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Fünf Gründe, warum das sächsische Bergsteigen so besonders ist

Das Bergsteigen in Sachsen ist jetzt als Kulturerbe anerkannt. Diese fünf Dinge zeichnen das Klettern in der Sächsischen Schweiz aus.

Von Dirk Schulze
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Der Turnerweg am Falkenstein gilt als Beginn des sächsischen Bergsteigens. 1864 wurde er von Schandauer Turnern erstmals sportlich erstiegen.
Der Turnerweg am Falkenstein gilt als Beginn des sächsischen Bergsteigens. 1864 wurde er von Schandauer Turnern erstmals sportlich erstiegen. © Mike Jäger

Klettern ist Sport, könnte der Laie meinen. Nein, das sächsische Bergsteigen ist mehr als das: Es ist eine Kulturform. Mit der Aufnahme ins bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes in Deutschland ist dies nun offiziell beglaubigt.

Fünf Gründe, die das Klettern im Elbsandsteingebirge besonders machen.

1. Die sächsischen Kletterregeln

Sicherung beim Sandsteinklettern: Knotenschlingen werden in Felsrisse geklemmt. Sie müssen halten, falls der Kletterer stürzt.
Sicherung beim Sandsteinklettern: Knotenschlingen werden in Felsrisse geklemmt. Sie müssen halten, falls der Kletterer stürzt. © Mike Jäger

Berühmt und berüchtigt - im sächsischen Sandstein wird nach strengen Regeln geklettert, die Auswärtige nicht selten vor Herausforderungen stellen. Das Grundprinzip lautet: Der Gipfel darf nur aus eigener Kraft und eigenem Geschick erstiegen werden, künstliche Hilfsmittel sind tabu.

Die spätestens 1913 formulierten sächsischen Kletterregeln sollen den sensiblen Sandstein schützen. Feste Sicherungsringe sind dadurch äußerst selten. Der Vorsteiger muss sich seine Sicherungen selbst legen - mit Knotenschlingen, die er in Felsrissen verklemmt. Das macht das Klettern in der Sächsischen Schweiz riskant - wer den Halt verliert, fällt mitunter tief.

Dahinter kommt eine eigene Ethik zum Vorschein. Der Kletterer soll dem Fels mit Respekt begegnen, sich selbst gut einschätzen können und im Zweifel verzichten. "Einen Kletterweg (noch) nicht zu klettern und bis zur Durchsteigung mit Geduld und Demut einen weiteren persönlichen Reifungsprozess zu durchlaufen, hat beim Sächsischen Bergsteigen einen besonderen Wert", heißt es beim Sächsischen Bergsteigerbund.

2. Das Gemeinschaftsgefühl

Geschafft: Seilschaft auf dem Gipfel Märchenturm in der Sächsischen Schweiz.
Geschafft: Seilschaft auf dem Gipfel Märchenturm in der Sächsischen Schweiz. © Mike Jäger

Geklettert wird in Seilschaften, bei denen einer den anderen sichert. Man muss einander vertrauen und sich auf seine Kletterpartner verlassen können. Der Lohn ist das gemeinsame Gipfelglück.

Das Wissen wird von Generation zu Generation weitergegeben. Nicht wenige Bergsteiger können einen "Klettervater" benennen, eine Art Mentor, der sie an das Klettern herangeführt hat. Andere sind von klein auf mit ihren Familien im Elbsandsteingebirge unterwegs. Viele bleiben bis ins Alter aktiv.

Besonders ausgeprägt war das Gemeinschaftsgefühl zu DDR-Zeiten. Das Bergsteigen war damals beinahe eine eigene Subkultur - in Abgrenzung gegen den autoritären Staat. Aus der ganzen Republik reisten junge Leute mit Schlafsack, Isomatte und Rotwein ins Elbsandsteingebirge. In den abgelegenen Boofen suchten sie ein Stück Freiheit. Die Stasi beobachtete das mit Argwohn.

3. Die Bräuche: Gipfelbücher und Boofen

Datum, Namen, begangener Kletterweg, Abschlusslinie mit Lineal. Gipfelbücher sind Dokumente der Zeitgeschichte.
Datum, Namen, begangener Kletterweg, Abschlusslinie mit Lineal. Gipfelbücher sind Dokumente der Zeitgeschichte. © Mike Jäger

Das wahrscheinlich weltweit erste Gipfelbuch wurde im Jahr 1893 in der Sächsischen Schweiz ausgelegt - auf dem Schusterturm im Bielatal. Bis heute trägt sich jede Seilschaft in ein kleines Büchlein ein, das auf jedem Felsgipfel in einer Metallschachtel wetterfest verstaut ist. Das Gipfelbucharchiv des Sächsischen Bergsteigerbundes umfasst mehr als 4.300 Exemplare. Teilweise lassen sich Besteigungen bis zurück in das Jahr 1900 lückenlos nachvollziehen.

Eine andere alte Klettertradition ist das Boofen - das Schlafen unter Felsvorsprüngen. Einst aus dem Drang heraus geboren, das kurze Wochenende möglichst voll auszunutzen, indem man morgens direkt am Fels aufwacht, haben längst auch Nichtkletterer diesen Brauch für sich entdeckt, was zu einer anhaltenden Kontroverse geführt hat.

4. Das Kulturelle: Musik, Malerei, Fotografie

Großes Bergsingen am Papststein im Juni 2022 mit den drei Chören des Sächsischen Bergsteigerbundes: Bergfinken Dresden, Bergsteigerchor Sebnitz, Männerchor Sächsische Schweiz.
Großes Bergsingen am Papststein im Juni 2022 mit den drei Chören des Sächsischen Bergsteigerbundes: Bergfinken Dresden, Bergsteigerchor Sebnitz, Männerchor Sächsische Schweiz. © Marko Förster

Noch bis in die 1950er- und 1960er-Jahre gehörte es dazu, dass die Bergsteiger auf dem Gipfel ein Lied anstimmen. Heutzutage ist das kaum noch zu hören. Erhalten hat sich die Tradition in den Bergsteigerchören wie den Bergfinken Dresden oder dem Bergsteigerchor Sebnitz.

2011 wurde im Umfeld des Bergsteigerbundes die Stiftung "Kunst und Berge" gegründet, die sich der Bergsteigerkultur verschrieben hat. Sie verwaltet unter anderem das Werk der Malerin Irmgard Uhlig und des Fotografen Heinz Lothar Stutte, die sich künstlerisch mit der Bergwelt auseinandergesetzt haben.

Die Landschaft inspiriert die Menschen bis heute. Regelmäßige Malerei-Ausstellungen im Vereinszentrum des SBB in Dresden und zahlreiche Fotobände und Kalender zeugen davon.

5. Das Verhältnis zu Natur und Landschaft

Kletterseilschaft und Nationalpark-Ranger. Das Felsklettern ist im sächsischen Naturschutzgesetz verankert.
Kletterseilschaft und Nationalpark-Ranger. Das Felsklettern ist im sächsischen Naturschutzgesetz verankert. © Mike Jäger

Der entscheidende Punkt zuletzt: die Natur. Ohne die einzigartige Landschaft des Elbsandsteingebirges wäre das sächsische Bergsteigen nie entstanden. Die Begegnung mit der Natur ist für die Kletterer elementar.

Daraus entsteht eine Haltung, die das Selbstverständnis prägt und die bis ins Alltagsleben reicht, wie es der Bergsteigerbund formuliert. Es geht um den bewussten Umgang mit Ressourcen und das Erkennen der Konsequenzen des eigenen Tuns.

1990 wurde der Nationalpark Sächsische Schweiz gegründet. Weil das Felsklettern nach den sächsischen Regeln als biotopschonend gilt, ist es auch im besonders geschützten Nationalpark erlaubt. Das ist im sächsischen Naturschutzgesetz festgeschrieben – eine deutschlandweit einmalige Formulierung.