."

Lesche macht geltend, dass 85 Prozent des Abbaugebietes in einer Trinkwasserschutzzone liegen. Schon heute würden sich die Blicke auf ein weiteres Gebiet richten, für das seit 2019 die Planfeststellung läuft: Würschnitz-West. Lesche hat wie andere die Befürchtung, dass der aktuelle Kiesabbau wie eine Blaupause für künftige Pläne wirken soll. Das von den Grünen geführte sächsische Umweltministerium hatte immer wieder betont, bei Beachtung von Schutzmaßnahmen seien Moorschutz und Kiesabbau vereinbar.

Naturschützer widersprechen dem. Stoffe aus den nicht abgedichteten Kippen würden in das Grundwasser und in die Schutzgebiete gelangen, heißt es immer wieder. Das sei den Behörden auch bekannt. Das Monitoring sei fehlerhaft, dient aber als Argument für den weiteren Abbau. Lesche vermag beim Kieswerk Kieswerk Ottendorf-Okrilla (KBO) kein verändertes Verhalten festzustellen. Was im Heidebogen passiere, sei "absoluter Irrsinn".

Kieswerk: Jeder von uns benötigt Kies und Sand

Das KBO verweist auf Maßnahmen im Dienste des Artenschutzes. Man habe Tiere umgesiedelt und Ersatzhabitate geschaffen. Bevor Eingriffe in den Boden erfolgten, würden die Flächen kontrolliert, berichtet KBO-Sprecherin Julia Schönfeld. Inzwischen habe man den Oberboden entfernt. Schönfeld räumt ein, dass die Proteste gegen den Kiesabbau die Mitarbeiter nicht unberührt ließen. "Es lässt sich nicht leugnen, dass es betroffen macht, wenn die eigene Arbeit als etwas Schlechtes dargestellt wird, obwohl es sich um die Grundversorgung unserer Gesellschaft handelt."

Denn das Land wolle weiter mit Rohstoffen für den Alltag versorgt sein. "Ob Straßen, Krankenhaus oder im Eigenheim: Jeder von uns benötigt Kies und Sand. Und zwar im Durchschnitt jeder von uns ein Kilogramm pro Stunde", rechnet Schönfeld vor. Erfreulicherweise gebe es weitere Vorkommen in der Nähe, man müsse die Rohstoffe nicht aus dem Ausland kommen lassen. "Hier wissen wir, unter welchen Bedingungen der Sand und Kies abgebaut wird. Somit können kurze, umweltfreundliche Lieferwege und Rohstoffe für die heimische regionale Wirtschaft zu günstigen Preisen garantiert werden."

Fahrzeuge vom Staatsbetrieb Sachsenforst bei der Rodung des zuvor besetzten Waldstücks
Fahrzeuge vom Staatsbetrieb Sachsenforst bei der Rodung des zuvor besetzten Waldstücks © dpa/Sebastian Kahner

Steffen Schwigon wirft dem Kieswerk und Behörden indes eine "Salami-Taktik" vor. Scheibchenweise seien immer wieder vollendete Tatsachen geschaffen worden. Der 51-Jährige wünscht mehr öffentlichen Beistand. Der könnte sich etwa in Spenden für die Bürgerinitiative ausdrücken. "Die Leute müssten dann nicht mehr nur ihre eigene Energie aufbringen, sondern könnten Anwälte beauftragen." Man habe zwar ein Moor verloren, aber auch Zeichen gesetzt. Das Kieswerk könne nicht mehr so ungehindert buddeln wie bisher und Schutt einfach im Erdreich versenken.

Linke-Politikerin Antonia Mertsching, die im Landtag immer wieder Anfragen zum Heidebogen stellt, wirkt ernüchtert. Fortschritte für den Naturschutz in der Gegend kann sie nicht erkennen. "Nein, denn die Behörden verfolgen weiter vor allem das Interesse des Unternehmens. Das Gemeinwohl - Grundwasserschutz, Artenschutz, Moorschutz - wird nachrangig behandelt. Ministerium und Oberbergamt kneifen beide Augen fest zu, obwohl die Verkippungen seit den 1990er-Jahren schon nachweislich die Moore geschädigt haben".

Für die Waldbesetzer blieb ihr Handeln nicht folgenlos. Laut Görlitzer Staatsanwaltschaft gab es bisher drei Verurteilungen zu Geldstrafen. Drei weitere Verfahren seien eingestellt worden, offen noch zwei Verfahren gegen eine Frau und einen Mann. Einen anderen Fall machte das "Solidaritätskomitee zur Heibo-Räumung" kurz vor Weihnachten publik. Demnach verhängte das Amtsgericht Bautzen sechs Monate Haft auf Bewährung gegen eine junge Frau. Sie hatte sich bei dem Protestcamp auf einer Baumplattform angekettet.

Leute wie Elisabeth Lesche möchten nicht klein beigeben und bleiben entschlossen: "Jeder Quadratmeter, der nicht abgebaut wird, ist ein Gewinn. Es gibt noch gut 120 Hektar, für die ich mich einsetzen kann. Wir werden keine Ruhe geben." (dpa)