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Wie ein Dresdner Schmied die Wende erlebte

Wer Bewährtes bewahren will, eckt an. Das war früher so. Und ist heut’ nicht anders. Hier erzählt der Dresdner Schmied Wolfram Ehnert vom Glück, sich nicht anzupassen.

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Schmied Wolfram Ehnert in seiner Schmiedewerkstatt im Schönfelder Hochland.
Schmied Wolfram Ehnert in seiner Schmiedewerkstatt im Schönfelder Hochland. © Ronald Bonß

Ich bin Jahrgang 1956, Dresdner und Handwerker. Gemeinsam mit meiner Familie habe ich mir ein Refugium geschaffen. Das ist der Kastanienhof, ein über 200 Jahre alter Dreiseitenhof mit Fachwerkwohnhaus, Schmiede, Ferienwohnung und Scheune. Hier arbeite ich und gestalte Metall. Hier lebe ich mit meiner Frau und meinen Kindern. Wann immer es geht und wir die Kraft dazu haben, organisieren wir kleine Veranstaltungen – Lesungen, Konzerte, Liederabende oder Aktionen um das Handwerk. Der Hof ist für dieses Konzept ein idealer Platz.

Ich war 17 Jahre alt, als ich hierher kam. Es schmerzte mich, zu sehen, wie verfallen dieses Anwesen war, wie verfallen viele alte Häuser in Dresden waren. Im Schönfelder Hochland nahm ich diesen Verfall besonders wahr, und ich wusste, dass das nicht gut war. Ich wollte mich einbringen.

So wurden anfängliche Hilfsaktionen, um den Verfall des hofes zu stoppen, zur festen Freizeitgestaltung. Fotodokumentationen von sächsischer Baukultur, die ich im Schönfelder Hochland in dieser Zeit anfertigte, sollten den Anstoß begründen, eine Alternative für den damaligen VEB Denkmalpflege zu schaffen, die später in der Gründung des Baubundes Sachsen kulminierte. Eines der ersten Projekte dieser Zeit war der Glockenspielpavillon unterhalb des Japanischen Palais in Dresden.

Wolfram Ehnert beschäftigt zehn Mitarbeiter in dem Familienunternehmen beschäftigt, inklusive seiner Frau und Sohn.
Wolfram Ehnert beschäftigt zehn Mitarbeiter in dem Familienunternehmen beschäftigt, inklusive seiner Frau und Sohn. © Ronald Bonß

Die Frage, warum ich das eigentlich tat, kann ich nur so beantworten: Ich ertrug es nicht, dass dieses Kulturgut einfach so verkommen sollte. Es regte sich in mir ein ungutes Gefühl. Das hat sich bis heute nicht geändert, obwohl längst viele der Höfe saniert wurden, ich inzwischen 65 Jahre alt bin und mein Handwerk nach und nach an meinen Sohn übergebe.

Ich denke, meine Großmutter war es, die mir zuerst die Ahnung vermittelte, dass die Kultur, die uns umgibt, etwas Wichtiges, etwas Unverzichtbares ist. Sie arbeitete als Hutmacherin, las mir Gedichte von Goethe, Schiller und Franz Grillparzer vor. „Gebeugt erst zeigt der Bogen seine Kraft“, das ist so ein Satz von ihm.

Mein Vater verdiente sein Geld als Grafiker. Seine Auftraggeber waren hauptsächlich die Staatlichen Kunstsammlungen und die Meissner Porzellanmanufaktur. Mit Plakaten, Katalogen und Ausstellungen war er eng im Thema der sächsischen Kultur verbunden. So lernte auch ich wohl, Zeit zu spiegeln und das, was mich umgab zu reflektieren.

"Ich stand immer irgendwie unter Verdacht"

Das hat sich nicht geändert. Zum Beispiel, als eines Tages die Lehrerin meiner Tochter im Kreuzgymnasium stolz verkündete, Schiller werde im Deutschunterricht abgewählt, fragte ich mich: Ist das eine Agenda? Diese Frage kommt immer auf, wenn ich erlebe, wie flach die Wurzeln zu unserer Kultur geworden sind.

Ich selbst durfte damals nicht an die Erweiterte Oberschule, weil die Jugendweihe für mich nicht in Frage kam. Meine Aufnahme in den Kreis der Erwachsenen wurde mit der Konfirmation besiegelt. Da gab es keinen Kompromiss, Schon gar nicht bei Erpressungsversuchen. Als Christ in der DDR nahm ich zunehmend wahr, wie vor allen einige Lehrer, mir mit Misstrauen begegneten. Ich stand immer irgendwie unter Verdacht. Zum Beispiel durch den Widerspruch zu damals gültigen Lehrmeinungen. Luther wurde beispielsweise als Bauernverräter herausgearbeitet oder die Familie galt als kleinste Zelle in der Gesellschaft, als eine unberechenbare reaktionäre Kraft, die aufgehoben werden sollte. Ich lernte sehr früh, genau hinzuhören, zu vergleichen, Verlautbarungen zu hinterfragen und entwickelte ein Gespür dafür, wenn jemand etwas unbegründet ins Lächerliche zog.

Es muss in der 8. Klasse gewesen sein, dass sich eine meiner Lehrerinnen abfällig über die Familie äußerte. Das wollte ich so nicht stehen lassen und begann unter meinen Mitschülern eine Umfrage. Ich fertigte mit dem Stich von Ludwig Richter zum Lied „Der Mond ist aufgegangen“ eine Art Umfragebogen. Auf dem Bild sitzen Vater, Mutter und Kinder beisammen und sehen nach oben in den Himmel. Ich dachte an die Liedzeilen: „Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön. So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn.“ Das Ergebnis meiner Befragung: Familie ist schön und wichtig; aber offenbar nur unter den Schülern.

Wolfram Ehnert lernte in der Dresdner Kunstschmiede Bergmann sein Handwerk.
Wolfram Ehnert lernte in der Dresdner Kunstschmiede Bergmann sein Handwerk. © Ronald Bonß

Das war auch die Zeit, in der ich Volkslieder zu sammeln begann. Ich erstelle ein eigenes Liederheft. Viele der Lieder, die ich zusammentrug, die sangen wir in der Schule nicht. Ich wollte diese Lieder vor dem Verschwinden bewahren. Wir singen sie bei uns auf dem Hof, wenn ich mich mit der Familie und Freunden treffe. Wir sitzen dann am Lagerfeuer und singen. Im Radio höre ich heute dagegen fast nur noch englische Texte. Ich verstehe nicht, warum das eigene Liedgut nicht gepflegt wird.

Als ich 1970 nach der Schule eine Lehre beginnen wollte, sollte mein Jahrgang der erste sein, der nur noch in der Industrie lernen durfte. Dadurch sollte das Handwerk „ausgetrocknet“ werden. Der Schiedemeister Bergmann wollte mich ausbilden, durfte aber nicht. Das wollte ich so nicht hinnehmen. Also ging ich mit meinen Zeugnissen ins Dresdner Rathaus, um nachzufragen, warum der Staat so etwas beschlossen hat. Ich lief von Bürotür zu Bürotür, und trug meine Frage vor. An der zehnten Tür öffnete ein Mann, der dann meinte, dass das interessant wäre und er versuchen wollte, mir zu helfen. 14 Tage später hatte ich dann wirklich einen Brief im Kasten, in dem ich von der Industrie ins Handwerk delegiert werden sollte.

So lernte ich doch noch in der Dresdner Kunstschmiede Bergmann mein Handwerk. Am Anfang bemerkte ich, wie mich die alten gestandenen Handwerksmeister skeptisch ansahen. Ich schien plötzlich wieder verdächtig zu sein. Mich hatte ja einer aus dem Rathaus dahin delegiert, vielleicht war ich einer von „Horch und Guck“.

Mitten in der Werkstatt lodert das Feuer, um das Eisen zu erweichen, an den Wänden hängen Hämmer, Zangen, Klammern, Stangen, um das Metall in Form zu bringen.
Mitten in der Werkstatt lodert das Feuer, um das Eisen zu erweichen, an den Wänden hängen Hämmer, Zangen, Klammern, Stangen, um das Metall in Form zu bringen. © Ronald Bonß

Nebenbei werkelte ich weiter auf dem Hof in Bühlau, investierte das wenige Geld, was ich hatte in Baumaterial. Eines Tages besaß ich noch exakt zwei Mark. Ich nahm die Hälfte meines Vermögens und kaufte mir an einem Stand der Zwinger-Lotterie ein Los. Ich zog eine Niete. Das sah ich als Fingerzeig, dass nur mit ehrlicher Arbeit etwas zu bewerkstelligen sei. Am nächsten Tag kam der Meister zu mir, und fragte, ob ich nach Feierabend Weinheber herstellen könnte. Ich durfte sie selber entwerfen, hatte große Freude daran, verdiente Geld und begriff, dass ich selber etwas gestalten kann. Zehn Jahre arbeitete ich bei Bergmann als Geselle, bis ich mich 1985 selbstständig machte.

Meine Eltern warnten mich davor, in der Mangelwirtschaft ein eigenes Gewerbe aufzubauen. Ich war aber naiv genug, es dennoch zu tun. Ja, ich bin ein unerschütterlicher Idealist. Ich baute den Hof weiter auf, erwarb aus Abrisshäusern das dafür notwendige Baumaterial, vor allem Holzbalken und Sandsteine.

Freunde meinten, sie würden ihre Heimat verlassen, weil sie es nicht mehr aushielten. Ich versuchte sie davon abzuhalten. Ich meinte, wir dürften dieses großartige Land, das Land der Reformation, das Land mit so unendlich viel Kulturgut nicht den Kommunisten überlassen. Es brauche Platzhalter, um zu erhalten, was noch da ist. Wir dürfen unsere Wurzeln nicht aufgeben, meinte ich und meine es noch immer. Der Mensch muss bei sich bleiben und seine eigene schöpferische Kraft nutzen. Ich blieb, arbeitete weiter, verwirklichte mein Ideal, sich den Dingen respektvoll zu nähern, ihre Möglichkeiten zu erkennen und sie zu gestalten. Meine Arbeit braucht Sinnhaftigkeit. In dieser Bewegung konnte ich in diesem System leben, ohne mich darin zu integrieren.

Wolfram Ehnert mit einem Angestellten in seiner Schmiedewerkstatt.
Wolfram Ehnert mit einem Angestellten in seiner Schmiedewerkstatt. © Moment Photo

Kurz vor dem Mauerfall bekam ich ein Stipendium für eine Ausbildung als Handwerker im Denkmalschutz in Venedig. Am Tag der Wiedervereinigung war ich dort und wollte mit meinen westdeutschen Kollegen feiern. Aber keiner feierte mit. Das konnte ich nicht verstehen. Es wurde mir erst im Nachhinein klar, warum das so war.

In den 1990er-Jahren arbeitete ich viel im Auftrag des Freistaats. Wir waren beteiligt an der Sanierung des Dresdner Residenzschlosses oder des Finanzministeriums. Ich dufte mitarbeiten bei der Restaurierung der Epitaphe in der Kreuzkirche aus Fundstücken der abgerissenen Sophienkirche, an der Brücke Schloss Hofkirche und vielem mehr. Aber es sind auch kleine, feine Metallarbeiten wie beispielsweise meine Lesezeichen mit der Jahreslosung der Herrnhuter Brüdergemeine, die mir Freude bereiten.

Relativ früh in der zweiten „Gründerzeitphase“ lernte ich, mich von den großen Bauträgern zu trennen und eroberte mir so nach und nach den privaten Auftraggeber. Hier konnten meine Entwürfe und Erfahrungen einfließen und waren nicht von schlechter Zahlungsmoral oder fehlender Fachkompetenz gefährdet.

Die von der EU initiierten Bestrebungen der Zertifizierung der Betriebe teile ich als Metallgestalter nicht. Kreatives Handwerk, das in der Eigenverantwortung wachsen will und muss, darf seine Kompetenzen nicht abgeben.. Ich weiß auch nicht, wer dazu berufen ist, andere zu zertifizieren und welcher Maßstab dafür gelten sollte. Kann denn überhaupt die schöpferische Arbeit reglementiert werden? Zertifizierung ist aus meiner Sicht Gift für individuell geschaffene Produkte. Ich möchte auch weiterhin gesund und ungelenkt mein Feld bestellen. Kann sein, ich bin nach wie vor dieser naive Idealist, dieser philosophische Christ, der sich verdächtig macht. Ich singe meine Lieder weiter, bleibe hier und mache mich nicht schuldig.

Notiert von Peter Ufer