Sachsen
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Sachsen ist spitze – wir müssen nur wollen

Bei den anstehenden Wahlen wird entschieden, in welche Richtung sich Sachsen entwickelt. Seine Probleme wird das Land aber nur auf eine Art lösen. Ein Kommentar.

Von Tobias Winzer
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Das geplante Zentrum für Astrophysik in Görlitz gehört zu den Hoffnungsträgern für Sachsens Wirtschaft.
Das geplante Zentrum für Astrophysik in Görlitz gehört zu den Hoffnungsträgern für Sachsens Wirtschaft. © Visualisierung: DZA

Drei mutmachende Nachrichten aus den vergangenen Monaten: Der ehemalige Braunkohle-Konzern Leag will in Boxberg das größte Energiezentrum Ostdeutschlands errichten – mit neuen Wasserstoff-Kraftwerken. In Dresden macht sich die Firma Sunfire mit Investorengeld von 500 Millionen Euro auf den Weg, zum Vorreiter der grünen Wasserstoffindustrie zu werden. Und die Firma Altech treibt in Schwarze Pumpe ihre Pläne voran, leistungsfähigere Akkus für Autos und die Großindustrie zu produzieren.

Mit den Kommunalwahlen in gut einem Monat und den Landtagswahlen in knapp vier Monaten stimmt Sachsen auch darüber ab, wie sich der Freistaat gegenüber den großen Umwälzungen unserer Zeit verhalten soll. Wörter wie Energie- und Verkehrswende lösen bei vielen Abwehrreaktionen aus. Dabei liegt im Wandel eine riesige Chance für Sachsen. Er sorgt dafür, dass aus einer Region wie der Lausitz endlich mal wieder gute Nachrichten kommen.

Doch nicht nur die erfreulichen Nachrichten aus der Wirtschaft – wozu auch die TSMC-Ansiedlung in Dresden oder der Bau der beiden milliardenschweren Großforschungszentren in Görlitz und Delitzsch gehören – machen Mut. Auch die Bereitschaft, sich für die Gemeinschaft zu engagieren, scheint in den letzten Monaten gewachsen zu sein. Während in den vergangenen Jahren diejenigen die Straßen bestimmten, die vor allem gegen etwas sind – seien es Asylbewerber oder Corona-Regeln – treibt es nun Zehntausende auf die Straße, um für etwas zu sein, für die Demokratie zum Beispiel.

Ein kleiner 68er-Moment in Sachsen?

Kann es sein, dass Sachsen mehr als 30 Jahre nach der Wende so etwas wie einen kleinen 68er-Moment erlebt? In Westdeutschland waren die Studentenproteste der Auslöser für ein neues kollektives Nachdenken über die von den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg installierte Demokratie. In Sachsen wollen plötzlich viele etwas tun für die Gemeinschaft. Als die Stadt Dresden neulich zur Elbwiesenreinigung rief, musste die Anmeldung zwei Wochen vor der Aktion geschlossen werden – wegen zu großer Nachfrage. Erstmals seit Jahren gewinnen die politischen Parteien in Sachsen wieder mehr neue Mitglieder.

Und dann ist da noch ein dritter Mutmacher, den wir als fast schon selbstverständlich hinnehmen: Sachsens Kultur und Natur. Die nach der Corona-Delle wieder stetig steigenden Touristenzahlen zeigen, dass Sachsen von vielen Menschen als lohnenswertes Ziel wahrgenommen wird – ein riesiger Vorteil gegenüber anderen Regionen im Ringen um die oft genannten Fachkräfte.

Typisch sächsisch: die Grundskepsis

Wenn man vor allem in Dresden unterwegs ist, vergisst man das ja oft: Mit Leipzig befindet sich die in den kommenden Jahren am stärksten wachsende deutsche Stadt ebenfalls im Freistaat. Chemnitz, die drittgrößte Stadt Sachsens, wiederum wird im kommenden Jahr als Europäische Kulturhauptstadt im Fokus stehen. Diese Auszeichnung und die damit verbundenen Investitionen haben in den vergangenen Jahren reihenweise für Boom-Entwicklungen gesorgt. In Chemnitz, so macht es den Anschein, glauben aber noch nicht viele daran.

Auf der Welle des Wandels nach vorn surfen

Denn auch das ist typisch sächsisch: die Grundskepsis. Die Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem oder gar Fremdem ist nicht sehr ausgeprägt. Das Bewahrenwollen macht einen Großteil der sächsischen DNA aus. Vielleicht sind wir nach der Transformation in den 90er-Jahren auch einfach nur veränderungsmüde.

Doch es nützt nichts: Mit Stillstand werden sich die Probleme Sachsens nicht lösen lassen. Beispiel: Niedriglöhne. Um daran grundlegend etwas zu ändern, braucht es starke Unternehmen. Die verlagern ihren Firmensitz aber nicht einfach so nach Sachsen – mitsamt ihrer Wertschöpfungsketten. Sachsens Chance liegt darin, auf der Welle des Wandels nach vorn zu surfen – mit neuen Unternehmen, die heute noch unbekannt sind.

Wie das gelingen kann? Mit einem neu entfachten Veränderungswillen von uns allen. In Bayern, ähnlich konservativ geprägt wie Sachsen, wurde in den 90ern der Slogan "Laptop und Lederhose" geprägt. Für Sachsen müsste so ein Slogan noch erfunden werden.

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