Im Hollywoodfilm "Der Vorleser" dient die Kirnitzschtalbahn als Kulisse für die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die historische Straßenbahn befördert seit 1898 Gäste der Sächsischen Schweiz und ist längst selbst eine Touristenattraktion. Wer in den quietschenden Wagen durch das Tal ruckelt, fühlt sich in längst vergangene Zeiten zurückversetzt.
Dies vorweg: Die historische Bahn, so wie sie seit über hundert Jahren zwischen Bad Schandau und dem Lichtenhainer Wasserfall pendelt, bleibt bestehen. Angesichts der wachsenden Auto- und Parkproblematik im Kirnitzschtal entstand aber spätestens 2018 die Idee, die Bahn zu einem leistungsfähigen Verkehrsmittel auszubauen.
Dazu müssten die Gleisstränge in beide Richtungen verlängert werden. In Bad Schandau soll die Straßenbahn demnach bis auf die andere Elbseite zum Nationalparkbahnhof fahren. Dort besteht Anschluss an die S-Bahn aus Dresden und den internationalen Bahnfernverkehr. Talaufwärts kann es bis zur Neumannmühle oder bis nach Hinterhermsdorf gehen. Moderne Niederflurwagen können dann die Gäste autofrei ins Gebiet befördern.
Kann das technisch funktionieren? Diese Frage soll eine bereits 2019 beauftragte Machbarkeitsstudie beantworten. Die Ergebnisse werden nicht nur in der Sächsischen Schweiz mit Spannung erwartet. Ein erster Zwischenbericht wurde jetzt in Sebnitz präsentiert. Im Sebnitzer Rathaus habe die Idee ihren Ursprung, wie Oberbürgermeister Mike Ruckh (CDU) erklärte.
In Bad Schandau am Elbufer entlang
Die konfliktträchtigste Schlüsselstelle ist die Ortsdurchfahrt von Bad Schandau. Die Straßenbahn muss hier einmal quer durch die Stadt. Dazu haben die Planer drei Varianten untersucht:
Variante 1 führt über die Zaukenstraße und die Poststraße und damit durch eine schmale Gasse mit Geschäften und denkmalgeschützten Häusern, die noch dazu als verkehrsberuhigter Bereich ausgewiesen ist. In Variante 2 durchquert die Straßenbahn Bad Schandau auf der B 172 und müsste mindestens die Engstelle am Markt meistern.
Variante 3 - und diese war bisher nicht bekannt - ist eine Trassenführung am Elbufer. Die Straßenbahn fährt dabei zwischen Toskana-Therme und St.-Johannis-Kirche hindurch an die Elbe und dann auf dem Elbkai entlang Richtung Rathmannsdorf. Die Ingenieure haben alle drei Varianten unabhängig voneinander bewertet, erklärte Arnd Bärsch vom beauftragten Büro Verkehrsplanung Köhler und Taubmann (VKT GmbH) bei der Präsentation im Sebnitzer Stadtrat.
Das Ergebnis: Variante 1 über Zaukenstraße und Poststraße kommt am schlechtesten weg. Es handelt sich um ein sensibles Wohngebiet mit zahlreichen Engstellen. Fußgänger würden beeinträchtig, zudem könnte die Bahn durch den verkehrsberuhigten Bereich nur im Schritttempo fahren.
Variante 2 über die B 172 hat die beste Erschließungswirkung. Die Straßenbahn hielte zentral in der Stadt. Dagegen sprechen Konflikte mit dem Straßenverkehr. Auf der Bundesstraße herrscht ohnehin oft Stau, Autos und Bahn müssten sich den knappen Platz teilen.
Am Elbufer hingegen hätte die Straßenbahn eine separate Trasse und käme am zügigsten vorwärts. Diese Variante 3 verspricht somit die beste Verkehrsqualität. Allerdings ist hier der Eingriff in die Natur am größten. Das gesamte Elbufer ist als Flora-Fauna-Habitat geschützt, zudem droht Gefahr bei Hochwasser.
Entschieden ist noch nichts, erklärte der beauftragte Verkehrsplaner. Dafür sind noch weitere Abstimmungen nötig.
Auf der Eisenbahnbrücke über die Elbe
Um die Kirnitzschtalbahn an den Nationalparkbahnhof anzubinden, muss sie die Elbe überqueren. Zwei Brücken sind vorhanden: die Straßenbrücke der B 172 und die Carolabrücke, über die die Nationalparkbahn fährt. Die Straßenbrücke kann zusätzlich keine Straßenbahn aufnehmen, erklärte Arnd Bärsch vom Planungsbüro VKT. Das gibt die Statik nicht her.
Die verlängerte Kirnitzschtalbahn soll deshalb in Rathmannsdorf auf die Carolabrücke einbiegen. Dort fährt sie entweder direkt im Eisenbahngleis über die Elbe - innerhalb des breiten Bahngleises würden dann noch Straßenbahnschienen mit geringerer Spurbreite verlegt. Oder das Bahngleis wird auf den Brückenpfeilern stromabwärts verschoben, und die Straßenbahn bekommt ein neues, eigenes Gleis daneben.
Aus Kostengründen empfehlen die Planer das kombinierte Gleis. Bei einer Verschiebung des Eisenbahngleises müssten auch die Brückenauffahrten aufwendig neu gebaut werden. Der Nachteil der Kombinationsvariante ist, dass Bahn und Kirnitzschtalbahn ihre Fahrten dann abstimmen müssen.
Durchs Kirnitzschtal bis Hinterhermsdorf
Im Kirnitzschtal talaufwärts soll die Straßenbahn von der jetzigen Endhaltestelle am Lichtenhainer Wasserfall bis zur Neumannmühle oder sogar bis nach Hinterhermsdorf verlängert werden. Auch hier stellt vor allem der begrenzte Platz die Planer vor Herausforderungen. Auf der einen Seite ragen Felsen empor, auf der anderen Seite fließt die Kirnitzsch. Beidseits der Straße grenzt das geschützte Nationalparkgebiet.
Die Steigung nach Hinterhermsdorf beträgt im steilsten Abschnitt rund sieben Prozent, erklärte Planer Bärsch. Das entspricht in etwa dem Anstieg der B 6 auf den Weißen Hirsch in Dresden - ist also für eine Straßenbahn machbar.
An der Neumannmühle ist der Platz für eine Haltestelle und ein Begegnungsgleis knapp, dort müsst man sich mit dem privaten Flächeneigentümer einig werden. In Hinterhermsdorf würde die Endhaltestelle noch vor dem Ortseingang liegen, auf einem Feld gegenüber des Campingplatzes. Gegen eine Trasse bis hinein in das Dorf mit seinen Umgebindehäusern spreche vor allem der Denkmalschutz.
Modellprojekt mit Wasserstoffantrieb
Die Straßenbahn allein kann das Verkehrsproblem im Kirnitzschtal nicht lösen, erklärte Arnd Bärsch. Sie muss eingebettet sein in ein Gesamtkonzept für die Sächsische Schweiz, mit dem Schandauer Nationalparkbahnhof als Drehscheibe, eventuell auch mit mehr P+R-Parkflächen am Bahnhof.
Während der Sommersaison könnte der Autoverkehr im Kirnitzschtal dann beschränkt werden, so dass nur noch Anwohner, Hotelgäste und Personal einfahren dürfen. Tagesgäste hingegen - und das sind die meisten - steigen um in die Straßenbahn.
Für die erweiterte Kirnitzschtalbahn gibt es noch eine Vision. Die modernen Bahnen könnten mit Wasserstoffantrieb fahren und damit auf Leitungen verzichten. In einer Leipziger Manufaktur werden derzeit solche Fahrzeuge als Prototypen entwickelt. Die Kirnitzschtalbahn könnte dafür ein Modellprojekt werden, so der Wunsch.
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