Freischalten Freischalten Sachsen
Merken

So war das Kanzler-Gespräch mit Olaf Scholz in Dresden

Bundeskanzler Olaf Scholz stellte sich in Dresden den Fragen der Sachsen. Es ging nicht nur um Bildung, Wirtschaft und den Ukraine-Krieg - auch ums Essen, das Klima und TikTok.

Von Thilo Alexe & Andrea Schawe
 7 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Bundeskanzer Olaf Scholz (SPD) beim Bürger-Gespräch in Dresden.
Bundeskanzer Olaf Scholz (SPD) beim Bürger-Gespräch in Dresden. © Foto: SZ/Veit Hengst

Eigentlich kann man Bundeskanzler Olaf Scholz nicht wirklich vorwerfen, dass er seine Politik nicht erklären will. Mit ruhigen, langen und oft auch verschachtelten Sätzen hat er das am Donnerstagabend in Dresden anderthalb Stunden lang zumindest versucht. Im Kraftwerk Mitte haben sich zum Kanzlergespräch rund 150 Bürgerinnen und Bürger aus Sachsen eingefunden, konnte Fragen stellen, der Kanzler antwortet.

Scholz tourt mit dem Format durch ganz Deutschland, will in allen Bundesländern auftreten. In Sachsen fand die zwölfte Ausgabe statt. Er gehe nach so etwas immer "sehr beschwingt" nach Hause, sagt der SPD-Politiker. "Diese Gespräche sind viel interessanter als manche Interviews."

Schon eine Stunde vor dem Gespräch sind die Plätze im Stromwerk gut gefüllt. Vorher gab es gratis Kaffee und Kuchen für alle, der dankend angenommen wurde. Die Atmosphäre ist ruhig und gespannt. Die von uns Befragten interessieren sich für verschiedenste Themen, von Bafög über Finanzierung sozialer Projekte, Rente bis Krieg. Meistens zeigten sie sich mit der Arbeit des Kanzlers mit Abstrichen zufrieden.

"Freie Sachsen"-Demo mit 100 Teilnehmern

Beim Warm-up erklärt Moderatorin Anja Koebel, was wichtig ist: Handys bitte in den Flugmodus, bitte nur eine Frage stellen, wir dürfen nicht überziehen. "Ich würde Sie bitten, dass wir respektvoll miteinander umgehen. Also bleiben Sie bei sich und wahren Sie Anstand." Die Bürgerinnen und Bürger halten sich daran. Das Interesse war groß, rund 450 Leserinnen und Leser hatten sich um eine Teilnahme an dem Diskussionsabend mit Scholz beworben. Am Ende entschied das Los.

Vor dem Kraftwerk Mitte demonstrieren da schon die rechtsextremen "Freien Sachsen" gegen Scholz. Sie haben sich am Wettiner Platz mit Fahnen und Traktoren versammelt, um Scholz zu zeigen, dass er hier nicht erwünscht sei. Nach Reporter-Angaben sind es weniger als 100 Demonstrierende. Auch Rechtsextremist Max Schreiber ist dabei. Nur einmal hört man im Saal des Stromwerks die Hupen kurz leise im Hintergrund erklingen. Gegen 19 Uhr ist die Demo vorbei.

Gut gefüllt: 150 Bürgerinnen und Bürger hatten die Chance, dem Kanzler eine Frage zu stellen.
Gut gefüllt: 150 Bürgerinnen und Bürger hatten die Chance, dem Kanzler eine Frage zu stellen. © Sebastian Kahnert/dpa

Zum Auftakt des Gespräches pünktlich um 18.30 Uhr geht’s ums Essen. MDR-Moderatorin Anja Koebel fragt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), ob ihm etwas typisch Sächsisches einfalle, Eierschecke oder Sauerbraten etwa. Der Kanzler gibt sich diplomatisch. Lebensmittel seien in deutschen Regionen immer typisch, "die Sprache auch".

Scholz bekräftigt sein Nein zu Bodentruppen

Doch dann geht es gleich mit der ersten Bürgerfrage um den Krieg in der Ukraine. Ein Teilnehmer der Runde will wissen, warum sich Deutschland für Waffenlieferungen und nicht für Diplomatie entschieden habe. Er finde das "sehr bitter". Scholz bekräftigt sein Nein zu Nato-Bodentruppen in der Ukraine: "Dafür stehe ich." Die Ukraine erhalte Waffen, finanzielle und humanitäre Hilfe. "Aber wir werden verhindern, dass es zu einer Eskalation des Krieges kommt." Scholz weist zurück, dass Deutschland keine Diplomatie betreibe. Es habe mit anderen Ländern mehrere Initiativen gegeben, etwa in Kopenhagen. "Das soll auch weitergehen", sagt der Bundeskanzler.

Das wird nicht die einzige Frage zum Krieg in der Ukraine bleiben. Scholz erläutert auch sein Nein zu Taurus-Lieferungen. Der Kanzler umschreibt, dass zur Bedienung des Marschflugkörpers auch deutsche Soldaten nötig seien. "Und das wiederum halte ich für ausgeschlossen." Scholz listet auf, was Deutschland alles leiste, um die Ukraine zu unterstützen, mit viel Geld, Waffen und Munition. Deutschland mache viel, andere müssten auch. "Das gibt uns das Recht, ganz viel ja zu sagen, aber auch manchmal nein zu sagen."

Mit Blick auf Israel bekräftigt Scholz das Verteidigungsrecht des Staates, mahnt aber auch den Zugang für Hilfslieferungen in den Gazastreifen an.

Scholz: Keiner sagt "Danke"

Weitere Fragen drehen sich um Rente und Bildung - mit Applaus. Scholz verweist darauf, dass Fachkräftemangel drohe. Der Bund habe aber einiges in der Rentenpolitik auf den Weg gebracht, etwa die Grundrente. Für dieses Jahr erwartet Scholz eine Rentenerhöhung.

Mit Blick auf Bildung und Bevölkerungsentwicklung rechnet der Kanzler vor, dass zehn bis 15 Prozent eines Abiturjahrgangs Lehrer werden müssten – und selbst dann brauche es noch Quereinsteiger, um den Lehrermangel zu mildern. Nötig seien unkonventionelle Wege. Auch beim Thema Erziehermangel sei "wird schon" nicht der richtige Ratschlag, sagt Scholz. "Was wir brauchen, ist ein großes Unterhaken, um Lösungen zu finden."

Der Bundeskanzler glänzt mit Detail-Wissen zu allen Themen. Oft erklärt er lang und ausführlich Hintergründe und Zusammenhänge und verweist auf das, was er und seine Regierung schon alles auf den Weg gebracht haben, etwa beim Kinderzuschlag. "Das hat nur keiner gemerkt", sagt Scholz, "und keiner hat Danke gesagt".

Überraschend ist, dass die Bundesregierung wohl bald auf dem Videoportal TikTok präsent sein wird. Eine Teilnehmerin warnt, dass die AfD dort deutlich mehr Follower habe als andere Parteien. Scholz sagt, alle zöge es auf dieses Portal. "Auch die Bundesregierung diskutiert das." Allerdings warnt der Kanzler auch vor bestimmten Aspekten sozialer Medien. Wenn früher in der Kneipe einer etwas Inakzeptables gesagt habe, hätte andere entgegnet: "Echt Alter, das ist Quatsch." Heute finde so jemand Bestätigung im Netz. Es fehle die "Wirklichkeitskontrolle": "Demokratie und Politik findet nicht im Fernsehen statt."

Nach 52 Minuten entspinnt sich eine kurze Diskussion zum Thema Wirtschaft. Ein Unternehmer will wissen, ob die Bundesregierung "denn mal plane, das Steuerrecht dem 21. Jahrhundert anzupassen". Das würde die Unternehmer entlasten und das Unternehmertum fördern. "Und Herr Lindner wäre auch ausgelastet." Der sei schon ausgelastet, sagt Scholz.

"Können Sie nicht den Wirtschaftsminister auswechseln?"

Scholz verteidigt die hohe Förderung für die Chipindustrie als "vernünftig", lobt das deutsche Lieferkettengesetz, das aber bislang nicht auf die EU ausgedehnt werden konnte, und räumt ein, dass die Auszahlung des Klimageldes in einem Land wie Deutschland "nicht trivial" sei. Wichtig ist ihm mit Blick auf die ökologische Entwicklung ein Punkt. Deutschland solle in der Lage sein, für die erwartete Weltbevölkerung von zehn Milliarden Menschen Technologien zu liefern, damit alle weitgehend klimaneutral leben können. Lebten alle so wie die Deutschen in den 1950er-Jahren, werde das nicht funktionieren.

Hatte immer eine Antwort: Scholz bewies während der Fragen vor allem Fachwissen.
Hatte immer eine Antwort: Scholz bewies während der Fragen vor allem Fachwissen. © SZ/Veit Hengst

Kritische Töne und Fragen kommen kaum vor. Ein Teilnehmer sagt, dass früher für jeden Winkelschleifer ein "Befähigungsnachweis" nötig gewesen sei. Heute arbeite ein Schriftsteller als Wirtschaftsminister. "Können Sie den nicht auswechseln?" Scholz stellt sich hinter den Grünen Robert Habeck, der Wachstumshemmnisse beseitigt und vieles für den Ausbau erneuerbarer Energien geleistet habe.

Der Dresdner Lokalpolitiker Torsten Küllig (Freie Wähler) will von Scholz die "sieben Kriterien für die freiheitlich demokratische Grundordnung" wissen. Man könne darüber ja in einen Austausch kommen. Scholz verweist auf den Rechtsstaat, Minderheitenschutz, demokratische Abstimmungen, Föderalismus und Gewaltenteilung sowie Meinungsfreiheit. Die Diskussion unterbricht die Moderatorin, der Fragesteller darf dem Bundeskanzler aber noch ein paar Papiere schenken, unter anderem den Amtseid, "den kann man sich immer mal wieder angucken", und einen Zettel auf dem mehrfach der Slogan "Diplomaten statt Granaten" steht für Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).

Schlange stehen für ein Selfie

Zum Schluss geht es um das Thema Migration. "Ich frage mich, warum Sie und Ihre Regierung dieses negative Migrationsnarrativ der AfD bedienen?", fragt eine Frau. Wie wolle Deutschland attraktiv sein für ausländische Fachkräfte, wenn Asylbewerber immer noch nicht arbeiten dürfen? Scholz, der sich für die Frage bedankt, verweist auf den Wohlstand in Deutschland, der auch durch Zuwanderung geschaffen worden sei. In der alten Bundesrepublik hätten sogenannte Gastarbeiter ihren Anteil daran gehabt, in der DDR Arbeiter aus Vietnam. Die meisten Geflüchteten dürften, das sei gerade per Gesetz auf den Weg gebracht worden, nach sechs Monaten arbeiten. "Mein Wunsch ist, dass man diesen Fortschritt auch mal zur Kenntnis nimmt."

Im Übrigen verzeichne Deutschland mit 46 Millionen Beschäftigten einen Höchststand – auch durch Zuzug aus der EU. "Wir haben die modernsten Gesetze, die man dazu braucht." Allerdings gehe es auch darum, unkontrollierte Zuwanderung zu begrenzen. "Wir haben eine Aufgabe, die irreguläre Migration zu managen."

Pünktlich um 20 Uhr beendet Anja Koebel die Runde. 20 Fragen hat der Bundeskanzler in sachlichem Tonfall beantwortet. Nach dem Gespräch fragt die Moderatorin: "Geht es Ihnen gut?" Scholz antwortet "Ja". "Na dann haben wir alles richtig gemacht!"

Doch ganz vorbei ist Abend noch nicht für den Bundeskanzler. Artig stellt er sich ans Pult, wo die Gäste des Gesprächs ein Erinnerungsfoto machen können. Nicht ohne Sicherheitsvorkehrung: Ein Foto gibt es nur, wenn vorher die Tasche abgegeben wurde.