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Sächsisches Bergsteigen als Kulturerbe: Mehr als nur Sport

Das Bergsteigen in Sachsen ist als deutsches Kulturerbe anerkannt. Vor Ort in der Sächsischen Schweiz erklären die Kletterer, worum es ihnen geht.

Von Dirk Schulze
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Die Bergfinken singen an der Brandbaude mit Uwe Daniel vom SBB (Mitte), Kulturministerin Barbara Klepsch und Innenminister Armin Schuster (r.).
Die Bergfinken singen an der Brandbaude mit Uwe Daniel vom SBB (Mitte), Kulturministerin Barbara Klepsch und Innenminister Armin Schuster (r.). © Mike Jäger

Zur Feier des Tages waren eindrückliche Bilder vor der Felskulisse geplant. Kletterer sollten die Brandscheibe an der Brandaussicht bei Hohnstein ersteigen und auf dem Gipfel ein Lied anstimmen. Das fiel aus. Nieselregen und Nebel hingen über der Sächsischen Schweiz - und an nassem Fels wird nicht geklettert, weil dies dem empfindlichen Sandstein schadet.

Was für die Organisatoren bedauerlich war, veranschaulicht eines der Grundprinzipien des sächsischen Bergsteigens: Selbstbeschränkung und Verzicht. Oder wie es Uwe Daniel, der Vorsitzende des Sächsischen Bergsteigerbunds (SBB), formulierte: "Nicht gegen den Fels, sondern mit dem Fels."

Das sächsische Bergsteigen ist seit dieser Woche als deutsches Kulturerbe anerkannt. Es wurde in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen, das von der deutschen Unesco-Kommission verwaltet wird. Eine Anerkennung, die bisher erst zwölf Kulturformen aus Sachsen zuteilwurde, zuletzt vor einem Jahr dem Steigerlied der Bergleute.

Klettern ohne künstliche Hilfsmittel

Bei dem unprätentiösen Festakt auf dem Brand, dem Balkon der Sächsischen Schweiz, konnte man einen Eindruck davon bekommen, was das sächsische Klettern zur Kultur macht. "Bergsteigen ist mehr als nur Bergsport", sagte Uwe Daniel vom SBB. "Es ist Ausdruck einer tiefen Verbundenheit zu unserer Felsenheimat."

Uwe Daniel, Vorsitzender des Sächsischen Bergsteigerbunds: "Bergsteigen ist mehr als nur Bergsport."
Uwe Daniel, Vorsitzender des Sächsischen Bergsteigerbunds: "Bergsteigen ist mehr als nur Bergsport." © Mike Jäger

Die sächsische Kletterkultur hat sich vor etwa 130 Jahren geformt. Spätestens 1913 formulierten die Pioniere die sächsischen Kletterregeln, die bis heute gelten. Der wichtigste Grundsatz: Es wird ohne künstliche Hilfsmittel geklettert.

Man wollte sich den Fels nicht länger untertan machen, erklärte Uwe Daniel. Auch zuvor waren Menschen in der Sächsischen Schweiz schon auf die Gipfel gestiegen, 1864 bezwangen Schandauer Turner erstmals den Falkenstein. Sie nutzten aber teilweise noch Holzleitern als Hilfen.

Klettern im Elbsandstein ist anspruchsvoll

Feste Sicherungsringe sind im Elbsandsteingebirge äußerst rar. Das macht das Klettern hier besonders anspruchsvoll und unterscheidet es von gut gesicherten Sportklettergebieten. Wo die äußere Absicherung endet, kommt es auf das Innere des Bergsteigers an, erklärte der SBB-Vorsitzende. Um diese innere Sicherheit zu gewinnen, muss der Kletterer sich intensiv mit der Natur auseinandersetzt. Das braucht Zeit.

Mit dieser Philosophie sehen sich die sächsischen Kletterer durchaus im Widerspruch zum Zeitgeist. "Heute muss es schnell gehen, gut aussehen und viele Klicks bringen", sagte Daniel. "Das ist vom sächsischen Bergsteigen nicht zu erwarten." Von der Anerkennung als immaterielles Kulturerbe erhoffen sich die Kletterer Rückenwind für den Erhalt ihrer Kultur.

Kultur wird über Generationen weitergegeben

An interessiertem Nachwuchs dürfte es kaum mangeln. Das Wissen über das sächsische Klettern wird von Generation zu Generation weitergegeben. In einer emotionalen Rede schilderte Bergsteigerin Anne Lochschmidt, wie sie von Kindesbeinen an mit ihren Eltern in der Sächsischen Schweiz unterwegs war und wie heute ihre eigenen Kinder mit Freunden losziehen.

Diese fünf Bergsteiger haben den Antrag erarbeitet (v.l.): Rainer Petzold, Ines Panitz, Anne Lochschmidt, Thomas Böhmer und Maria Neubauer. Im Hintergrund der Klettergipfel Brandscheibe.
Diese fünf Bergsteiger haben den Antrag erarbeitet (v.l.): Rainer Petzold, Ines Panitz, Anne Lochschmidt, Thomas Böhmer und Maria Neubauer. Im Hintergrund der Klettergipfel Brandscheibe. © Mike Jäger

"Was haben wir nicht alles gelernt hier draußen?", fragte Anne Lochschmidt, die mit einer Gruppe befreundeter Kletterer die umfangreiche Bewerbung für den Kulturerbe-Titel erarbeitet hat. Die Antwort: Durchhaltevermögen, Geduld, Verantwortungsbewusstsein und Vertrauen. Das Bergsteigen wird von seinen Anhängern als prägend für ihr Leben empfunden.

Lob und Dank von Kulturministerin Klepsch

Lob und Dank für die erfolgreiche Bewerbung gab es von Sachsens Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU). Es sei nicht selbstverständlich, dass Anträge für das bundesweite Kulturerbe-Verzeichnis Erfolg hätten. "Das macht uns aus sächsischer Sicht unglaublich stolz." Der Zusammenhalt der Bergsteiger und die Weitergabe der Tradition spiele neben dem sportlichen Aspekt die entscheidende Rolle. Der SBB gilt mit über 18.000 Mitgliedern als der größte Sportverband in Sachsen.

Armin Schuster (CDU), als Innenminister auch für den Sport zuständig, hob das ehrenamtliche Engagement der Bergsteiger hervor. Um Nachwuchs zu begeistern, sei dies besonders wichtig. Zudem verwies Schuster darauf, dass das Bergsteigen zu großen Teilen im Nationalpark stattfindet. Dies sei möglich, weil die sächsischen Kletteregeln den Naturschutz besonders betonen.

Klettern im Einklang mit dem Naturschutz

Ganz ähnlich äußerte sich Nationalparkchef Uwe Borrmeister: "Die sächsischen Kletterregeln sind weltweit ein Beispiel dafür, wie man es schafft, das Naturerleben in einer sensiblen Landschaft zu ermöglichen", sagte er. Der Nationalparkleiter dankte dem Bergsteigerbund für die oft kritische aber konstruktive Zusammenarbeit. Die Kletterer übernehmen Gipfelpatenschaften und engagieren sich beim Schutz der Wanderfalken.

Den Festakt auf der Brandaussicht beschlossen die Chorsänger der Bergfinken mit einem thematisch passenden Lied: "Regen muss ja auch mal sein - Herr Wirt, Herr Wirt, schenk ein, schenk ein!" Darauf gab es ein Bier an der Brandbaude.